»Es ist Sonne in mir«, schrieb Joachim Gauck auf der letzten Seite seiner Erinnerungen (2009). Gerade ist Horst Köhler wiedergewählt worden zum Bundespräsidenten – ein Jahr später wird der zurücktreten, weil er versehentlich die Wahrheit über die Ursache der neuen deutschen Kriege ausgeplaudert hat. Aber Gauck fühlt sich an diesem Tag im Glück: »Ich setze mich auf die Mauer vor dem Reichstag, hinter mir weht die schwarzrotgoldene Fahne. ›Komm‹, sage ich zu meiner Begleiterin, ›nimm den Fotoapparat und fotografiere mich.‹ Die Frau ist intelligent und aus dem Westen, sie sagt: ›Aber doch nicht hier, vor dieser Fahne!‹ – ›Doch‹, sage ich, ›genau hier.‹«
So will der 2012 im Schloß Bellevue Angekommene gesehen werden: mit deutscher Fahne, bereit zu mehr Verantwortung für alle Welt durch deutsche Waffen und deutsche Soldaten.
Und da kennt er wie sein noch früherer Vorgänger keine Parteien mehr, da kennt er nur noch Deutsche. Denn mit der Sonne in ihm – oder mit ihrem Stich – ist es allein nicht zu erklären, wenn Gauck sich als überparteilicher Präsident in die Regierungsbildung in Thüringen einmischt – dort sitzt im Kyffhäuser jener Barbarossa, der nach tausendjährigem Schlaf (Er hat hinabgenommen /des Reiches Herrlichkeit / und wird einst wiederkommen /mit ihr, zu seiner Zeit) jetzt im Schloß Bellevue aufgewacht ist zum Endkampf zwischen Gut und Bös.
Bös in diesem Land, das ist die Linke, deren Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag, Bodo Ramelow, für die Wahl zum Ministerpräsidenten kandidieren will. Gauck dreht durch, weil die Linke die einzige Partei im Parlament ist, die nicht zutraulich ist, die sich in Erfurt und Berlin seinem Kriegsgeschrei widersetzt, Gauck fragt: »Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, daß wir ihr voll vertrauen können?«
Denn SEIN Vertrauen, das muß doch eine jede Partei haben, die irgendwo in diesem Lande etwas sagen will. Zu dieser Partei aber vermag er nicht, Vertrauen zu finden, Gauck vor den schon mal brennenden Kerzen im Gethsemanestudio der ARD: »Es gibt Teile in dieser Partei, wo ich – wie viele andere auch – Probleme habe, dieses Vertrauen zu entwickeln.« Oder, gut wilhelminisch: Ich will keine unterschiedlichen Parteien mehr, ich will nur noch vertrauenswürdige Deutsche.
Das ist ja wahr. Solange der Ministerpräsident des Bundeslandes Thüringen vom Landtag gewählt und nicht direkt aus dem Kyffhäuser bestimmt wird, kann er nimmermehr das Vertrauen unseres Regenten finden.
Darum mischt sich der überparteiliche Bundespräsident direkt in die laufende Abstimmung der Sozialdemokraten über eine Wahl Ramelows ein. Und manchen im Land freut es: »Alles sah so sicher aus für Bodo Ramelow – erster linker Ministerpräsident in einer Koalition mit SPD und Grünen. Da aber« – ergötzte sich drei Stunden nach Gaucks Auftritt vor dem Hochaltar der Agitator vom ZDF-heute-journal – da »machte der Bundespräsident aus seinem Herzen keine Mördergrube« – er schwieg nicht über den Mörder unserer Freiheit – »da hat er tatsächlich seine Meinung gesagt, und jetzt wird es kritisch für Ramelow.«
Bleibt anzumerken, daß sich die Linke daraufhin ausgesprochen unsportlich verhielt und Widerworte fand gegen den Bundespräsidenten: »Ausgerechnet jene Partei, die mit Begriffen wie Toleranz und Freiheit um sich wirft, hat ein massives Problem damit, andere Meinungen zu respektieren«, tadelte die Thüringer Allgemeine. Ein kompetentes Urteil, dem der Bundespräsident vertrauen kann. Denn es steht in eben jener Thüringer Allgemeinen, die auf Befehl der westdeutschen WAZ-Eigentümer ihren Chefredakteur Sergej Lochthofen entlassen mußte, weil seine ostdeutsche Meinung den westdeutschen Verlegern nicht paßte.