Am Golf von Aden soll die Bundesmarine Piraten jagen. Es reiche nicht, Deutschlands Freiheit am Hindukusch zu verteidigen, die deutsche Verantwortung für den Weltfrieden fordere auch diesen Beitrag. Er entspreche dem Völkerrecht und dem Grundgesetz, behauptet die Bundesregierung. Stimmt das?
Einer der ältesten Bestände des Völkerrechts sind die Regelungen über die Bekämpfung der Piraterie. In den Artikeln 100 ff. des Seerechtsübereinkommens von 1982 haben sie ihre heute geltende Fassung erhalten. Die Seeräuberei wird dort als private, keinem Staat zuzuordnende, außerhalb staatlicher Hoheitsgewässer begangene kriminelle Handlung verstanden. Wenn die Seeräuber Gewalt anwenden, gilt sie nicht als Gewalt in den internationalen Beziehungen, nicht als zwischenstaatliche Gewalt. Die Staaten sollen bei der Bekämpfung der Seeräuberei zusammenarbeiten (Art. 100). Jeder Staat kann, muß aber nicht gegen die Piraterie vorgehen. Welche Mittel ihm hierbei erlaubt sind, sagt Artikel 105. Ein Seeräuberschiff kann aufgebracht (beschlagnahmt), aber nicht einfach versenkt werden (Art. 105). Die Mannschaft kann festgenommen und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Militärische Maßnahmen allerdings – Vernichtung von Material und Menschen – sind ausgeschlossen. Es geht hier nicht um individuelle oder kollektive Selbstverteidigung auf einen Angriff von außen oder einen militärischen Beitrag im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems wie der UN gegen einen Bruch oder eine Bedrohung des internationalen Friedens.
Den Staaten ist nicht vorgeschrieben, wie sie die Bekämpfung der Piraterie angehen. Ausdrücklich läßt Art. 107 ihnen die Wahl zwischen Schiffen oder Flugzeugen des Militärs oder der Polizei. Diese Wahl können sie nach ihrem innerstaatlichen Recht treffen. Die Aktion darf jedenfalls kein »militärisches Gepräge« haben, um es in der Sprache des Bundesverfassungsgerichtes im jüngsten AWACS-Urteil auszudrücken. Jeder Staat hat dafür zu sorgen (zum Beispiel durch Richtlinien für seine militärischen Einsatzkräfte), daß das zivile, eben polizeiliche Gepräge der gewählten Maßnahmen gewahrt bleibt.
In den Massenmedien, zunehmend unterstützt aus Kreisen der Schiffseigner, aber auch in der Politik mehren sich Stimmen, die die gegenwärtige Bekämpfung der Piraterie als nicht wirksam genug kritisieren. Sie propagieren zum Beispiel eine Versenkung der sogenannten Mutterschiffe, von denen aus vor der Küste Somalias kleine, mit schweren Waffen ausgestattete Schnellboote zu den eigentlichen Piratenangriffen starten. Diskutiert wird auch eine Bewaffnung der Handelsschiffe. Derartige Vorschläge übersehen den tieferen Sinn der völkerrechtlichen Regeln zur Bekämpfung der Piraterie. Zu den Grundprinzipien des Völkerrechts gehört nämlich die strikte Unterscheidung von Kriegs- und Friedensrecht mit den wichtigen Differenzierungen im Landkrieg von Kombattanten und Zivilpersonen, von Staatseigentum und privatem Eigentum. Diesen Landkriegsregeln folgt zur See die Unterscheidung von Kriegs- und Handelsschiffen. Hauptaufgabe der Unterdrückung der Piraterie ist die Sicherung der Handelswege der »friedlichen« Schifffahrt, also die Sicherung des privaten Eigentums. Jede Militarisierung, zum Beispiel durch Bewaffnung der Handelsschiffe oder durch
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Somalia
Ein Land, das seit Jahren von Bürgerkriegen, Hungerkatastrophen und massenhaften Fluchtbewegungen gepeinigt ist. Ein »gescheiterter Staat«, wie die westlichen Politiker gern sagen – aber was sind die Gründe für diese elende Lage? Selbstgemachte?
Somalias Geschichte ist exemplarisch für die zerstörerische Langzeitwirkung kolonialer und neokolonialer Landnahme, in diesem Fall nicht nur aus Gier nach Ausbeutung von Ressourcen, sondern vor allem aus dem Streben nach einem Stützpunkt für geostrategische Macht auf See, um den Zugang zum Roten Meer beziehungsweise zum Indischen Ozean unter Kontrolle zu bringen. Teils britische, teils italienische Kolonialherrschaft und, nach der Unabhängigkeit, militärische Interventionen der USA, zuletzt mit äthiopischen Hilfstruppen, haben die Verhältnisse herbeigeführt, denen jetzt die Tränen der politischen Krokodile gelten.
Piraterie in den Gewässern vor Somalia hat übrigens Tradition, und zwar eine europäische. Vasco da Gama, berühmt als Entdecker des Seeweges nach Indien und damit maritimer Pionier des portugiesischen Kolonialismus, versuchte dort zeitweilig mit Erfolg, den gewinnträchtigen Seehandel von Indien nach Arabien gewalttätig abzuschöpfen. Der portugiesische König verschaffte ihm die Würdigung als »Christusritter«.
A. K.
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den Einsatz militärischer Mittel zur Versenkung eines Piratenschiffs (also zur Vernichtung von Vermögensgegenständen und Menschen, darunter auch Geiseln), würde zu Komplikationen führen, die das ganze, in Jahrhunderten gewachsene Völkerrechtssystem durcheinanderbrächten.
Die Praxis des UN-Sicherheitsrates hat sich an die hier skizzierten Grundsätze gehalten. Das gilt auch für seine jüngste Resolution 1816 zur Situation vor der somalischen Küste. Behauptungen, sie enthalte eine Ermächtigung, auf die sich ein Bundeswehreinsatz stützen könne, sind falsch. Der Sicherheitsrat vermeidet alles, was als Ermächtigung zu Militärmaßnahmen gedeutet werden könnte.
Die Resolution geht in keinem Punkt über die Verpflichtungen der Seerechtskonvention hinaus. Auch der Gebrauch des Wortes Ermächtigung legt keinen anderen Schluß nahe. Liest man die Ziffer 7 genau, so ist den Staaten, die mit der somalischen Übergangsregierung – bekanntlich einer Regierung auf sehr schwachen Füßen – bei der Bekämpfung der Piraterie zusammenarbeiten, für sechs Monate das Recht gegeben, in die Hoheitsgewässer Somalias einzulaufen und »alle notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung seeräuberischer Handlungen und bewaffneter Raubüberfälle in einer Weise anzuwenden, die den nach dem einschlägigen Völkerrecht auf Hoher See zulässigen Maßnahmen gegen Seeräuberei entspricht«.
Es fällt auf, wie sorgsam, fast ängstlich diese Passage formuliert ist, um den Staaten nur ja keinen Vorwand zu liefern, aus der Resolution einen Blankoscheck für ein Tätigwerden herauszulesen, das über die bisherigen Regelungen zur Bekämpfung der Piraterie hinausgeht. Damit keine Mißverständnisse entstehen können, bekräftigt der Sicherheitsrat in Ziffer 9, »daß die in dieser Resolution erteilte Ermächtigung ausschließlich auf die Situation in Somalia Anwendung findet und die Rechte, Pflichten oder Verantwortlichkeiten der Mitgliedstaaten nach dem Völkerrecht, einschließlich der Rechte oder Pflichten nach dem Seerechtsübereinkommen, in Bezug auf jede andere Situation unberührt läßt, und unterstreicht insbesondere, daß sie nicht so anzusehen ist, als werde dadurch Völkergewohnheitsrecht geschaffen.«
Die Staaten dürfen also bei der Bekämpfung der Piraterie nur mit strafrechtlichen beziehungsweise polizeilichen Mitteln vorgehen, ganz gleich ob sie Polizei
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Milizei und Politär
Die innenpolitische Intention der Forderung »Mit der Bundesmarine gegen Piraten« liegt auf der Hand: »Der Weltlauf zeitigt Folgen, die kaum jemand für möglich gehalten hätte«, schreibt die
Welt am Sonntag über die Besorgnis, daß deutscher Militäreinsatz zu »Polizeiaufgaben« vor Somalia »das Tor zum Einsatz der Bundeswehr im Innern der Bundesrepublik« aufstoße, und so kann Wolfgang Schäuble mit diesem Weltlauf recht zufrieden sein.
Auch die
Frankfurter Allgemeine plädiert für deutsche Marineeinsätze gegen Piraten; am Horn von Afrika erweise sich, daß »innere und äußere Sicherheit nicht mehr scharf zu trennen« seien, und so müßten eben »polizeiliche Aufgaben mit militärischen Mitteln« gelöst werden.
Peter Söhren
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oder Militär einsetzen. Die Bundesrepublik aber, die aus bekannten historischen Gründen nach Art. 87a Abs. 2 GG strikt zwischen Polizei und Militär zu unterscheiden hat, darf für polizeiliche Aufgaben nicht das Militär einsetzen, auch nicht für die Bekämpfung der Seepiraterie.
In der Praxis der Bundeswehreinsätze ist diese Unterscheidung längst verwischt. So soll sich auch die Bundesmarine, die im Rahmen ihres »Operation Enduring Freedom (OEF)«-Mandates am Golf von Aden operiert, just an einem Einsatz der hier diskutierten Art beteiligt haben. Damit verstößt die Bundesrepublik nicht gegen Völkerrecht, aber gegen ihr Verfassungsrecht – nach der altbekannten Manier, erst eine Zeitlang verfassungswidrig zu handeln oder verfassungswidriges Handeln zu dulden, um später die Norm der Praxis anpassen zu können, oft mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts. Ohne ausdrücklichen Verfassungsauftrag, der durch Änderung von Art. 87a Abs. 2 und/oder Art. 35 GG erst erteilt werden müßte, darf das Militär nicht handeln.
Könnte man, um diesen Schwierigkeiten auszuweichen, stattdessen ein Boot der Küstenwache der Bundespolizei mit einer Einheit der GSG 9 zu einem EU-Einsatz schicken? Nach dem Bundespolizeigesetz mag das möglich erscheinen. Die verfassungsrechtlich fragwürdige Praxis hat den Bundesgrenzschutz als Sonderpolizei des Bundes längst zu einer allgemeinen Bundespolizei umgewidmet. Nachdem die Bundeswehr ungeachtet des Art. 87a GG polizeiliche Funktionen usurpiert, sollen offensichtlich jetzt die letzten Hemmnisse für eine völlige Militarisierung der Polizei beseitigt werden.
Bei Einsätzen der Polizei gegen Seepiraten würde sich zudem unter Umständen eine Zustimmung des Bundestages nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz erübrigen. Das mag den Intentionen mancher Koalitionspolitiker entgegenkommen, befreit sie aber nicht von einem anderen Dilemma: Offenbar sind die bundespolizeilichen Kapazitäten zur See noch nicht so entwickelt, daß sie für derartige Einsätze ausreichen – und daher denkt man nun doch wieder an Marineeinsätze. Wie jüngst in einigen Medien berichtet, will man diese mit Bundespolizisten aufstocken, die entweder gleich mitfahren oder bei Bedarf eingeflogen werden. So soll bei der Jagd auf Piraten der Logik des Bundesverfassungsgerichtes entsprochen werden, daß es sich hier nicht Aufgaben in einem System gegenseitiger kollektiver Selbstverteidigung handelt, sondern um Maßnahmen, die kein »militärisches Gepräge« haben dürfen. Sie fielen daher aus Art. 24 Abs. 2 GG heraus und müßten nach Art. 87a Abs. 2 GG beurteilt werden.
In der rechtlichen Diskussion wird ein anderer Weg vorgeschlagen, um jegliche Kollision mit dieser Logik zu vermeiden. Die für den staatlichen Innenbereich gedachte Unterscheidung von Militär und Polizei sei ohne Bedeutung, sobald in dem völkerrechtlichen System selbst, in dem die Bundesrepublik als Einzelstaat handelt (um zur EU-Mission nach UNO-Resolution 1816 beizutragen), kein Wert auf diesen Unterschied gelegt werde. Verlasse man den staatsinternen Bereich, gelange man in eine Art Niemandsland zwischen Völker- und Verfassungsrecht. Hier habe die Verfassung ihre Geltungskraft verloren.
Es gibt einen Vorschlag des Inspekteurs der Marine, den Art. 87a mit der Formulierung zu ergänzen: »Außerhalb der Territorialgewässer gilt das Völkerrecht.« Was galt denn da draußen bislang? Zumindest verbeugt sich der Inspekteur uneingestanden vor der Normativität des GG, die dem gewünschten Einsatz entgegensteht. Ob der Einbau einer Art völkerrechtlicher »Rückverweisung« aber die funktionelle Trennung von Militär und Polizei nach Art. 87a Abs. 2 GG für einen wichtigen, wenn auch exterritorialen Bereich aufzuheben vermag, ist fraglich. Jedenfalls würde eine solche Bestimmung die in der Praxis längst erfolgte Vermischung von polizeilicher und militärischer Aktivität forcieren.
Angesichts all des Nebels, der da geworfen wird, müßten die Alarmglocken schrillen. Die völkerrechtliche Norm räumt mit der Wahlmöglichkeit den Staaten einen eigenen Beurteilungsspielraum ein. Dieser ist von der Bundesrepublik wahrgenommen und ausgeschöpft worden, und zwar durch Begründung des gegenwärtigen Rechtszustandes, der eben nicht nur materiell, sondern auch funktionell die strikte Trennung von Militär und Polizei gemäß Art. 87a Abs. 2 vorsieht. Ohne Tätigwerden des Verfassungsgebers – das Mindeste wäre eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – verliert dieser Rechtszustand nicht seine Geltung, auch nicht durch normwidrige Praxis der Exekutive. Es wurden Vorschläge gemacht, all diese Mängel durch einen konstitutiven Parlamentsbeschluß nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz als geheilt zu erklären. Ein abenteuerlicher Umgang mit der Verfassung, den man schon gewohnt ist, gewiß!
Die deutsche Politik will im Golf von Aden Piraten jagen. Das Stereotyp »deutsche Verantwortung«, mit dem allemal Militäreinsätze gemeint sind, läßt Nachdenken über den »zerfallenen Staat« Somalia und die Ursachen des Zerfalls, also auch über die verzweifelte Ausgangsbasis dieser Art von Piraterie, erst gar nicht aufkommen. Zu bedenken wäre auch diese Erfahrung aus der Kolonialgeschichte: Krieg gegen Piraten diente oft einer Expansion eigener Macht.