Ich schreibe dies am 9. November, wenige Stunden vor dem Zeitpunkt, an dem vor dreißig Jahren die Mauer geöffnet wurde. Inzwischen sind überall auf der Welt Mauern eröffnet aus Eisen und Stahl oder aus Meereswasser rund um Europa. Um die »Festung Europa«, wie schon Goebbels den von den Deutschen eroberten Kontinent nannte.
Ich schreibe, es ist kurz vor acht Uhr abends. Damals vor dreißig Jahren sprach Günter Schabowski vom SED-Zentralkomitee sein verwirrtes »ab sofort, unverzüglich«. Auch ich freute mich. Auch ich hielt es für arrogant und lächerlich, dass der autoritäre Sozialist Erich Honecker vor noch nicht so langer Zeit die Mauer in Berlin einen antifaschistischen Schutzwall genannt hatte, dessen Errichtung den Frieden gerettet habe. Dass er sich darauf berief, es gebe doch auch eine »bewachte Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko« – heute wird dort die Mauer vollendet. Von Frieden keine Rede. Er ist für andere Völker abgeschafft.
Es begann 1999 mit der Fortsetzung des Krieges gegen Jugoslawien, den Deutschland 1941 eröffnet hatte, der nach Hitlers Tod unterbrochen wurde und erst nach dem Endsieg des Sozialdemokraten Gerhard Schröder befriedigend und befriedend beendet werden konnte. Dann folgte die noch anhaltende Verteidigung unserer Sicherheit – sie war von den Afghanen bedroht – am Hindukusch. Mit bedeutenden Einzelsiegen. Erinnert sei an Oberst Georg Klein, heute General.
Honecker hat fürchterlich recht behalten. Als schon bald pogromartige Zu-stände in Rostock-Lichtenhagen ausgebrochen wurden, als dort die Mordlust regierte, während der aus dem Westen importierte Polizeipräsident gerade mal sein Hemd wechseln musste, da trugen viele in Lichtenhagen parkende Autos die Kennzeichen HH und HL. Der Schutzwall war gebrochen. Heute ist der Nationalsozialistische Untergrund auf freiem Fuß – nur Beate Zschäpe sitzt für ihre lebenden Kameraden. Ein CDU-Politiker wurde in der Gegend von Kassel von einem VS-bekannten Faschisten erschossen, dort wo auch – zumindest in Gegenwart eines Verfassungsschützers – einer der anerkannten NSU-Morde geschah. Die Ermittlungsakten bleiben mit Einwilligung des gegenwärtigen schwarzgrünen Ministerpräsidenten Volker Bouffier für 120 Jahre geschlossen. Inzwischen treffen gegen prominente Grüne aus den USA Morddrohungen des dortigen Nazi-Untergrunds ein, vom deutschen Zweig der 2015 in den USA gegründeten mord-erprobten »Atomwaffendivision«.
Annegret Kramp-Karrenbauer wiederum feiert das dreißigjährige Jubiläum des Mauerfalls, indem sie in der ganzen Woche zuvor immer neue Forderungen nach neuen deutschen Militär-»Missionen« – sie ist Christin – in alle Welt aufstellt. Zuallererst für Syrien. Aber Verantwortung ruft noch lauter. Kein Fleck dieser Erde soll vor dem deutschen Soldaten sicher sein. »Wir können voller Stolz sagen«, eröffnete sie am 7. November den Lesern der Süddeutschen Zeitung, dass »wir bisher unsere Beiträge geliefert haben, ob das nun in Afghanistan, Mali oder an vielen anderen Stellen der Welt ist. Wir müssen aber künftig auch offen damit umgehen, dass wir so wie jedes andere Land dieser Welt eigene strategische Interessen haben«.
Voll Sympathie hat der Deutschlandfunk im repräsentativen Wochenendkommentar vom 9. November AKKs Aufbruch in neue, größere Krieg begleitet: Mit ihrer Grundsatzrede habe die Verteidigungsministerin einen Nerv getroffen. Sie habe den »Widerspruch zwischen den moralischen Ansprüchen und der Zuschauerrolle Deutschlands« thematisiert und gehandelt: »Rede, Interview, Rede: In schneller Abfolge hat […] Annegret Kramp-Karrenbauer diese Woche einen zweiten Vorstoß in der deutschen Außenpolitik gewagt. Nach dem Vorschlag für eine UN-Sicherheitszone in Nordsyrien fordert sie jetzt einen Nationalen Sicherheitsrat, deutsche Lösungsvorschläge für internationale Krisen, erheblich mehr Geld für das Militär bis 2031, mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr und ein vereinfachtes Zustimmungsverfahren des Bundestages. Mit voller Absicht hat die CDU-Chefin damit fünf Debatten gleichzeitig ausgelöst – um eine aus ihrer Sicht zu große Behaglichkeit in der deutschen Außenpolitik zu stören.«
Die behagliche deutsche Außenpolitik stören – dem nicht ganz so aggressiven Außenminister schickte sie schnell mal zur Unterrichtung über den neuen Kurs eine SMS – das ist die Aufgabe der neuen Kriegsministerin.
»Kramp-Karrenbauers Weckruf«, überschrieb der Deutschlandfunk seinen Kommentar. Weckruf? Richtig, AKKs »Deutschland erwache« wird Großdeutschland – egal, ob das von Wilhelm Zwo oder Adolf I. – auf dem modernen Niveau unserer Gegenwart wiedererwecken.