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Titel2310

Die Bindestrich-Partei  (Arno Klönne)

»CDU im Niemandsland – Die Zeit ist reif für eine neue konservative Partei«, las man jüngst auf dem Titelblatt von Komma, einem »Magazin für christliche Kultur«, das dabei ist, sich einen attraktiven Stand im Medienmarkt zu verschaffen. Der Rheinische Merkur hingegen, einst die publizistische Posaune der Politik Konrad Adenauers, verstummt; die katholische Amtskirche will das Blatt nicht weiter subventionieren, übrig bleibt eine Beilage in der Zeit, politische Wirksamkeit ist da nicht mehr zu erwarten. Die Unionsparteien leiden nicht nur am Verlust von Wählerinnen und Wählern, dünn wird auch die ideologische Luft, intellektueller Beistand verliert sich. Die stetigen Beteuerungen Angela Merkels, die Union sei der sichere Hort konservativer, liberaler und sozialer Programmatik, wirken abgestanden. Die aktuelle Leitfloskel von der »christlich-jüdischen Prägung Deutschlands« hat etwas Absurdes, sie ist allenfalls brauchbar als Lockruf an Menschen, die von Islamophobie befallen sind.

Der Niedergang einer »christdemokratischen« Form von Parteipolitik ist keine Besonderheit deutscher Zeitgeschichte, in etlichen europäischen Ländern erleiden verwandte Parteien noch stärkere Einbußen. Aber die CDU/CSU war der bestimmende parteipolitische Faktor in der Alt-Bundesrepublik, das Erfolgsmodell beim Aufbau und bei der Festigung des westdeutschen Politiksystems. Diese Position können die Unionsparteien nicht mehr halten, der »Unionsstaat«, gegen den vor fünfzig Jahren linke Publizisten anschrieben, wird jetzt endgültig zur Geschichte – was nicht heißen muß, daß die Nachfolge angenehmer wird.

Zur führenden »Volkspartei« wurde die CDU/CSU unter ganz bestimmten historischen Bedingungen: Sie stellte sich als politische Vertretung kirchlich gebundener Bevölkerungsgruppen dar und verhieß, die konfessionell-politische »Spaltung« zu überwinden. Deutschnationale politische Traditionen aus dem Protestantismus wurden in den Unionsparteien zusammengebunden mit einer eher republikfreundlichen, teils auch sozialstaatlich ausgerichteten Hinterlassenschaft aus der katholischen Zentrumspartei. Unter Adenauers Regie wurden Anfälligkeiten für das Konzept eines »christlichen Sozialismus« rasch aus der Union ausgeräumt, die CDU/CSU wurde zu politischen Exekutive der Interessen des großen Kapitals, dies jedoch so, daß Spielräume genutzt wurden: für die Wahrnehmung von Anliegen des Mittelstandes und, wenn es anders nicht ging, auch für Konzessionen an Bedürfnisse der lohnabhängigen Bevölkerung.

Der »Rheinische Kapitalismus«, der so sein Profil bekam, war nicht marktradikal, sondern auf soziale Absicherung bedacht. Dies lag – auch wenn mancher Fabrikherr den Mechanismus nicht verstand – durchaus im Interesse einer Unternehmerschaft, die ihren Anteil am Weltmarkt erobern wollte; zudem diente es der Abwehr sozialistischer Versuchungen in Zeiten der »Systemkonkurrenz«. Rigider Antikommunismus war das ideelle Bindemittel der CDU/CSU; auf diese Weise wurden auch Remilitarisierung und Eingliederung in das politische, wirtschaftliche und militärische Gefüge des »Westblocks« legitimiert, ebenso die Wiederverwendung von Funktionseliten des Nazi-Reiches. Und der rasche Anstieg des Lebensstandards durch das »Wirtschaftswunder« verschaffte dieser Politik Rückhalt bei einer Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Goldene Zeiten für die Unionsparteien.

Vergangene Zeiten.

Auf Versuche oder Entwürfe einer nichtkapitalistischen Gesellschaftsordnung braucht das Kapital jetzt keine Rücksicht mehr zu nehmen. Wozu dann noch Zugeständnisse im Sinne von Sozialstaatlichkeit? Die Internationalisierung des Arbeitsmarktes und der Vorrang der Exportwirtschaft legen es nahe, Massenarmut in der eigenen Gesellschaft nicht als Problem anzusehen. Das »sozial« in der Bindestrich-Union hat keinen Anschluß mehr bei den Interessen der wirtschaftlichen Machtgruppen, und »liberal« bedeutet inzwischen: Dienstleistungen der Politik für Bedürfnisse des Finanzmarktes.

Bleibt das »Konservative« – aber was läßt sich darunter verstehen? Soll etwa die CDU/CSU zur Protestpartei gegen die Durchkapitalisierung der Lebensverhältnisse werden, um das »Gute, Alte« zu retten? Da würde man den Bock zum Gärtner machen. Und auch die dahinschwindende Kirchlichkeit im deutschen Alltag ließe sich durch eine Partei nicht konservieren, selbst wenn diese das wollte. Hinzu kommt für die Union die Konkurrenz der Grünen als einer »bürgerlichen« Partei. Wer sich mit dem Kapitalismus nicht anlegen, ihn aber gemütlicher ausgestaltet haben will und selbst nicht von Armut bedrängt ist, findet bei der grünen Partei ein Angebot mit besserem Design als bei der traditionslastigen Union. Was bleibt also der CDU/CSU, abgesehen von einer gewissen Beharrlichkeit im deutschen Parteiensystem? Wohin mit ihr, wenn die Bindestriche zwischen christlich und demokratisch beziehungsweise christlich und sozial nichts mehr hergeben? Da trifft es sich gut, daß die Türken nicht vor, sondern schon in Berlin stehen, denn eine Gefahr, auch eine gespensterhafte, schweißt zusammen. In eine deutsche Wilders-Partei kann sich die Union zwar nicht umtaufen, das wäre schädlich für ihre europäische Reputation. Aber sie kann versuchen, eine Wilders-Partei in Deutschland überflüssig zu machen. Ganz moderat, wie es sich für gefühlte Erben christlich-jüdischer Tradition gehört.