Übertünchen! Dieses Urteil, in der »neuen Zeit« deutscher Einheit oftmals über Wandbilder aus der DDR gefällt, ereilte auch das von Siegfried Besser gemalte vielfigurige Sekko-Bild (1983/1991) in einem ehemaligen Erholungsheim von Tabarz (seit 2017 Bad), das ab 1983 für die Zöllner der DDR betrieben und 1991 zur Reha-Klinik umgenutzt wurde. Mit dem Hinweis, dass es im Gebäude doch genug weiße Flächen gebe, stellte sich der frühere Verwaltungsleiter Alfred Stollberg der Ausmerzung des Bildes entgegen. Deshalb sollte nur das inkriminierte Zöllner-Paar in Uniform durch ein anderes Motiv ersetzt werden. Nun gibt es seit Urzeiten weltweit Zöllner, die Geld eingetrieben, Schranken errichtet und Ärger gemacht haben. Vom Zoll konfiszierte Buchsendungen kamen bei mir zu DDR-Zeiten nicht an. Daran würde ich mich vor diesem Bild erinnern, wenn nicht der Koch am Grill statt des Zöllner-Paares gemalt worden wäre.
Siegfried Besser, der 1941 in Görlitz geboren wurde, vor 1990 in Erfurt ansässig war und jetzt in Marxhagen lebt, studierte an der Hochschule für Bildende Kunst Dresden bei Gerhard Bondzin, Jutta Damme und Rudolf Bergander und war längere Zeit Vorsitzender des Künstlerverbandes in Erfurt, wie das »Lexikon Künstler in der DDR« von Dietmar Eisold Auskunft gibt.
Bessers Wandbild ist eine harmonisch gestaltete Malerei auf trockenem Kalkgrund in durchscheinenden hellen Farben auf einer Fläche von dreieinhalb mal elfeinhalb Metern. Es befindet sich seitlich vor dem Speisesaal, gegenüber dem tiefer gelegenen Foyer. Zu den Seitenwänden hat Besser einen dekorativ-perspektivischen Rahmen gelegt. In dem »Wimmelbild« aus über fünfzig vor allem jüngeren Personen bieten sich dem Betrachter heitere Szenen der Erholung.
In der strengen Architektur des Erholungsheimes hat der Maler die Bildkomposition symmetrisch angelegt. Von zwei rahmenden Bildblöcken wird das etwa doppelt so große Mittelbild umfasst. Sie eröffnen und beschließen das Bild durch obere große dreigeteilte Fenster mit Blicken auf die bergige Landschaft, links im Sommer, rechts der Große Inselsberg im Winter. Unter den Fenstern erblickt man das innere Leben des Urlaubsheimes.
Am Bildbeginn gerät einiges miteinander in Widerspruch. Wo vorher das Zöllner-Paar zu sehen war, schiebt sich aus der zweiten Malphase der Koch am Grill in naturalistischer plastischer Form ins Bild und stößt »Löcher in die Wand«, ein form- und sinnironisches Motiv. Im Raumgefüge wird sonst die Räumlichkeit nicht tiefenräumlich ins Bild gebracht, sondern der italienischen Wandmalerei der Frührenaissance folgend, dem Prinzip der Raumdarstellung in architekturbezogener Malerei entsprechend, in flächenhafter Schichtung.
In der Bildmitte erheben sich zwei Laubbäume mit dekorativem blau-grünem Blattdach, dazwischen begrüßt ein Frauenpaar in Thüringer Tracht mit Klößen und Weinkelch. Etwas versetzt, fordert ein jagdbereiter Förster mit Finger am Munde Ruhe. Ein wanderndes Paar greift das Bildformat aus, als wollte es gleichsam aus dem Bild herausschreiten. In der Höhe des Thüringer Waldes – sie passieren gerade den Rennsteig – ist das Wandern anstrengend, wie es der pustende Mund des Mannes zeigt. Und die barfuß laufende Frau zeigt mit Sandalen in den Händen, ein sinnliches, humorvolles Motiv, geeignetes Schuhwerk sei erforderlich.
Zwei große halbkreisförmige Wasserflächen erinnern an die Teiche in der Nähe. Ein pfeifenschmauchender Angler genießt mit stundenlangem Warten die Ruhe. Neben dem Urlaubsheim befand sich in den 80er Jahren ein Schwimmbecken, wo sich heute die Schwimmhalle befindet. Miteinander wird gebadet und gescherzt, teils mit Freikörperkultur, in die sich durch den nackten Fotografen mit seiner üppigen Kamera ein Moment des Voyeurismus und inneren Gespanntseins schiebt.
Beide blauen Ruhezonen schieben die kontrastierende quirlige Komposition über sich an den oberen Bildrand, damit sie besser vom Foyer aus gesehen werden kann. Die Purzelbäume des Wohlbefindens, mit vielen Überschneidungen und Überdeckungen der Gestalten in frappierenden Untersichten und Verkürzungen, zeigen, wie der Maler die menschliche Figur beherrscht. Zuweilen neutralisieren sich ähnliche beieinander stehende Figuren; und die Akzeptanz vieler verschiedener Erholungsaktivitäten brachte eine gewisse Gleichförmigkeit hervor. Dennoch sind bildprägende Akzente zu erkennen. So der Gitarrenspieler mit Sängerin und Vorleserin, um die sich in musischer Atmosphäre junge Leute gruppieren. Gegen das sportive Motiv eines Radfahrers steht die Eleganz einer geheimnisvollen, rätselhaften Dame. Ein Mädchen steht dabei und kommuniziert per Funksprechgerät. Das massenhafte Starren aufs Handy gibt es noch nicht; die ständige Fernkommunikation beginnt erst.
Im rechten Bilderblock wird hingebungsvoll bis flott getanzt, Schach gespielt und am Ende des Bildes ferngesehen: Die Gesichter sind von der Bildscheibe hell angestrahlt, wie der Schein einer Mondscheibe, eine Distanz zur Passivität dieser Freizeitbeschäftigung. Im Kontrast daneben steht ein Gemälde auf einer Staffelei und wird von einer jungen Frau betrachtet und im Kunstgespräch besprochen. Das Bild im Bild ist das »Selbstportrait« (1890, Nationalgalerie Prag) des berühmtesten Malers der naiven Kunst, auf der Seine ein mit Wimpeln geschmücktes Schiff, die auf viele Nationen hinweisen, und der am Ufer stehende Henri Rousseau (1844-1910) mit Palette. Dieser Maler wurde, weil er beim Zoll angestellt war, achtungsvoll immer »Le Douanier« genannt, der Zöllner. Damit bleibt, dass dieses Wandbild den Zöllnern gewidmet war, nicht verborgen.
Mit der Betrachtung des Bildes könnte die vielfältige aktive Erholungskultur, die insgesamt in der DDR zu haben war, als eine Lebensleistung anerkannt werden. Allerdings war es nicht die Normalität, in einem solchen Heim das Urlaubsleben zu verbringen; das habe ich nie erreicht. Aktuell ist aber das Wandbild geblieben. Manche Anwendungen, die in der Reha-Klinik verordnet werden, oder andere Veranstaltungen berühren sich mit den Bildmotiven, setzen das Leben der Klinik bildhaft fort und liefern für Erholende heiteres Bildgeschehen in einer Zeit, in welcher für sie Harmonie und Lebensfreude benötigt wird.