erstellt mit easyCMS
Titel2316

Gott hätte da viel zu tun  (Monika Köhler)

Unterschiedlicher könnten sie nicht sein: zwei Ausstellungen in Hamburg (beide bis zum 15. Januar): »Venedig. Stadt der Künstler« im Bucerius Kunst Forum und »George Grosz – Der große Zeitvertreib« im Ernst Barlach Haus. Als Künstler im genormten Sinne sah sich George Grosz nicht: »Kunst ist für mich keine ästhetische Angelegenheit … Kein musikalisches Gekritzel, das nur von feinnervigen Gebildeten zu erfühlen und zu erraten ist. Zeichnen hat wieder einem sozialen Zweck sich unterzuordnen.« (1924) Das »innere Erlebnis« des Ersten Weltkriegs, in den er sich noch als Georg Ehrenfried Groß freiwillig begab – zweimal wurde er als »dienstuntauglich« entlassen –, führte zum Zusammenbruch: »Die Nerven, jede kleinste Faser Abscheu, Widerwillen!« Ergebnis: in Wieland Herzfeldes Malik-Verlag erscheint die Mappe »Gott mit uns« – im Barlach Haus ist ihr allein ein Raum gewidmet. »Licht und Luft dem Proletariat«, ein Rundgang im Gefängnishof. »Die Gesundbeter« schreiben immer kriegstauglich. Zu Grosz` »Zuhältern des Todes« schrieb Kurt Tucholsky: »Seine Fratzen der Majore und Sergeanten sind infernalischer Wirklichkeitsspuk.« Und: »Diese Mappe sollte auf keinem gutbürgerlichen Familientisch fehlen.«

 

Die in Hamburg ausgestellten Zeichnungen, Aquarelle und Druckgrafiken entstanden zwischen 1912 und 1930 in Berlin. Grosz trat der Berliner Dada-Bewegung bei und 1919 der Kommunistischen Partei, zusammen mit John Heartfield, Wieland Herzfelde und Erwin Piscator. 1920 heiratete er Eva Peter. In diesem Jahr wird Grosz für »Gott mit uns« wegen »Beleidigung der Reichswehr« zu einer Geldstrafe von 300 Reichsmark verurteilt, sein Verleger Wieland Herzfelde zu 600 Reichsmark. Und so geht es weiter. 1924: eine Strafe wegen »Angriffs auf die öffentliche Moral« für seine Mappe »Ecce Homo« (84 Zeichnungen und 16 Aquarelle, 1923 im Malik-Verlag erschienen). In der Ausstellung hängen einige Blätter. Das Aquarell »Niederkunft« musste aus der Mappe entfernt werden. Die Richter unterschieden sorgfältig zwischen »grob unzüchtig«, »unzüchtig« und »überprüfenswert« und davon wie viel jeweils. Dazu Grosz: »In diesem Werk handelt es sich überhaupt nicht um Pornografie. Es ist ein Dokument jener Inflationszeit … mit ihren Lastern und ihrer Sittenlosigkeit …, es ist in seiner Wirkung so brutal wie die Zeit, die es mir eingab … Und klagt man mich an, so klagt man die Zeit an, ihre Gräuel, ihre Verderbnis, ihre Anarchie und ihre Ungerechtigkeit.«

 

Grosz‘ Blätter bilden mit wenigen Strichen mikroskopisch genau das Milieu, das Elend der Behausungen ab, das, was die Frauen auf die Straße, die Männer in die Kneipen trieb. Nur wenig plakativ verzerrt. Alle Details der Wohnküchen: der Herd mit Ofenrohr, das eiserne Waschgestell mit Schüssel, Risse in den Wänden, die Gaslichtbirne von der Decke, der Nachttopf – gar nichts ist pittoresk. Manchmal endet es im Mord: Das letzte Blatt aus »Ecce Homo«, »Vater unser«, zeigt eine Hinrichtung. Wer die Physiognomien betrachtet, fragt sich, wie hätte Grosz wohl heute Donald Trump dargestellt?

*

Morde – im landläufigen Sinne – gibt es in Venedig heute wohl vorrangig in Donna-Leon-Krimis. Venedig, ohne den Anblick der gigantischen Kreuzfahrtriesen und ohne »Disneyfizierung«, wie es Salvatore Settis in seiner Prophetie »Wenn Venedig stirbt« letztes Jahr schrieb. Im Hamburger Bucerius Kunst Forum führt die Venedig-Ausstellung in eine romantisch schöne Stadt, so wie sie die Künstler sehen wollten, von 1500 bis zum beginnenden 20. Jahrhundert. Nur im Katalog (192 Seiten, Hirmer Verlag, 29 Euro) macht ein Foto von 2014 die Proportionen dieser Schiffe deutlich. In der Ausstellung hängen auf dunkelroten Wänden die Gemälde von Bellini, von Tintoretto und die Veduten-Bilder von Canaletto. Malerisch. Für Reisende wurden damals speziell kleinformatige Bilder angefertigt. Auch früher gab es schon eine Vergnügungskultur, nicht nur im Karneval. Dogen brauchten keine Masken, ihre Gesichter wirkten wie holzgeschnitzt. Das Bildnis des Dogen Leonardo Loredan von Vittore Carpaccio (zugeschrieben) ist ein Beispiel. Sein Gewand aus Brokat, genauso steif. Beim Wettstreit auf der Ponte del Pugni, 1673, von Joseph Heintz d. J. geht es wild zu: Menschengewimmel – schon fast wie heute. Ähnlich eine Stierhatz, auch von Heintz. Karikaturisten bevorzugten das fahrende Volk. Giambattista Tiepolos Federzeichnung und Aquarell zeigt »Zwei Pulcinelle«: einer schlafend, der andere wie auf dem Topf sitzend, eine »Fettleibige Dame, von hinten gesehen« und das Gemälde »Karnevalsszene. Pulcinellas Triumph«. Vom Goethe-Porträtisten Johann Heinrich Tischbein das Gemälde »Glücksspieler im Ridotto« (um 1752). Venedig bei Nacht – stimmungsvolle Bilder, die sich gut verkauften, damals. Und das, was den Zauber Venedigs ausmacht, das wechselnde Licht, Claude Monet hat es eingefangen und William Turner. Pietro Fragiacomo bringt mit seinem Gemälde »Piazza San Marco« (1899) diesen hellflimmernden Dunst, das leicht Verschwommene, Märchenhafte in die Hansestadt. Kandinskys Venedig-Bilder dagegen: scharf konturiert. John Ruskins Daguerreotypien aus dem 19. Jahrhundert von Venedigs Palästen – wie aus der Erinnerung hervorgeholt. Ganz real die Installation von Martin Kippenberger, »Sozialkistentransporter« (1989). Eine bunt angemalte Gondel mit leeren Holzkisten beladen. Aufschrift: »Pasta« und »Sozial«. Kein Gondoliere.

 

Vergangene Zeiten. Venedig wird untergehen im Krieg der riesigen Touristenschlachtschiffe gegen die Lagunenstadt, da hilft kein Gott, so wenig er uns auf dem Koppelschloss half.