Zeter und Mordio in den deutschen Medien und kaum verhaltene Wut der europäischen Politik-Elite – der griechische Premier trat als Risikospieler auf, die Gefahr in Kauf nehmend, daß sein Volk dem Wunsch Ausdruck geben könnte, von den Lenkern des Euroregimes nicht gerettet zu werden. Zu offensichtlich ist nämlich, daß die Rettungsabsicht dem Wohlbefinden der großen Akteure im Kreditgeschäft gilt, ihrem Interesse, Zinsen einzutreiben – mit staatlichen Garantien – und faule Wertpapiere in öffentliche Hand zu drücken. Der gemeine Steuerzahler hat für diese »Sanierung« zu bürgen und notfalls zu zahlen. Dafür braucht es keineswegs die Zustimmung der griechischen Bevölkerung; diese sollte vielmehr ihr Einverständnis erklären, daß im Protektorat Hellas, unter Regie externer Finanzbürokraten, ein rigoroses Programm gezielter Verarmung umgesetzt wird. »Geschieht uns recht«, sollen die griechischen Normalbürger erklären, während ihre großvermögenden Mitbürger, weniger zahlreich, ihre Konten schon ins Ausland verlagert haben. Aber was ist mit dem Recht eines Volkes, über sein Geschick selbst zu bestimmen? »Demokratie wird zum Ramsch«, schreibt politikidealistisch besorgt Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der F.A.Z.: »Wer das Volk fragt, wird zur Bedrohung Europas. Das ist die Botschaft der Märkte und ... auch der Politik. Wir erleben den Kurssturz des Republikanischen.«
Inzwischen ist eine griechische Freveltat an den Geboten der Finanzautoritäten erst einmal vermieden; die politischen Führer (nebst Führerin) Europas haben dem Premierminister in Athen klargemacht, daß eine Volksabstimmung ungehörig sei, Demokratie ist einfach zu riskant.
In der Bundesrepublik hat es einer Ermahnung des Verfassungsgerichts bedurft, um den Bundestag zur Wahrnehmung seiner Haushaltsrechte zu veranlassen; verstanden wird dies allerdings eher als die Pflicht, Entscheidungen der sogenannten Finanzmärkte abzusegnen.
Und wenn nun doch die Rettungsschirme weggeweht werden? Wenn die »griechische Krankheit« ansteckend wirkt, die Ratingagenturen erhöhtes Fieber messen, der Euro klinischer Behandlung bedarf? Ist es dann vorbei mit der finanzwirtschaftlichen Geschäftstätigkeit, die doch so manchen Marktteilnehmern über Jahre hin rapid wachsende Vermögen beschert hat? Exitus für den finanzkapitalistischen Profit? Dieses Risiko besteht nicht. Der Finanzmarkt ist ein flexibles Wesen, und in ihm tummeln sich Konkurrenten, der Verlust des einen Akteurs ist der Gewinn des anderen. Turbulenzen gehören zum Geschäftsmodell, an Krisen läßt sich prächtig verdienen, Zinserträge sind am besten hochzutreiben, wenn Schuldner in der Enge stecken. Friedrich Engels hat den Finanzmarkt so beschrieben: »In einem fortwährenden Auf und Ab muß jeder suchen, den günstigsten Augenblick zum Kauf und Verkauf zu treffen, jeder muß Spekulant werden, ... sich bereichern, auf das Unglück anderer kalkulieren, oder den Zufall für sich gewinnen lassen. Der Spekulant rechnet immer auf Unglücksfälle« (1844, in »Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie«). Der Finanzmarkt heute ist kein anderer als der damals geschilderte.
Freilich kann beim Spekulieren nicht jeder mithalten. Viele müssen fürchten, daß ihre Renten aus den privaten Fonds entwertet werden. Massen von kleinen Spareinlagen können ins Unglück geraten. Krise in diesem Wirtschaftssystem heißt immer: Es gibt Verlierer. Und glückliche Gewinner.