Es war einmal ... Denkste: Auch heute haben Kaiser, Könige und Kanzlerinnen ihre Probleme mit der Haute Couture, mit Hüten, Handtaschen und Hosenanzügen. Sie liefern meterweise Stoff für Boulevardpresse und Comedyszene, die auch darüber hinaus ein Spiegel menschlicher Eitelkeiten sind.
Es war also kein Griff in die Mottenkiste, als sich die Komische Oper Berlin für »Des Kaisers neue Kleider« interessierte – ein Singspiel, das seit 1962 auf seine Uraufführung wartete. Geschrieben hat es der tschechische Komponist Miloš Vacek (1928–2012), dessen Musiken für den Prager Exportschlager »Der kleine Maulwurf« kleinen und großen Verehrern der Zeichentrickserie überall in der Welt im Ohr sind. Seine Vertonung des bekannten Märchens von Hans Christian Andersen fand seinerzeit weniger Anklang. Zumindest bei denen, die das Sagen hatten. Zu deutlich erkennbar waren die Parallelen zwischen Kunst und Wirklichkeit.
Heutzutage haben Eitelkeit, Lüge und Selbstbetrug weltweit die Macht im Staate. Und nackt macht sich inzwischen in jeder zweiten Theateraufführung mindestens einer. In Film und Fernsehen sowieso. Mit bloßem Busen und Hinterteil wird längst auch für die Menschenrechte gekämpft.
Das alles spricht nicht gegen die Inszenierung des Singspiels (Lydia Steier). Und wie maßgeschneidert paßt es in das umfangreiche theaterpädagogische Programm der Komischen Oper, das in jedem Jahr mehr als 250 Workshops für Schüler, Veranstaltungen für Lehrer und die Neuproduktion einer Oper für Kinder bereithält. Die wird mit allem Drum und Dran: mit großem Orchester, Chor und erstklassigen Solisten auf der großen Bühne des traditionsreichen Hauses gezeigt und nicht – wie andernorts gern – ins Foyer oder in Nebenräume verbannt. Diese Aufführungen sind seit Jahren fester Bestandteil des Spielplans und in dieser Form nahezu einzigartig in der bundesdeutschen Opernlandschaft. Die »Schneekönigin« (2011) und »Ali Baba und die vierzig Räuber (2012) – übrigens noch immer im Repertoire – waren volle Erfolge. Aktuell also: »Des Kaisers neue Kleider – Ein komisches Singspiel nach Motiven von Hans Christian Andersen«.
Die Story kennt jeder: Eitler und doofer Herrscher, der nichts als sein Outfit im Kopf hat, fällt auf die Behauptung eines gewitzten Schneiders herein, die aktuelle Kreation könne nur von einem klugen Menschen gesehen werden. Den neuesten Schrei muß der Kaiser selbstverständlich haben. Die Hofschranzen, die auch dumm aus der Wäsche gucken, bewundern die Robe – zumindest solange, bis ein Kind aus dem Volke (!) ausspricht, was alle sehen: Der Kaiser ist nackt.
Miroslav Homolka (Libretto) hat das Ganze etwas aufgepeppt, die Personage bereichert um eine heiratswütige Prinzessin, eine Kammerzofe und einen in diese verliebten Gesellen, hat den handelnden Personen klangvolle Titel und Namen verpaßt und – dem Zeitgeschmack entsprechend – ein bißchen Korruption, Steuerbetrug und Spitzelarbeit angeflickt. Die deutschen Texte stammen von Ulrich Lenz und sind leider sehr schlicht bis dämlich. Die Kinder stört‘s nicht. Sie singen, schon vor Beginn des Spektakels vom kaiserlichen Oberhemdenbügler Benedikt Wachsam (Christoph Späth) unterwiesen, begeistert die Staatshymne: »Rinke, ranke Rosen, niemals ohne, ohne die Hosen. Hose aus, und du bist sofort raus. Hose an, und du bist wieder dran. Eine kleine Mickymaus zog sich mal die Hose aus. Alte Kleider trägt man nicht, denn die Mode ist hier Pflicht.« und antworten immer wieder auf die Frage »Sitzt der Kragen?« mit »Kann nicht klagen!«
Von Pracht und Geschmack des Kaisers Maximilian von Eitelstein (Carsten Sabrowski) zeugt bereits der geschlossene Vorhang: Schwarze, mit den Initialen des Herrschers und unzähligen Herzchen bedruckte Seide, gerüscht, gerafft und mit goldenen Quasten geschmückt. Viel ist nicht dahinter – nur noch ein Vorhang und noch einer. Dazwischen gähnende Leere und ein einziges Möbelstück: das kaiserliche Muschelbett (Bühnenbild: Benita Roth). Vom Stillen Örtchen hört man nur laute Geräusche. Von mehr, ja überbordender Phantasie zeugen die Kostüme (Alfred Mayerhofer) des Kaisers und seines Hofstaates. Der King selbst gibt sich wie weiland Rudolf Moshammer und trägt gleichfalls ein lebendes Hündchen mit sich herum. Auch das hat eine Krone auf und am Schluß ein Designer-Unterhöschen an wie Herrchen. Jo mei. Das später auftretende »einfache Volk« ist angezogen wie du und ich, bleibt vom höfischen Kleiderfimmel unbeeindruckt und läßt sich Hähnchen vom Grill und Rotwein schmecken. Ende gut, alles gut. Der Kaiser kriegt vom mitleidigen Wirt ein Mäntelchen umgehängt und darf sich bessern. Auch die Musik erinnert an die Märchenfilme aus dem Studio Barandow, an Smetana und an Dvořák. Uwe Sandner dirigierte.
Der Spaß dauert geschlagene zwei Stunden und war – wie die kleine Prinzessin Lillifee neben mir feststellte – »Schöner als im Märchenbuch«. Zielgruppe erreicht. Termine und Karten: www.komische-oper-berlin.de