Wenn eine Ausstellung 2017 »Hinter der Maske« heißt, dann macht sich ein hinreichend phantasievoll veranlagter Mensch so seine Gedanken. Manche Situation wird da lebendig, die Theo Balden und Wolfgang Mattheuer zu plastischen Figurationen anregte, denen wir hier begegnen: Einem, der offiziell ein anderes Gesicht zeigt als privat. Und einem, der sein Gesicht hinter einer Schafsmaske verbirgt. Der eine lebt auf geschickte Art ambivalent, der andere stellt sich dümmer, als er ist. Diese Bronzen wurden 1964 und 1981 in der separat strukturierten Kunstszene der DDR modelliert und gegossen. Der direkte Bezug auf das Leben im real existierenden Sozialismus macht sie zum Zeitzeugnis.
Der Titel wirkt durchaus folgerichtig für die neue große Kunstausstellung, die das vom Sammler Hasso Plattner eingerichtete Museum Barberini in Potsdam für »Künstler in der DDR« jetzt bis 4. Februar 2018 veranstaltet. Da ist außer den zwei genannten Skulpturen noch manch anderes plastisches und malerisches Opus zu bewundern. Hintergründig vertieft manches. Offensichtlich begreifbar anderes. Ein unverwechselbares Kunstbiotop wird sichtbar. Das Erfreulichste an der Auswahl der gezeigten Kunstwerke ist ihre warmherzig bis skeptische Ausstrahlung. Aus ihrer elementar menschlich anrührenden Substanz heraus wirken sie unmittelbar. Da kann der Aspekt der Maskierung nur noch einer von vielen sein. Wie sich da Künstlerpersönlichkeiten ihrer selbst vergewissert haben und miteinander offenbar in engem Kontakt standen, ist eine durchaus überraschende Feststellung. Vor allem nach dem, was nun fast drei Jahrzehnte über die vier Jahrzehnte des Bestehens einer DDR-typischen Kunstszene offiziell immer wieder verbreitet wird.
In einer die Wechselfälle des Lebens so vielfältig spiegelnden Gesellschaft ist die Sicht darauf in Argumentation und Projektion so felsenfest betoniert, dass kaum daran zu rütteln ist. Alles Mögliche wird für überholt oder hinfällig, erneuerungsbedürftig oder als einfach anders zu betrachten erklärt – dieses Thema jedoch soll ein für alle Mal abgehakt sein. Die noch zu schreibende gesamtdeutsche Kunstgeschichte ist auf den Sankt-Nimmerleinstag vertagt. Denn das hier wird gut und gern endgültig abgehakt. Es gilt als kontaminiert von Staatsdoktrin und Parteidiktatur. Nur was Widerstand dagegen markierte, zählt. Bis in den Katalog der nun stattfindenden alternativ konzipierten Ausstellung hinein ist das noch zu spüren.
Wo Valerie Hortolani und Michael Philipp als Kuratoren erst einmal in einer überzeugenden Ausstellungsgestaltung ganz locker das Gesehene wirken lassen, wird im Katalog bei Petra Lange-Berndt und Martin Schieder das vormundschaftliche Diktum von Staat und Partei bereits fixiert. Wohlgemerkt nach Aktenlage. Da herrscht der fremde Blick. Aussagen von und Einblicke zu authentischen Zeitzeugen benötigt er nicht. Bei Frau Hortolani können wir jedoch lesen: »Die pauschalisierende Klassifizierung von Künstlern nach gesellschaftlich eingenommenen Rollen oder ihrer Staatsnähe ist für diese Untersuchung nicht relevant.« Kunst vorurteilsfrei als Schauwert genießen, ist also offenbar Programm.
Ein gesamtdeutsches Publikum kann nun die Kunstwerke selbst sehen. Ist es immun gegen neue ideologische Einordnung? Fragt es sich: Warum heute schon wieder den freien Blick durch die Maske der verordneten Sichtweise beeinträchtigen? Merkt es, wie arm dran man ist, kommt man maskiert mit Vorurteilen daher? Schließlich leben wir heute. Bildfindungen von damals können überraschend aktuell sein. Themen wie die Gemeinsamkeit untereinander und das sehr variable Atelierdasein Einzelner berühren. Sie werden in neun klug ausgewählten Komplexen ausgeschöpft. Der Punkt »Maskenspiele« ist nur einer davon. Das wirkt alles andere als antiquiert oder als von einer Obrigkeit diktiert.
»Die Umerziehung der Vögel« von Hans-Hendrik Grimmling oder Walter Libudas »Auswanderer«, Arno Rinks »Versuchung« oder Frieder Heinzes »Selbstverständnis«: Das sind künstlerisch überhöhte Bildlösungen, über den erkennbaren Anlass der Entstehung hinaus gültig. Was beim Theater gang und gäbe ist, historisch fixierbare dramatische Literatur heute neu zu interpretieren, sollte der Bildkunst recht und billig sein. Wieso eigentlich ewig und drei Tage an Bilderrahmen übergroß lesbar das Etikett »Kunst aus der DDR« anbringen? Das Selbstbewusstsein der Schöpfer ist nicht so eng. Wenn der Kunstmarkt es zuließ, haben sie längst mit dem Pfund damals errungener Qualitätsmaßstäbe gewuchert. Oder sind leider ins Abseits der Bedeutungslosigkeit verdrängt.
Wie beschämend für die kümmerliche staatliche Auftragskunst der Gegenwart muss das wirken, was nun als solche hier im oberstes Stockwerk ausgebreitet ist. Die von 16 durchaus nicht nur »staatsnah« zu verortenden Künstlern für das Foyer des »Palastes der Republik« geschaffenen Großbilder sprechen eigentlich für sich. Sie brauchen nicht unbedingt eine Interpretation. Die einzige Klammer ist ihr Realismus im Sinne eines Bezuges zur Realität. Das ist ein zugegeben lange verteufelter Aspekt – beim fotografisch genauen naturalistischen Duktus der inzwischen computer-generierten Kunstübung ist er überholt. Dem übersichtlich gegliederten Baukörper des Palastgebäudes war eine konkrete, aber frei interpretierbare Thematik der Bebilderung angemessen. Die Hauptsache: Wer hier malte, konnte durchaus selbst bestimmen, wie und was.
In der Ausstellung selbst finden wir dagegen expressiv Übersteigertes bei Gerda Lepke, Erika Stürmer-Alex, Hartwig Ebersbach, Siegfried Klotz, Stefan Plenkers und anderen. Abstrakte Konstruktivität vom Feinsten bieten Karl-Heinz Adler und Hermann Glöckner, Günther Hornig und Willy Wolff allemal. Und so verpönt wie immer behauptet war das spätestens seit Ende der Siebziger Jahre auch nicht mehr. Grafische Ausdrucksformen waren allerdings vielfältiger und differenzierter verbreitet als hier sichtbar werden kann. Die reichhaltige Komplexität der Kunst jener Jahre in jener geografischen Region muss eben erst noch entdeckt werden. Nur wer die Maske der Voreingenommenheit aufsetzt, wird Schwierigkeiten haben, sie zu erkennen.