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Titel2312

Syrisch-amerikanische Offenbarungen  (Viktor Timtschenko)

Um die Welt zu verstehen, muß man die New York Times lesen. So auch im Falle Syriens. Zwei Autoren, Michael Doran und Max Boot, erzählen in ihrem Artikel »Fünf Gründe für eine Intervention in Syrien gerade jetzt« vom 26. September (www.nytimes.com) einiges, was das syrisch-amerikanische Bild geraderückt. Beide Autoren sind vom Fach: Der eine ist Senior Fellow an der Brookings Institution, einer Denkfabrik in Washington, der zweite ist Senior Fellow am Council on Foreign Relations, ebenfalls ein amerikanischer Think Tank – Herausgeber der außenpolitischen Bibel »Foreign Affairs« –, und außerdem Berater von Mitt Romneys Wahlkampfstab. Wer sollte wohl die Lage, die Gründe, aber auch die vorherrschende Meinung in den USA besser einschätzen können?

Beide Experten sind sich einig, daß die USA unbedingt in Syrien eingreifen müssen, weil damit der Einfluß des Iran in der Region geschwächt sowie der Konflikt auf Syrien beschränkt würde und sich nicht auf den Libanon, den Irak und die Türkei ausweite. Durch die Ausbildung und Belieferung (wahrhaftig mit Waffen? Wer hätte das gedacht!) verschaffe sich die USA zuverlässige Partner in den Reihen der syrischen Opposition und damit ein Bollwerk gegen El-Kaida und andere Extremisten. Ein Eingreifen in Syrien verbessere zudem die Beziehungen der USA zu der Türkei und Katar und beende die humanitäre Katastrophe in Syrien und die Flüchtlingswelle.
Bezeichnend ist für die aufgezählten Gründe, daß die von der UNO und allen westlichen Medien beschworene »humanitäre Katastrophe«, die sich wie ein roter Faden durch die Berichterstattung zieht, als Grund für das militärische Eingreifen des Westens erst an der ehrenvollen letzten Stelle steht.

»Unsere nächsten Verbündeten in der Region – Saudi-Arabien, die Türkei, Jordanien, Katar und Israel – möchten den Sturz von Herrn Assad so schnell wie möglich sehen«, sind die Herren Michael Doran und Max Boot überzeugt. »Frankreich und Großbritannien werden uns, wie schon in Libyen, dabei helfen.«

Was schlagen die Experten konkret vor? Welche Szenarien werden bereits in dem Brookings Institution und dem Council on Foreign Relations kolportiert?

Da gibt es bereits exakte Pläne. Der Schwerpunkt einer Intervention solle auf Aleppo, Syriens Wirtschaftszentrum und zweitgrößte Stadt des Landes, gelegt werden. Die oppositionelle Freie Syrische Armee kontrolliere bereits große Bereiche des Gebiets zwischen Aleppo und der türkischen Grenze, schreiben die Autoren, deshalb könnten dort die türkischen Truppen »mit amerikanischer Unterstützung« ganz einfach einen Korridor für humanitäre Hilfe, aber auch für den militärischen Nachschub (wer erzählt da ständig, daß die Aufständischen nur mit Kalaschnikows und Mistgabeln gegen das Assad-Regime kämpfen?) schlagen.

Als zweites Ziel wird Damaskus genannt. Aber im Gegensatz zu Aleppo kann man die Stadt nicht von türkischer Seite erreichen. Der Schlag muß von Dara'a, das 70 Meilen von Damaskus und weniger als fünf von der jordanischen Grenze entfernt ist, kommen. Jordanien soll dabei selbstverständlich den Amerikanern beispringen, den zweiten Nachschub-Korridor auf dem syrischen Territorium (für warme Decken ...) aufbauen.

Auch die Errichtung einer effizienten (siehe Kosovo und Libyen) Flugverbotszone – mit »Luftunterstützung von NATO-Kampfflugzeugen« gehört zum Plan. Die USA können auf diese Weise mit minimalem Risiko die in Rußland hergestellte syrische Luftabwehr ausschalten.

So ein neuer Plan (all das selbstverständlich ohne die Billigung der UNO) kann heute gewissermaßen als Vorschlag an Präsident Barack Obama gelten Sollte Mitt Romney gewinnen, wird er mit Sicherheit umgesetzt.

Allerdings ist der Plan nur im Detail (Aleppo, Dara'a…) neu, nicht aber in seinem Wesen. Einen ähnlichen Plan setzten die USA schon einmal um: mit der Unterstützung von Rebellen, mit deren Ausbildung, mit der Schaffung von Kommandostrukturen, mit der Lieferung von Geld und Waffen. Das Land hieß damals Afghanistan, die Söldner Mudschaheddin, ihr Anführer und amerikanischer Freund von ehedem Osama bin Laden, die daraus entstandene Organisation El Kaida. Ausgerechnet gegen die will sich die USA mit der Aggression in Syrien schützen. Die Katze beißt sich schmerzhaft in den Schwanz.

Wie wird die Organisation heißen, die den heutigen syrischen Legionären entsprießt? Gegen wen wird sie demnächst ihre soeben erhaltenen Waffen richten? Allein aus schlichtem Selbsterhaltungstrieb sollten die USA gegen Syrien keine Angriffspläne schmieden.

Manche Amerikaner haben kräftige Muskeln, aber ein sehr kurzes Gedächtnis.