Ganze Stillehren kann das ersetzen, was Kurt Tucholsky über den Gebrauch des Deutschen geschrieben hat. Er, der sich in dieser Hinsicht selber alles abverlangte und betrübt war, wenn ihm einfach nicht einfiel, was die Birkenblätter tun (siehe: »Mir fehlt ein Wort«), durfte auch gegenüber seinen Berufsgenossen radikal in den Ansichten sein: »Sprache ist eine Waffe. Wer schludert, der sei verlacht, für und für. Wer aus Zeitungswörtern und Versammlungssätzen seines dahinlabert, der sei ausgewischt, immerdar.«
In den Zeitungen aller Parteien herrsche »ein von Wichtigkeit triefender und von Fachwörtern schäumender Stil«. Die meisten Zeitungsartikel glichen gestopften Würsten. Geschwollenen Adjektiven solle man kalte Umschläge machen. Sarkastisch sein Urteil über bestimmte Essayisten; der Stil »jener Affen des Wortes« sehe grässlich aus. »Auf zwei hinkenden Barockbeinen kommt er einhergewankt.«
Nicht nur das ausgeprägte Sprachgefühl, sondern auch ein fundiertes Sprachwissen waren die Kontrolluhr Kurt Tucholskys. Sein Stil lebte von Bildhaftigkeit und Bildlichkeit, vom intellektuellen Schliff der Worte. Umso mehr ärgerte es ihn, feststellen zu müssen, dass Zeitungssprache in Modewörtern zu ertrinken drohe. Journalisten schrieben, »wie die Verkäufer von Seidenwaren sprechen: atemlos, eilig, alles immer im Superlativ, bewegt anpreisend. Alles wird auf die Spitze getrieben, von der es wackelnd wieder herunterfällt.«
Ein Paradebeispiel sei »mit«: »… sie schlucken den Satz herunter, würgen ihn wieder hoch, und das Wiedergekäute sieht dann so aus: ›Rathenau hat mit am meisten …‹ Es ist ganz und gar abscheulich: ›mit‹ ist eine Präposition oder Präfix eines Verbums – so aber, wie es sich da im Satz herumtreibt, ist es gar nichts, elendes Wrack vom Schiffbruch eines deutschen Satzes.«
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Kurt Tucholsky sprach auch Schachtelsätze an, »die man nur mit allen zehn Fingern lesen kann, auf jeweils einen Nebensatz einen Finger haltend, um den Faden nicht zu verlieren«. Ihm ging es ferner um jenen Stil, »den man etwa mit ›Grammatik in Latschen‹ umschreiben könnte, einen Stil, der den Leser gewissermaßen in die Seite pufft: du weißt schon, wie ich’s meine, ich brauche mich nicht so exakt auszudrücken«.
Es gebe Essays, »die ohne Dazutun des Autors in die Schreibmaschine trudeln«. Verwickelte Dinge könne man nicht simpel ausdrücken, aber doch einfach. »Dazu muß man sie freilich zu Ende gedacht haben, und man muß schreiben, ohne dabei in den Spiegel zu sehen.« Sonst sei der Stil eine Landschaft, durch die Mayonnaise fließe.
Wer sich heutzutage über die Fach- und Fremdwörter äußern will, ist gut beraten, den Beitrag »Die hochtrabenden Fremdwörter« zu lesen. Einer Leserbriefschreiberin antwortete Tucholsky 1930: »Etwa die Hälfte aller Fremdwörter kann man vermeiden; man sollte es auch tun – und dass du keine ›Puristin‹ bist, keine Sprachreinigerin, keine von denen, die so lange an der Sprache herumreinigen, bis keine Flecke mehr, sondern bloß noch Löcher da sind, das weiß ich schon.« Allerdings gebe es auch die andere Seite. Wolle man verwickelte Gedanken darstellen, so müsse man sich auch der Fach- und Fremdwörter bedienen. – Dass Öffentlichkeitsarbeit und Werbung einmal so stark anglisiert werden würden, konnte Kurt Tucholsky nicht ahnen.
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»Wenn Ibsen wiederkäme«, überschrieb der Mann mit den vielen Pseudonymen einen Beitrag und befand: »Andre Kämpfe würde er gestalten, andere Menschen, andre Zwiespalte …« Doch sogleich kamen ihm Zweifel. Das Kapital habe sich »die Köpfe gekauft, und der gilt als rückständig, der nicht in einem Bankenkonzern eine Idee sieht«. Ibsen sollte es einmal wagen, »direkt die Beherrschung (oder wenigstens den Versuch dazu) der Börse über den Geist in den Mittelpunkt einer Handlung zu setzen!«
Niemand werde Ibsen beispringen. Die Jungen hätten »Vereine gegründet, Lobesversicherungsgesellschaften A.G. (auf Gegenseitigkeit), die darüber wachen, dass einer den andern und der andre den einen fördert, druckt und belobt«. Dreizehn Jahre später vermerkte Kurt Tucholsky nicht ohne Wohlwollen, es gebe inzwischen »schon eine Reihe vernünftiger und mutiger Provinzredakteure …, sie fangen nicht ohne eigenes Risiko die Bälle auf, die von hier aus geschleudert werden, und geben sie weiter«.
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Wenn journalistisch-literarische Texte ihre Zeit überdauern, dann nicht nur wegen ihrer Aktualität, sondern auch wegen ihrer sprachlichen Brillanz. Kurt Tucholsky hat Sprachdenkmäler gesetzt. Er liebte das Handwerkliche, das für ihn kein Ziel war, jedoch eine Voraussetzung. Was er dem von ihm verehrten Weltbühnen-Kollegen Alfred Polgar in der Buchbesprechung »Schwarz auf Weiß« lobend bescheinigte, traf auf Tucholsky mindestens in gleicher Weise zu. Auch er arbeitete an einer Seite Prosa wie »an einer Bildsäule«, schrieb ein »gepflegtes, durch alle Regeln der Grammatik schlüpfendes Deutsch«. Auch bei Kurt Tucholsky drängeln sich die Worte nicht »vor der Hirnpforte des Lesers. Sie gleiten hinein, verbeugen sich artig voreinander …« Auch er wollte und konnte »der deutschen Sprache nie etwas Böses tun«. Auch er hat ihr nur »viele prächtige Kinder gemacht«.