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Demokratie – wo und wie?  (Eckart Spoo)

Demokratie findet nach übereinstimmendem Urteil der deutschen Konzernmedien erstens in Deutschland statt, zweitens in anderen NATO-Staaten und drittens dort, wo diejenigen an die Regierung gelangen, die von US-amerikanischen und deutschen Institutionen dazu ausersehen und darauf vorbereitet worden sind. Nützlich ist zum Beispiel ein Studium in Yale. Kontakte zur Central Intelligence Agency, zum Bundesnachrichtendienst oder zu einer Tarnorganisation eines Geheimdienstes dürften sich früher oder später ergeben haben. Es kann auch nicht schaden, eine Zeitlang bei einem US-amerikanischen Bankkonzern angestellt gewesen zu sein.

Wenn Wahlen andere Ergebnisse haben als die von den Wortführern der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft gewünschten, muß das Militär eingreifen, und zwar möglichst das dortige, dessen Obristen in der USA ausgebildet worden sind.

Den militärischen Maßnahmen gehen gewöhnlich wirtschaftspolitische voran. Kraft seiner selbstverliehenen Kompetenz, gute Staaten zum Freihandel zuzulassen und böse davon auszuschließen, verhängt Washington Sanktionen. Der Wirtschaftskrieg hat mancherlei erwünschte Folgen: So kann das Regime, das ausgewechselt werden soll, geschwächt werden, der Schwarzmarkt kann sich ausdehnen, die Schwarzhändler (oder wie sich die Oligarchen nennen mögen) können zu Verbündeten der westlichen Wertegemeinschaft werden. So kann sich Demokratie entwickeln – nämlich das, was die herrschende Meinung unter Demokratie versteht.

Wie Wahlen ausgehen, ist unwichtig. Das Ergebnis läßt sich korrigieren – wie zum Beispiel in Ägypten. Und wie in Afghanistan müssen nicht einmal alle Stimmen ausgezählt werden, bevor der westlicherseits gewünschte Kandidat Präsident wird. Einem mit großer Mehrheit wiedergewählten Präsidenten wie in Syrien schickt man islamistische Gotteskrieger aus Köln oder Hamburg auf den Hals. Als »Revolutionäre« tarnt man ukrainische Faschisten, die sich auf dem Kiewer Maidan an die Spitze von Demonstranten gesetzt haben; die USA zahlten nach Angaben der für Europa zuständigen Ministerialdirektorin im State Department, Victoria Nuland, fünf Milliarden Dollar für den Putsch.

Im eng befreundeten bluttriefenden Königreich Saudi-Arabien bedarf es gar keiner Wahlen. Die Zustände auch in den anderen Ölscheichtümern finden in den Konzernmedien kaum je Erwähnung. Zum Hauptschurkenstaat aber wird Rußland gekürt. Daß Präsident Putin demokratisch gewählt ist, haben die Meinungsmacher erfolgreich verdrängt.

Wer wagt zu vergleichen, welches Maß an demokratischer Legitimation einerseits Putin und andererseits Obama vorzuweisen haben? Wie repräsentativ die jeweiligen Wahlsysteme sind? Und wie glaubwürdig die beiden Spitzenpolitiker? Zu Obama fällt mir beispielsweise ein, daß er schon vor seiner ersten Wahl ins Weiße Haus das bis heute nicht erfüllte Versprechen gab, er werde das Konzentrationslager Guantanamo schließen. Und daß er seiner lieben Freundin Angela Merkel ins Gesicht log, als sie ihn darauf ansprach, daß sein Geheimdienst ihr Telefon abhörte. Vergleichen wir weiter: Wer von beiden, Putin oder Obama, schickt Truppen in ferne Länder? Wer mißachtet da das Völkerrecht?

Und nun – als besonders eindrucksvolles Exempel demokratischen Umgangs miteinander – wollen die nordamerikanischen und westeuropäischen Musterdemokratien ein Geheimabkommen miteinander schließen. Dazu eine kurze Rückblende. Bei Wikipedia erfährt man über das »Multilaterale Investitionsabkommen« (MAI), in den 1995 darüber aufgenommenen Verhandlungen sei es unter anderem darum gegangen, ausländische Investoren vor Enteignungen zu schützen (»als Enteignungen werden auch nationale Umwelt- und Sozialabgaben verstanden«). Weitere Kernpunkte: »Verbot staatlicher Betätigung: Die Interessenvertretungen der Bürger und des Nationalstaats sowie dessen administrative Teilorganisationen dürfen keinerlei wirtschaftliche Betätigung ausüben. Gewinntransferierung: Kapital, Dividenden und Gewinne dürfen abgabenfrei zwischen den MAI-Mitgliedsländern transferiert werden. Staatshaftung: Nationalstaaten haften für alle Vermögensschäden der Investoren, die aufgrund von Protesten und Unruhen entstehen. Schadenersatzpflicht besteht ferner für Mindererlöse durch nationale Gesetze und Verordnungen, wenn in einem anderen Mitgliedsland des MAI diese Gesetze nicht bestehen. Konfliktlösungsmechanismus: In Konfliktfällen entscheidet ein autarkes Entscheidungsgremium. Entscheidungen müssen nicht begründet werden, die Nationalstaaten haben kein Recht auf Akteneinsicht. Mindestlaufzeit: Zur Sicherung der getätigten Investitionen kann ein Staat erst nach 20 Jahren aus dem Abkommen austreten.« Wie Wikipedia weiter berichtet, wurden die Geheimverhandlungen 1997 durch eine Indiskretion in Kanada bekannt. Aufgrund des sich daraufhin formierenden zivilgesellschaftlichen Widerstands gaben 450 Vertreter internationaler Konzerne im September 1998 eine gemeinsame Erklärung ab: »Die Entstehung von Aktivistengruppen droht die öffentliche Ordnung, die rechtmäßigen Institutionen und den demokratischen Prozeß zu untergraben.« Im Dezember 1998 scheiterte das MAI am Widerstand Frankreichs.

Jetzt nennt sich das Ganze nicht mehr »Multilaterales Investitionsabkommen«, sondern »Transatlantische Handels und Investitionspartnerschaft« (TTIP). Daß Frankreich es nochmals scheitern lassen wird, traue ich dem immer lächelnden Monsieur Hollande nicht zu. Um so mehr kommt es auf die zivilgesellschaftlichen Gruppen an, die vor 16 Jahren die Konzerne tief beeindruckten. Also: Vorwärts zur Verteidigung der Demokratie!

Ende September veranstaltete Ossietzky gemeinsam mit der Internationalen Liga für Menschenrechte im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte eine Diskussion über TTIP mit der zuständigen Abteilungsleiterin des Bundesverbands der deutschen Industrie, Stormy-Annika Mildner, und dem Bundesgeschäftsführer des Vereins Mehr Demokratie, Michael Efler. Die BDI-Vertreterin erläuterte, alle deutschen Industrieverbände ständen hinter dem Projekt, weil sie am Zoll-Abbau und speziell am »Schulterschluß mit den USA« in Sicherheitsfragen interessiert seien. Die USA hätten die Geheimhaltung der Verhandlungen zur Bedingung gemacht. Aber diesbezügliche Sorgen seien unbegründet, denn das Abkommen werde durch alle Parlamente einschließlich des Europa-Parlaments gehen ...

Auf europäischer Seite ist es die EU-Kommission, die mit den US-Vertretern verhandelt. Daß sie sich jeder Auseinandersetzung mit einer Europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP verweigerte und ihr gar das Existenzrecht bestreitet, verwundert Efler ebensowenig wie der Druck von Bundeswirtschaftsminister Gabriel, dem Vorsitzenden der SPD, auf den Deutschen Gewerkschaftsbund. Er sieht große Mobilisierungsmöglichkeiten aus demokratischen und rechtsstaatlichen Gründen, aber auch des Arbeits-, Umwelt- und Naturschutzes.

Vor der Veranstaltung schickte mir ein Berliner Verwaltungsjurist, der nicht teilnehmen konnte, per Brief »ein Argument aus liberal-bürgerlicher Sicht: Der Inbegriff der Freiheit ist, daß man gemachte Fehler und getroffene Entscheidungen rückgängig machen kann. Das ist bei TTIP nicht der Fall, da Änderungen nur im Einvernehmen aller möglich sind, ansonsten gilt eine Laufzeit von mindestens 20 Jahren: auch eine Kündigung wäre nicht durch Deutschland, sondern nur durch die EU insgesamt möglich. Das [Gegenargument; E.S.] hat auch meine konservativen Freunde überzeugt.« Danke.

Unsere Diskussionen zu aktuellen Themen der Menschenrechte und der Demokratie finden immer am letzten Donnerstag des Monats statt, jeweils um 19 Uhr. Ende Oktober ging es um Rüstungsexporte mit Otfried Nassauer (Berliner Informationsstelle für transatlantische Sicherheit) und Christine Hoffmann (Generalsekretärin von pax christi, Mitinitiatorin des »Aufschrei« gegen Rüstungsexporte). Jahrelang hatten die Regierungen in Bonn und Berlin das Volk glauben gemacht, der Bundessicherheitsrat (ein Kabinettsausschuß) genehmige keine Rüstungsexporte in Kriegs- und Konfliktgebiete. Inzwischen wurde klar, daß die meisten Waffen aus Deutschland gerade in diese Gebiete geliefert werden. Und just im Oktober entschied das Bundesverfassungsgericht, daß die Bundesregierung über die Entscheidungsgründe nicht informieren muß. Bei »Gefährdung des Staatswohls« darf sie jede Auskunft verweigern. Im Gegensatz zum Parlament erhält aber die Rüstungsindustrie »natürlich« (O. Nassauer) rechtzeitig die Informationen, um einträgliche Geschäfte zu machen und zu planen. Für die meisten Rüstungsexporte gelten die Vorschriften des Kriegswaffenkontrollrechts ohnehin nicht, sondern zum Beispiel über »Blaupausen« (Zeichnungen, Dateien) für die Herstellung von Waffen entscheidet das Wirtschaftsministerium nach dem laschen Außenwirtschaftsgesetz.

Demokratie – wo und wie?

In Werbeschriften der Bundeswehr findet sich immer noch die Bezeichnung »Parlamentsarmee«, ein Wort, das demokratische Kontrolle vorspiegelt. Schon viele Jahre besteht aber die Geheimtruppe »Kommando Spezialkräfte« (Sitz: Calw), über deren Tun und Lassen in Afghanistan und anderswo der Bundestag nichts erfährt, nicht einmal der Verteidigungsausschuß. Brave Untertanen haben sich an solche wachsenden Demokratie-Defizite gewöhnt, sofern sie den Konzernmedien überhaupt jemals einen Hinweis darauf haben entnehmen können. Ich kann und will mich daran nicht gewöhnen.

Eine Bundestagsabgeordnete (SPD) beklagte gesprächsweise, in ihrem Wahlkreis sei jede politische Diskussion eingeschlafen, nicht nur in ihrer Partei. Ein unumkehrbares Geschehen?

Zu unserem nächsten Diskussionsabend im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte (Vesper mit Brot und Käse, Wein und Wasser) sei hiermit eingeladen: Donnerstag, 27. November zum Thema »Roma in Europa – kein Platz, keine Hoffnung?«