Ich stutze: Das ist doch hier, wo ich stehe, im Museum der Arbeit, in Hamburg-Barmbek – das große Foto. Beim Rundgang während der Pressekonferenz zur Ausstellung »Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg« (bis zum 3. April 2016) wird unangenehm deutlich, dass auch an diesem Ort Zwangsarbeiter Granaten für den Krieg gegen ihre eigenen Leute herstellen mussten – zwischen 1942 und 1945.
Das heutige Museum der Arbeit – damals die »New York-Hamburger Gummi-Waaren Compagnie AG«. Untergebracht waren die Arbeiter und Arbeiterinnen genau in diesen Räumen im dritten Stock. Über 500.000 Menschen wurden allein in Hamburg zur Zwangsarbeit herangezogen. Vor allem für die Rüstung. Auch in der Kampnagel-Fabrik in Barmbek und im Hafen bei Blohm & Voss. Aus dem KZ Neuengamme wurden die Häftlinge rekrutiert.
Gegliedert in fünf Kapitel, beginnend mit der Zwangsarbeit vor dem Krieg 1933 bis 1939, macht die Ausstellung mit dem Begriff Arbeit als »Ehrendienst am deutschen Volk« vertraut, als »Adel«. Wobei schon 1933 die Ausgrenzung beginnt, in Lager und »Erziehung durch Arbeit« für »rassisch Minderwertige« und politisch Andersdenkende. Gewerkschaften und Parteien waren verboten. Stattdessen gab es die Deutsche Arbeitsfront und die NSDAP. Eine Überschrift: »Volksgenossen und die Ausgestoßenen«. Die mussten hautnah erleben, was es heißt: »Arbeit als Demütigung«. Auch sinnlose Arbeit. Die Volksgenossen wurden animiert, auch durch den Stürmer, sich als Denunzianten zu betätigen – was sie gerne taten. Eindrucksvolle Faksimiles »An die Schriftleitung des Stürmer« mit beigelegten Fotos, die alles minutiös festhielten, aufgenommen von Nachbarn. (Die Ausstellung umfasst insgesamt über 500 Dokumente, 450 Fotos und 65 Szenen, 30 Hörstationen mit Zeitzeugenberichten.)
Ein Dokument aus Gelsenkirchen. Das Schild, umgehängt: »Ich bin ein Rassenschänder. Jude I. Rosenberg«. Sie: »Ich blonder Engel schlief bei diesem Judenbengel. Elisabeth Makowiak«. Beides mit genauer Adresse. Das war der Anfang. Nach dem Novemberpogrom mussten die Juden aufräumen, was von den Synagogen übrig blieb. Rassismus war wichtiger als Ökonomie. So wurden im Krieg mühsam nach Norwegen Zwangsarbeiter importiert (denn Norweger waren germanisch, kein Untervolk). Serbische Partisanen konnten manchmal am Leben bleiben, wenn sie nach Norden transportiert wurden, um für die Organisation Todt Straßen zu bauen. Nicht nur Juden (»Kolonne Grünspan lernt arbeiten«) – auch Sinti und Roma gehörten zu den Ausgegrenzten und mußten in der Landwirtschaft oder im Steinbruch arbeiten. Was sie oft nicht überlebten.
Deutsche Firmen, die nach Osten gewandert waren und sich einheimische Betriebe einverleibt hatten – sie brauchten Arbeiter. Beispiel Daimler-Benz in Minsk, die einen riesigen Reparaturbetrieb für Kraftfahrzeuge der Wehrmacht errichteten und dazu Kriegsgefangene und Einheimische, auch Juden, einsetzten. Fotos dokumentieren es. Walther Dürrfeld, der Betriebsleiter der IG-Auschwitz, ließ deportierte Juden gleich an der Rampe auswählen für die Arbeit im Werk Monowitz der IG-Farben. Wenn sie entkräftet waren, wurden sie in Birkenau vergast. Dürrfeld erhielt im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess acht Jahre Gefängnis und übernahm nach seiner viel zu vorzeitigen Entlassung zahlreiche Aufsichtsratsmandate auch in Firmen, die diesmal »Gastarbeiter« beschäftigten.
Die Zwangsarbeit beim BMW-Flugmotorenwerk ist mit Fotos dokumentiert. Am schlechtesten war die Unterkunft der osteuropäischen Arbeiter und KZ-Häftlinge. Bei Luftangriffen durften sie in keinem Bunker Schutz suchen. Polen und Ostarbeiter wurden von der Gestapo überwacht und mithilfe von willigen Denunzianten wegen mangelnder Arbeitsdisziplin oder unerwünschten Kontakten angezeigt und bestraft. Ärzte entschieden als Gutachter, ob ein Pole noch germanisierbar war oder ob er gehenkt werden sollte.
Ein Foto mit Zwangszuschauern, die sich abwenden. Bekanntmachung der Gestapo zur Hinrichtung polnischer Zwangsarbeiter vom Herbst 1942: In letzter Zeit wurden hingerichtet – es folgen vier Namen. »Ihr sollt daraus erkennen: Wer arbeitet, hat es gut in Deutschland! Wer nicht arbeiten will, wird dazu gezwungen! Wer sich gegen die deutschen Kriegs- und Sittengesetze vergeht, wird aufgehängt!«
»Europa arbeitet in Deutschland« – ein Plakat von Fritz Sauckel. Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz mobilisiert die Leistungsreserven. Ein anderes Plakat: »Europa verteidigt seine 3000jährige Kultur gegen den Bolschewismus«. Zu sehen, eine griechische Figur – von rechts kommt die rote Flut. Sauckel verschärfte die Rekrutierungsmaßnahmen. So wurden neben Männern und Frauen dann auch Kinder verschleppt. Ein Foto zeigt den siebenjährigen Jan Farion, 1943 in der Nähe von Aachen zur Zwangsarbeit in der Landwirtschaft eingesetzt. Er hält vor sich ein Schild mit der Nummer 58.
Es gab Widerstand und Sabotage. In Leipzig ein Flugblatt vom Mai 1944: »Aufruf an Alle!« in russischer und deutscher Sprache. In Griechenland Brandanschläge auf das Arbeitsamt. Diese Ämter hatten die Funktion der Vermittlung. Sie erstellten Ausweise für die Arbeit bei deutschen Firmen. Wer die nicht vorweisen konnte bei Razzien auf der Straße, wurde festgenommen, eingesperrt.
Botschaft der Ausstellung: Alles geschah mitten unter uns. Während des Krieges wurden in Deutschland fast auf jeder Baustelle, jedem Bauernhof, in jedem Industriebetrieb und in Privathaushalten Zwangsarbeiter eingesetzt und ausgebeutet. 20 Millionen, als »Fremdarbeiter«, Kriegsgefangene oder KZ-Häftlinge zur Arbeit gezwungen. Das war öffentlich. Die Raketenproduktion im unterirdischen Stollen des KZ Mittelbau-Dora bei Nordhausen in Thüringen sollte im Geheimen stattfinden. Rüstungsminister Albert Speer ließ zwar 1944 Werbeaufnahmen herstellen. Wie es den Häftlingen dort ging, war ausgeblendet. 20.000 von ihnen überlebten die Tortur nicht.
Als es dem Ende zuging, störten Kranke und Kinder – alle unterernährt. Sie wurden in Heilanstalten eingewiesen und ermordet – manchmal auch, weil die SS ein Lager als Quartier brauchte – so noch am 26. März 1945 in Hessen beim Dorf Hirzenhain. Oder in Westfalen bei Warstein. Bei einem Massaker dort, das drei Tage dauerte, wurden über 200 Menschen, darunter ein Kind, umgebracht. Ostarbeiter, die beseitigt werden mussten. Ein Foto zeigt einen deutschen Zivilisten am 3. Mai 1945, der die Leiche eines sehr kleinen Kindes in den Armen hält. Ein schreckliches Bild. Zwölf Jahre später wurden in einem Verfahren die meisten Angeklagten freigesprochen wegen »Befehlsnotstandes«. Obwohl das Gericht »Mordlust« als Motiv festgestellt hatte.
Nach 1945 war noch nicht alles anders. Ein Foto dokumentiert eine Kundgebung gegen die Hinrichtung der in Nürnberg verurteilten NS-Täter in Landsberg am 7. Januar 1951. Der Anlass war die bevorstehende Exekution auch von Oswalt Pohl, dem Chef des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes, für Zwangsarbeit verantwortlich. Das war deutscher Protest gegen Unmenschlichkeit. Es gab Auseinandersetzungen auf dem Marktplatz zwischen Einheimischen und jüdischen KZ-Überlebenden. Festgenommen wurden: mehrere Juden.
Nach Kriegsende begann der »lange Weg zur Anerkennung« der Zwangsarbeiter. Später, sehr viel später, auf Grund von Sammelklagen in den USA gegen deutsche Unternehmen und unter zunehmendem öffentlichen Druck wurde von der Bundesregierung und Unternehmen – des Exportes wegen – ein Fonds gegründet. Seit 2001 erhielten ehemalige Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen »humanitäre Zahlungen«, die durch die dafür extra gegründete Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« verteilt wurden. Soweit sie nicht inzwischen verstorben waren.
Hamburger Museum der Arbeit: »Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg« – eine Ausstellung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, initiiert und gefördert von der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«. Katalog, 256 Seiten, 19,80 €