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Harte Vorwürfe, dünne Beweise  (Sigurd Schulze)

Die Ausstellung »Die Charité zwischen Ost und West (1945–1992) – Zeitzeugen erinnern sich« ist geschlossen. Ein neuer Standort ist nach Auskunft der Kuratorin Laura Hottenrott »noch in der Planung«.

Die Schau lieferte ein Zerrbild von Bedeutung und Leistung des Klinikums in der Zeit des Wiederaufbaus nach der Befreiung vom Faschismus und vom Versuch der Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaft in der DDR (siehe Ossietzky 20/10). Stattdessen wurde ein Bild von Unterdrückung und Überwachung der Beschäftigten und der Studenten gezeichnet und als einzige Begleitveranstaltung ein Workshop zum Thema »300 Jahre Charité. Die Berliner Charité und das MfS« geboten. War es das wichtigste Thema aus den drei Jahrhunderten?

Der Einleitungsvortrag eines Historikers der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen (BstU) entfiel – aus familiären Gründen, wie es hieß. Nach der Ankündigung durch Marianne Birthler hätte er zeigen sollen, wie die Hauptabteilung XX/3 des Ministeriums mit Hilfe von mindestens 80 inoffiziellen Mitarbeitern, »darunter viele, auch leitende Ärzte«, die Überwachung der Charité bewerkstelligte. Hans Altendorf, Direktor der BStU, erklärte, es gebe ein Forschungsprojekt der Charité, das noch Zeit brauche. Seltsam, daß trotzdem ein Workshop zu diesem Thema angesetzt wurde.

Stattdessen referierte Andreas Malycha vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin über SED und Charité. Er bot interessante Angaben über Organisationsstrukturen der SED an der Charité, über Anzahl und Verteilung der Mitglieder und vor allem über Wege und Mittel des Einflusses der Partei auf die Gesundheitspolitik, auf Inhalte und Richtung von Lehre und Forschung, ausgehend vom Anspruch der führenden Partei, die Gesellschaftspolitik zu planen und zu leiten. 1989 zählte die Abteilungsparteiorganisation der Medizinischen Fakultät an der Humboldt-Universität 1200 Mitglieder bei 8562 Mitarbeitern und Studenten. Malycha sprach über die Festlegung von Schwerpunkten der medizinischen Forschung durch die SED, zum Beispiel die Erhöhung der Lebenserwartung des Volkes – was nicht im Widerspruch zur wissenschaftlichen Meinung der Mediziner stand – wie auch über Konflikte und Irrtümer, so den Versuch der Durchsetzung der Pawlowschen Methode. Er beklagte, daß Eingriffe der SED in Wissenschaft und Forschung mehr und mehr als selbstverständlich angesehen worden seien. Andererseits sei der Versuch einer weltanschaulichen Erziehungsmission in der Charité gescheitert.

Das Thema berührt Forschungsfelder, die für die Geschichte der DDR und der Arbeiterbewegung und für die Parteigeschichte wichtig sind, auch und gerade aus sozialistischer Sicht: Was war richtig, was war falsch? Welche Lehren sind zu ziehen? Ein Thema, das im Dialog von Kritikern und Verteidigern der DDR zu diskutieren wäre. Diese Form der Aufarbeitung wird jedoch noch immer von den tonangebenden Institutionen blockiert, die in ihrer antikommunistischen Befangenheit unfähig sind zu begreifen, daß Kommunisten und Sozialdemokraten nach der Befreiung von kapitalistischer Ausbeutung daran gingen, einen neuen Staat zu organisieren, und sich dabei mühsam vortasten mußten oder aus Unerfahrenheit und Dogmatismus Fehler machten, die ihrer Sache mehr schadeten als nutzten und die nach ihrer politischen Niederlage nicht korrigiert und wiedergutgemacht werden können.

Maria Nooke von der Gedenkstätte Berliner Mauer benutzte das Thema »Charité und MfS« großzügig für die Darstellung des Grenzregimes und der Todesopfer. Ein Zusammenhang mit der Charité bestand nur begrenzt: Die Leichen wurden bis 1982 in der Charité unter Aufsicht des MfS obduziert, später an anderem Ort. Ärzte der Charité wurden zum Teil gehindert, Verletzten Erste Hilfe zu leisten; die Bergung von Toten und Verwundeten wurde von den Grenztruppen organisiert, der Charité fiel keine aktive Rolle zu. Ob und wie Ärzte und Mitarbeiter der Charité an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren, wurde von der Rednerin nicht belegt. Desto fragwürdiger ihre Behauptung, nicht alle Beteiligten hätten zur Aufklärung von Verbrechen beigetragen.

Francesca Weil vom Hannah-Ahrendt-Institut Dresden untersuchte am Beispiel von 493 Ärzten und deren Stasiakten die Mitarbeit von Ärzten der DDR als Informelle Mitarbeiter des MfS. Zehn der aufgeführten Ärzte arbeiteten in der Charité; ohne weitere Angaben. Die IM-Berichte bezogen sich vorwiegend auf Absichten zur Republikflucht oder Ausreise. Nach Angaben der Wissenschaftlerin spiegeln die IM-Berichte »mehr als deutlich« auch das »starke berufliche wie soziale Engagement zahlreicher Ärzte und Krankenschwestern« wider.

In der Diskussion wurde der Ruf laut, es sollten endlich Verbrechen wie Organraub, Ausschlachten von Mauertoten, Tötung von Kindern mit Medikamentenversuchen aufgeklärt werden. Der Dekan der Medizinischen Fakultät von 1990 bis 1995, Harald Mau, stellte klar: Wie die eigenen Untersuchungen ergaben, ist nichts davon wahr. Alle Vorwürfe waren erfunden.

Um den Einigungsvertrag zu erfüllen, demzufolge Stasi-Mitarbeiter nicht im Öffentlichen Dienst beschäftigt werden dürfen, wurde die Charité »durchgegauckt«, so Mau. Die Betreffenden wurden entlassen. Einige mußten durch Gerichtsurteile weiterbeschäftigt werden. »Das hat viel Geld gekostet.«

300 Jahre Charité hätten eine bessere Würdigung verdient als ein Fake.