Der Weg zum Hamburger Ernst-Barlach-Haus führt durch den Jenischpark mit seinen prächtigen exotischen Bäumen. Drinnen im überdachten Innenhof überrascht ein Seerosenteich ohne Wasser. Die Pflanzen wachsen auf dem Steinboden. Der Künstler Peter Rösel von der Kunsthochschule Berlin-Weißensee hat die Rosensträucher aus grünen Uniformen deutscher Polizeibeamter gefertigt. Teile der Mützen ergaben die weißen Blüten. Wer genau hinsieht, kann Nähte und Knöpfe erkennen, die bewußt nicht versteckt wurden. Der Baum »Moringa« wächst skurril mit dicken bauchigen Stämmen, hellbraun – auch er ist aus Polizeiuniformen genäht. Sogar aus dem Hosenschlitz wuchern Triebe mit kleinen grünen Blättchen. Das sollte keineswegs als Polizeikritik verstanden werden, meint der Künstler. Uniformen der Bundeswehr wären genauso geeignet. Auch aus Waffen ließe sich eine Installation herstellen.
Rösel selbst sieht alles spielerisch. Das zeigt ein anderer Raum. Hier stehen drei alte Fernsehtruhen aus Holz, die der Ausstellung den Namen gaben: »Tizian, Rembrandt, Leonardo – Spezial Automatic«. Die Truhen mit den Maler-Namen haben neue Eingeweide bekommen: die Video- und Beamer-Technik, die eine Wespe in einen Spielzeughubschrauber zaubert. Alles bewegt sich, flirrt, ein »Fluginsekt in einem Flugobjekt« – kann aber nicht weg. Ein kurzes Digitalvideo ohne Ton, die Wespe summt nicht. Alles zu artifiziell, technikverliebt.
Wieder anders: sehr große Gemälde, auf denen man Wüste sieht und viel Himmel. Der in Deutschland geborene Künstler wuchs in Marokko und im Irak auf. Die Bilder sollen Täuschungen täuschend echt widerspiegeln, sein »Fata Morgana Painting Projekt«. In der Wüste Namibias hat er keine Fotos aufgenommen, alles ist gemalt. Sehr blaß die Farben, kalt der Eindruck. Die Bilder tragen als Titel die genaue Position auf der Erde mit den Koordinaten des Global Positioning System, wo der Künstler sich beim Malen befand.
In einem großen Raum, »Heimatmuseum« genannt, liegen Geldscheine, Glühbirnen, Telefonbücher. Die Geldscheine sind Dollars aus Simbabwe, mit Buntstiftzeichnungen verziert. Diese Scheine, 2007 und 2008 ausgegeben, dokumentieren den Werteverlust. Ein Trickfilm mit dem Titel: »I promise« gehört dazu. Was geschah mit dieser Bürgschaft, die auf jedem Geldschein prangt? Am Horizont klettern Ziffern ins Irreale und stürzen ab wie die kleinen Männchen im Animationsfilm. Das Dokument einer Krise.
»Ohne Titel«: zwei antiquierte Telefonbänkchen mit je einem Telefonbuch darauf. Beide aus Berlin. Das vom Jahr 1941 ist dick und rot und mit Hakenkreuzemblem versehen. Das andere, extrem dünn und blaßgelb mit Berliner Wappen, wurde 1945 gedruckt. Dazwischen der Krieg, Vernichtung von Menschen und Wohnungen, Deportationen. Wer hatte da ein Telefon?
Die Lichtinstallation »100 y« entstand im Jahr 2009 zur »deutsch-deutschen Freiheitsfeier«. Zum 20. Jahrestag des »Mauerfalls«, als beschlossen wurde, bis zum Jahr 2012 die Glühbirne abzuschaffen. Rösel stellt Kartons mit 900 DDR-Glühbirnen der Marke »Narva« aus. Ein Betrieb, den Birgit Breuel (»Treuhandanstalt«) nachhaltig und mythenträchtig vernichtete, um die Konkurrenz für Osram und Philips abzuschaffen; Günter Grass (»Ein weites Feld«) hat sich dieses Skandals angenommen. Eine alte 15-Watt-Klarglasglühbirne brennt tausend Stunden lang. Die andern liegen verpackt in aufeinandergetürmten Originalkartons als Energiespeicher – der verboten wurde. Hundert Jahre lang können sie brennen.
In einer Nische, vom Oberlicht bestrahlt, eine Dornenhecke. Aus Stacheldraht, der mit seinen Dornen um die Ecke drängt. Kein NATO-Draht, der wird in Gorleben gebraucht. Alles ist grün überzogen, auch Blättchen, wieder aus dem Uniformmaterial. Daran kleine magentafarbene zartfiedrige Blüten und Knospen – aus Unterwäsche gezupft. Der Eindruck überwältigt. Diese Dornenhecke könnte eine Kirche zieren.
Ausstellung bis 9. Januar 2011. Der Katalog mit 108 Seiten kostet 19.80 Euro.