»Die größte Feigheit besteht darin, einem Befehl zu gehorchen, der eine moralisch nicht zu rechtfertigende Handlung fordert«, urteilte der ehemalige US-Justizminister Ramsey Clark, nachdem er die von den US-Truppen 1991 während der »Operation Desert Storm« verübten »US-Kriegsverbrechen am Golf« (so der Titel seines Buches) in Augenschein genommen hatte. Diese Problematik wurde auch in der Bundeswehr brisant, seit die Bundesrepublik Deutschland nach dem Ende des Kalten Krieges angeblich auf dem Balkan oder sogar am Hindukusch verteidigt wird. Einzelne Soldatinnen und Soldaten beschlossen, statt bedenkenlos Befehle von Vorgesetzten auszuführen, die sie für unvereinbar mit Grundgesetz- und Völkerrechtsnormen hielten, lieber ihrem Gewissen und Diensteid zu folgen. All diese Verweigerer des Kriegsdienstes gingen hohe persönliche Risiken ein – immerhin sind Gehorsamsverweigerung und Ungehorsam nach dem deutschen Wehrstrafgesetz Straftaten, die mit Freiheitsentzug geahndet werden können.
So weigerte sich bereits 1999 während des völkerrechtswidrigen Luftkriegs der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ein gutes Dutzend Luftwaffenpiloten, mit ihren »Tornados« die ihnen befohlenen Luftangriffsmissionen zur »Unterdrückung der gegnerischen Luftabwehr«, wie es im Militärjargon hieß, zu fliegen. Der Vorgang blieb damals weitgehend unbeachtet, da es mit den Luftwaffenpiloten zu einer stillschweigenden Einigung kam – hauptsächlich wohl deshalb, weil der Bundesregierung an einem medienwirksamen Prozeß durch alle Instanzen bis möglicherweise vor das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof nicht gelegen sein konnte (sie wußte ja, daß die »Operation Allied Force« unvereinbar mit dem in der Satzung der Vereinten Nationen kodifizierten Völkerrecht war).
In der Folgezeit indes legte die Bundeswehrführung weitaus weniger Behutsamkeit im Umgang mit widerständigem Verhalten von Soldatinnen und Soldaten an den Tag, wie drei Fälle zeigen, die durch ihre rechtliche Bewertung und Sanktionierung besondere Bedeutung erlangten. Der erste davon betrifft den Bundeswehrmajor Florian Pfaff (s. Ossietzky 08/08, 13/08, 14/08), der zweite den Autor selbst (s. Ossietzky 21/08) und der dritte die Sanitätssoldatin im Dienstgrad eines Hauptfeldwebels Christiane Ernst-Zettl. Verbrieft sind darüber hinaus mehrere Fälle teils anerkannter, teils abgelehnter Kriegsdienstverweigerungen von aktiven und ehemaligen Soldaten und Soldatinnen bis hinauf in die Offiziersränge, die ihre Gewissensentscheidungen ausdrücklich mit den kriegerischen Missionen der Bundeswehr begründen.
Während in den Fällen Pfaff und Rose um das ius ad bellum, also das Recht zum Krieg, gestritten wird, geht es im Fall der Sanitätssoldatin Christiane Ernst-Zettl um das ius in bello, das Recht im Kriege, genauer gesagt: das humanitäre Völkerrecht. Letzteres zählen die Völkerrechtler zum ius cogens, dem immer und überall zwingend einzuhaltenden Recht.
Den Anlaß für den Konflikt lieferte der bis heute andauernde völkerrechtswidrige Einsatz von Sanitätspersonal der Bundeswehr für Wach- und Sicherungsdienste (die sogenannte Lagersicherung) in Afghanistan – einer der Gründe, warum die Bundesregierung, allen voran »Bundessituationsminister« Franz Josef Jung, so vehement darauf insistiert, daß sich die Bundeswehr am Hindukusch nicht im Krieg, sondern lediglich in einer »anderen Situation« befinde. Die Sanitäter sollen nicht etwa ausschließlich Sanitätseinrichtungen, zum Beispiel ein Feldlazarett, bewachen, was völkerrechtlich durchaus zulässig ist, sondern an der umfassenden militärischen Absicherung der Garnisonen der multinationalen Streitkräfte mitwirken. Hierfür wurden Sanitätssoldaten sogar am Maschinengewehr als Kämpfer eingesetzt, nachdem ihnen zuvor das Ablegen der Rotkreuz-Armbinden befohlen worden war.
Christiane Ernst-Zettl war in der Klinikkompanie des Sanitätseinsatzverbandes im 7. Kontingent der »International Security Assitance Force« (ISAF) der NATO eingesetzt. Am 16. April 2005 wurde sie zum völkerrechtswidrigen Dienst an der Waffe befohlen, als sie im Rahmen der militärischen Absicherung von Camp Warehouse, der in Kabul gelegenen Garnison der multinationalen ISAF, Personenkontrollen an afghanischen Frauen vornehmen sollte, die als lokale Arbeitskräfte bei der ISAF beschäftigt sind. Hierbei sollte sie ihre Rotkreuz-Armbinde ablegen, woraufhin sie beim Sicherungszugführer, einem Oberleutnant, vorstellig wurde, um ihm zu melden, daß sie im Sinne des humanitären Völkerrechts Nichtkombattant sei und daher für Sicherungsaufgaben nicht eingesetzt werden dürfe. Allein für ihre Meldung und den damit verbundenen Versuch, sich an die Bestimmungen der Genfer Konventionen zu halten, wurde die Soldatin mit einer Disziplinarbuße von 800 Euro belegt und »repatriiert«, das heißt, strafweise nach Deutschland zurückkommandiert. Die Begründung dafür wirkt bizarr: Sie habe mit ihrem Verhalten den Sicherungszugführer verunsichert und so den ordnungsgemäßen Dienstablauf behindert.
Das zuständige Truppendienstgericht Süd wies die Beschwerde der Soldatin gegen die Maßregelung mit der absurden Begründung ab: »Ihr mußte klar sein, daß der Sicherungszugführer diese Frage nicht sofort klären konnte ... und sie hat diesen damit bewußt instrumentalisiert.« Sie habe nämlich – so das Gericht – die Angelegenheit drei Tage zuvor schriftlich ihrem Disziplinarvorgesetzten gemeldet und darauf noch keinen Bescheid erhalten. Die Richter sahen darin einen »Mißbrauch ihrer Rechte zu Lasten eines Kameraden«, warfen ihr vor, den Dienstbetrieb gestört zu haben, und attestierten ihr obendrein, ihr Handeln werfe »ein bedenkliches Licht auf ihren Charakter«.
Wie das Gericht betonte, wurde ihr freilich »kein Ungehorsam vorgeworfen«, obwohl sie sich mehrfach ostentativ geweigert hatte, dem ihr erteilten Befehl Folge zu leisten, das international anerkannte Schutzzeichen des Roten Kreuzes abzulegen. Da es sich bei der gegen sie verhängten Disziplinarbuße gemäß Wehrdisziplinarordnung lediglich um eine »einfache Disziplinarmaßnahme« handelte, war gegen die letztinstanzliche Entscheidung des Truppendienstgerichtes kein weiteres Rechtsmittel gegeben.
Die Perfidie der geschilderten Verfahrensweise darin liegt, daß Soldaten abgeschreckt werden können, sich mit den rechtlichen oder auch moralischen Implikationen ihres Handelns auseinanderzusetzen. Darüber hinaus illustriert der vorliegende Fall – ähnlich wie die einschlägigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht – erneut die Ohnmacht des Bürgers mit und ohne Uniform gegenüber den immer offener zutage tretenden Tendenzen der Exekutive zum habituellen Völkerrechtsbruch. Das deprimierende Resultat der Causa Ernst-Zettl: Eine völkerrechtstreue Soldatin wurde sang- und klanglos abgestraft, im Bundesministerium der Verteidigung lachen sich die Völkerrechtsverbieger ins Fäustchen, und in Afghanistan liegen weiterhin die Sanitäter hinterm Maschinengewehr, um sich ihre Kundschaft selbst zu schießen. Glorreiche Zeiten am Hindukusch.
Jürgen Roses Artikelserie zur Ächtung des Angriffskriegs wird fortgesetzt. Der Autor, Oberstleutnant der Bundeswehr, ist aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, daß er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen darlegt.