Mehr als 280.000 Berliner haben den Gesetzentwurf des Volksbegehrens unterschrieben, der vom Senat die Offenlegung der Geheimverträge mit den teilprivatisierten Berliner Wasserbetrieben verlangt. Das ist gegenüber einem Spendeneingang von nur etwa 19.000 Euro ein beachtlicher Erfolg. Die Berliner haben damit bewiesen, daß es nicht auf große Geldmittel ankommt, sondern auf die sozialen Kontakte, die wir alle haben. Und so hat sich der »Berliner Wassertisch«, von dem die Initiative ausging, bei allen bedankt, die das Volksbegehren unterschrieben und auch Freunde, Kollegen, Nachbarn informiert haben. Trotz dieses gemeinsamen Erfolges steht die eigentliche Herausforderung noch bevor: Für der Volksentscheid, der bis März nächsten Jahres stattfinden muß, sind 610.000 Berliner Stimmen erforderlich. Erst dann ist das Gesetz zur vollständigen Offenlegung der Geheimverträge rechtswirksam.
Zwei Tage nach dem erfolgreichen Abschluß des Volksbegehrens veröffentlichte die tageszeitung im Internet die Verträge. Viele glauben, mit dieser Aktion sei das Ziel des Volksbegehrens erreicht. Doch zwischen der Veröffentlichung von Geheimdokumenten in den Medien oder – wie vom Volksbegehren gefordert – durch ein verbindliches Gesetz bestehen erhebliche Unterschiede. Zum Beispiel wird im Gesetzestext des Volksbegehrens nicht nur die vollständige Offenlegung der Verträge, sondern auch die Offenlegung von Beschlüssen und Nebenabreden gefordert. Und wenn jetzt angeblich alle Geheimnisse offengelegt worden sind, warum weigert sich der Senat dann so hartnäckig, das Volksbegehren anzunehmen und den Gesetzestext in vollem Umfang umzusetzen? Es ist doch jetzt angeblich alles bekannt! Aber statt das Gesetz anzunehmen und umzusetzen, verhandelt der Senat lieber mit den privaten Anteilseignern hinter verschlossenen Türen. Und Wirtschaftssenator Harald Wolf (Die Linke) vertraut darauf, daß das Bundeskartellamt es schon richten und den Berlinern günstige Wasserpreise bescheren wird ...
Immerhin hat die Offenlegung der Geheimverträge gezeigt, daß die Verpflichtung der Vertragspartner, »über den Inhalt dieses Vertrages … absolutes Stillschweigen zu bewahren«, bei weitem nicht die ganze Wahrheit ist. Denn wie in dem gleichen Artikel des Vertrages weiter geschrieben steht, wird dieses Schweigegelübde aufgehoben, sobald »aufgrund gesetzlicher Vorschriften eine Verpflichtung zur Offenlegung besteht…« Eben diese Voraussetzung schafft der Volksentscheid. Daher ist nicht zu verstehen ist, warum der Senat mit Halbwahrheiten die Bevölkerung vorsätzlich in die Irre führt.
Schon während des Volksbegehrens startete Wirtschaftssenator Wolf ein weiteres Ablenkungsmanöver, indem er das Bundeskartellamt beauftragte, die Wasserpreise zu prüfen. Das Bundeskartellamt prüft jedoch nicht die Geheimverträge, sondern vergleicht die Wasserpreise in Großstädten. Selbst wenn dann das Bundeskartellamt beschließen sollte, daß die Wasserpreise um 30 Prozent gesenkt werden müssen, bleibt zu befürchten, daß die vertraglich garantierten Gewinne für die Konzerne RWE und Veolia, die 49,9 Prozent der Anteile an den Wasserbetrieben besitzen, aus dem verschuldeten Haushalt bezahlt werden müssen (im letzten Geschäftsjahr wurden 130 Millionen Euro an sie ausgeschüttet). Diese »Schleuse« zum Haushalt ist in den Verträgen vereinbart. Solange die Geheimverträge gelten, ist der Berliner immer der Dumme und wird zur Kasse gebeten: entweder als Gebührenzahler oder als Steuerzahler. Darum müssen diese Verträge nicht etwa hinter verschlossenen Türen nachverhandelt, sondern gesetzlich offengelegt und angefochten werden!
Das Volksbegehren zur Offenlegung der Geheimverträge ist ein wichtiger Schritt zur kostengünstigen, bürgernahen und verbraucherfreundlichen Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe. Aber auch eine Rekommunalisierung ist nicht unentgeltlich zu haben, denn eine Enteignung ohne Entschädigung ist in unserer Verfassung nicht vorgesehen. Entscheidend ist daher die Frage, zu welchen Bedingungen und zu welchem Preis die Betriebe rekommunalisiert werden können. RWE und Veolia werden sicher darauf bestehen, daß die geheimvertraglichen Gewinngarantien unbefristet weitergelten und in die Rückkaufsumme eingestellt werden. Das wäre dann keine kostengünstige, sondern eine investorenfreundliche Rekommunalisierung – oder anders formuliert: ein profitables Geschäftsmodell zu Lasten der Berliner Verbraucher. Das darf nicht geschehen, genau deshalb müssen die Vereinbarungen des Geheimvertrages nach einem erfolgreichen Volksentscheid gerichtlich angefochten werden.
Angenommen, die Verständigung auf eine angemessene Rückkaufsumme gelingt, dann muß dieser Betrag aufgebracht werden. In Anbetracht der Schuldenlast werden sich alle fragen: Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Und da wären wir bei den Banken und der Finanzkrise: Die Banken werden für ihre katastrophale Geschäftspolitik belohnt, indem sie von der Europäischen Zentralbank (EZB) billiges Geld zum Leitzins von einem Prozent bekommen. Begründet wird das mit dem Argument, sie seien »systemrelevant«. Wirklich systemrelevant ist aber vor allem die öffentliche Daseinsvorsorge, zu der die Wasserversorgung gehört. Daher liegt es nahe, einen kommunalen Rekommunalisierungsfond bei der Investitionsbank aufzulegen, finanziert aus Mitteln der EZB zum Leitzins von einem Prozent. Dieser Rekommunalisierunsfond ist an die Auflage gebunden, daß rekommunalisierte Betriebe ihre Gebühren nur nach real anfallenden Kosten (einschließlich Rückstellungen für Investitionen in Klärwerke, Leitungsnetze und so weiter) kalkulieren dürfen. Nur Gewinnrückstellungen, ob öffentliche oder private, hätten in Zukunft keinen Platz. Durch ein solches Modell hätten die Berliner mehr Kaufkraft im Geldbeutel, und die Stadt wäre auch als Wirtschafsstandort attraktiver, denn jeder Betrieb kalkuliert und vergleicht die Betriebskosten.
Es ist Zeit, aus Fehlern der Privatisierung zu lernen und die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen: Ein schwerer Fehler war es, das Prinzip Gewinnmaximierung auf die Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge zu übertragen. Ob die Politik lernfähig ist? Bisher müssen wir den Eindruck haben, daß sie die falschen Lehrer hat. Wirklich Neues haben die Berater und Lobbyisten nicht zu bieten.
Werden wir über die direkte Demokratie sozialen Fortschritt erreichen? Beim Wasser-Volksentscheid werden wir die erforderlichen 610.000 Stimmen zusammenbekommen, wenn jeder der 280.000 Berliner, die das Volksbegehren unterschrieben haben, zwei weitere Wahlberechtigte zur Stimmabgabe motiviert. Das sollte doch zu schaffen sein, oder?
Unser Autor ist Sprecher des »Berliner Wassertischs«, der das Volksbegehren initiiert hat (ThRudek@gmx.de / Fon 261 33 89 / www.berliner-wassertisch.net).