Gleich am Eingang eine blutige Masse, zwei Köpfe, kaum zu erkennen. Davor eine abgeschnittene Hand. Angerichtet in einer Schale – schließlich wird dieses Mahl der Mutter der geschlachteten Söhne serviert. Der Tod nimmt die Individualität. Die Schlachtplatte hinter Glas, nicht berührbar, ist ein Dokument der Shakespeare-Inszenierung des »Titus Andronicus« von Hans Neuenfels aus dem Jahr 2001. Diese, als Maske nicht mehr identifizierbare Installation eröffnet die Ausstellung »In Masken geht die Zeit«, die noch bis zum 11. Dezember im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen ist. Gezeigt werden 120 Masken und 80 Figurinen, Entwürfe und Fotos von Schminkmasken bekannter Schauspieler auf dem Weg in die Verwandlung durch Wolfgang Utzt. 1941 in Senftenberg geboren, war er fast 30 Jahre am Deutschen Theater Berlin als Chefmaskenbildner tätig und hat mit bedeutenden Regisseuren zusammengearbeitet – nicht nur für dieses Theater. Er unterrichtete an verschiedenen Hochschulen. Seine Masken wurden ausgestellt von Helsinki bis Tokio.
Nun hat er seine Sammlung – betreut vom Stadtmuseum Berlin und der Stiftung Schloß Neuhardenberg – für die Theatertage nach Hamburg ausgeliehen. Gegliedert sind die Exponate in verschiedene Kapitel. In der »Shakespeare-Factory« beispielsweise steht der Krieger »Fortinbras« als furchterregende Ganzfigur mitten im Raum. »Hamlet« und Heiner Müllers »Hamlet-Maschine«, in Entwürfen, in den Köpfen werden sie lebendig. Ulrich Mühe in der Wolfsmaske. Der Geist, Stephan Suschke, wurde am ganzen Körper mit Eiweiß eingepinselt, darüber kam hauchdünnes Pergamentpapier in Falten. Es dauerte Stunden. »Die Masken gehören eigentlich zu den Schauspielern und die sind hier nicht vorhanden«, bedauerte Wolfgang Utzt auf der Pressekonferenz.
Masken werden oft nur minutenlang getragen und verschwinden dann – die Hamburger Ausstellung haucht ihnen neues Leben ein, zum Beispiel den »Faust-Bildern«: Masken zu Christopher Marlowes »Faust. Eine Höllenfahrt« von 1996. Oder zu Goethes »Faust, zweiter Teil«. Eine Aufführung, die nie zustande kam. Die Premiere war für den 29. September 1983 angesetzt, zum 100. Gründungstag des Deutschen Theaters. Die Proben waren abgeschlossen, die DDR-Politprominenz hatte ihr Kommen zugesagt – aber die Faust-Inszenierung von Friedo Solter fand nicht statt. Warum, ist unklar. Das Material zu dieser Aufführung liegt in der Akademie der Künste, nicht zugänglich. Aber die Masken von Wolfgang Utzt sind lebendig – zwar nur als Ausstellungsstücke, aber hautnah zu erleben in großer Vielfalt. Die mit ockerfarbenem Leder überzogenen Physiognomien der Lemuren: erschreckend menschlich.
Dann zu den »Einsamen Menschen«, die über die Kommunikationslosigkeit der Menschen, über das Verhüllen des Gesichts und der Maske Kunde geben – um sich selbst nicht sehen zu müssen? Die »Antiken-Projekte«: Die Maske, die »Elektra« (Gudrun Ritter) trägt, hinter der sie sich zu verstecken scheint – die Maske als Schutzschild.
Und die »Masken der Produktion«. Ein Beispiel dafür ist Heiner Müllers frühes Stück »Der Lohndrücker« unter seiner eigenen Regie 1988. Wolfgang Utzt, der, wann immer möglich, bei Proben dabei sein wollte und sich in die Texte vertiefte, fuhr mit Heiner Müller nach Berlin-Lichtenberg zu den Arbeitern der »Elektrokohle«, dem historischen Schauplatz des Stücks. Utzt: »Wir haben dort Menschen mit Gesichtern getroffen, denen die hundert Grad heißen Öfen nicht nur äußerlich die Graphitkohle in die Haut eingebrannt hatten, sondern, wie wir es glauben wollten, in die Seele.« Utzt nahm für die Färbung der Haut, dieses Graublau, ein Silber, vom Hals ab ein tiefes Schwarz – ein Zeichen für »die Schwärze«, die »bis in die letzten Poren am ganzen Körper eingedrungen ist«. Heiner Müller sprach daraufhin von »Maschinenmenschen«.
Übrigens, in einer Ecke stehen, aufgestellt wie Modepuppen, verschämt neben anderen Figuren Hitler und Stalin, alle ohne Unterleib.
Zweisprachiger Katalog, herausgegeben von Frank Hörnig – der auch ein Interview mit Utzt führte, 176 Seiten, 22 €