»Unser Wohlstand steht auf Leichenbergen«, meint der Kabarettist Hagen Rether im Online-Magazin hinter-den-schlagzeilen.de. Aber Sklaverei und Kolonialismus sind doch Geschichte, jetzt sind »wir« doch die Verteidiger der Menschenrechte in aller Welt – oder? Gesundheit und Leben von Menschen zählen wenig, wenn es um Profit geht; das hat sich mit den Katastrophen (oder Verbrechen?) von Bhopal, Seveso oder Rana Plaza ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Ausbeutung, Vertreibung, Zerstörung der Lebensgrundlagen von Millionen Menschen in Afrika oder Asien stehen ständig auf der Tagesordnung, und die Täter sind bekannt: Es sind Konzerne der Chemie-, Agrar-, Energie- oder Ernährungsbranche, skrupellose Investoren und Spekulanten – und es sind Politiker, die die Verbrechen legalisieren und begünstigen.
Die internationale Staatengemeinschaft wehrt sich gegen diese menschenfeindliche Praxis. Auf Initiative Ecuadors und der Republik Südafrika im Jahre 2014 verhandelte inzwischen der UN-Menschenrechtsrat im Oktober in einer dritten Sitzung über ein verbindliches Abkommen zur Haftung der Konzerne bei Menschenrechtsverletzungen. Textilkonzerne wie H&M, KiK und Primark, Chemiegiganten wie Monsanto, Bayer und BASF oder global agierende Konzerne der Lebensmittelindustrie, etwa Nestlé oder Danone, sollten für von ihnen zu verantwortende Schäden haftbar gemacht werden können. Entschädigung und Wiedergutmachung für gefährliche, unmenschliche Arbeitsbedingungen, Vergiftung durch Herbizide, Pestizide oder Giftmüll, Umweltzerstörung oder Landraub müssen eingeklagt werden können. Durch das Abkommen soll das Allgemeinwohl, nicht der Profit als höchstes Gut gesichert, und damit ein wichtiger Schritt zur Verwirklichung der Menschenrechte einschließlich der UN-Sozialcharta getan werden.
Die ganze Staatengemeinschaft vereint für Menschenrechte, gegen (oft legale) Ausbeutung durch skrupellose Investoren und Spekulanten? Nein, selbstverständlich haben die Unternehmen, die von den gegenwärtigen Verhältnissen profitieren, staatliche Verbündete. Die »Plünderungsmaschine« (Tom Burgis, https://www.westendverlag.de/kommentare/die-pluenderungsmaschine/) würde nämlich nicht funktionieren, wenn Deutschland und die gesamte EU, wenn der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank nicht durch ungleiche Freihandelsverträge wie etwa die Economic Partnership Agreements, durch Subventionen aus Steuermitteln und Duldung von Steueroasen das korrupte System ermöglichen würden. Während sich Regierungen und Lobbygruppen für Investitionsschutzabkommen zur Sicherung der Konzernprofite einsetzen, wollen sie allenfalls freiwillige Übereinkünfte zum Schutz der Menschen akzeptieren.
In Afrika sterben nach einem UN-Bericht täglich 15.000 Kinder unter fünf Jahren an vermeidbaren Krankheiten – bis 2030 wird es also mehr als 60 Millionen Todesfälle in dieser Altersgruppe geben. Kann durch Entwicklungshilfe dem großen Sterben ein Ende bereitet werden? Die deutsche Politik hilft mit Steuergeldern lieber den Konzernen im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP), um den Umbau kleinbäuerlicher Landwirtschaft zu Monokulturen etwa für Biodiesel voranzutreiben und lokale Märkte zugunsten Konzern-Profitinteressen zu zerstören. Die G20-Staaten verhandelten bei ihrem letzten Treffen in Hamburg über ein »Compact with Africa« (s. Ossietzky 13/2017). Ziel ist die Verbesserung der Bedingungen für private Investitionen, einschließlich einer »Regulatorischen Kooperation«, die den privaten Investoren Einfluss auf die Gesetzgebung ermöglichen soll. Der Deutschlandfunk zitiert Tom Burgis: »Die Reiche des kolonialen Europa und die Supermächte des Kalten Krieges haben einer neuen Form der Herrschaft über den Kontinent Platz gemacht, den die Welt als seine Mine benutzt – neuen Imperien, die nicht von Nationalstaaten kontrolliert werden sondern von Allianzen zwischen afrikanischen Herrschern, [...] Mittelsmännern, die diese Potentaten mit der weltweiten Rohstoffwirtschaft verbinden, und multinationalen Konzernen aus Westen und Osten, die ihre korrupten Machenschaften hinter dem Unternehmensgeheimnis verbergen« (6.2.2017; vgl. auch den ARD-Film »Geheime Geschäfte. Die Milliarden-Deals der Konzerne« https://www.youtube.com/watch?v=HOt6GWISKwk).
Mit »Strukturanpassungsprogrammen« arbeiten die internationalen Gremien IWF, Weltbank und Welthandelsorganisation schon seit Jahrzehnten nicht auf die Verwirklichung der Menschenrechte hin, sondern auf die Umsetzung neoliberaler Interessen in Form von Marktöffnung, Privatisierung und Deregulierung. Menschenrechte werden durch das Recht des Stärkeren ersetzt, der es mit wirtschaftlicher und militärischer Gewalt durchzusetzen vermag. So entsteht die paradoxe und für Betroffene unter Umständen tödliche Situation, dass genau die Länder, die reich an Bodenschätzen sind, zu den ärmsten zählen. Burgis nennt Daten des Beratungs-Konzerns McKinsey, wonach »69 Prozent der Menschen, die in extremer Armut leben, sich in Ländern befinden, in denen Öl, Gas und Mineralien eine dominante Rolle in der Wirtschaft spielen« (»Der Fluch des Reichtums«, übersetzt von Michael Schiffmann, Westend Verlag).
Inzwischen ist die militärisch gestützte neokoloniale Ausbeutung Grundlage deutscher Politik, von der Regierung als »weltweite Verantwortung« verbrämt. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011 hat die Bundesregierung dargelegt, dass das rohstoffarme Deutschland sich den Zugang zu Rohstoffen militärisch verschaffen und die Handelswege sichern muss. Afrikanische Länder werden als Quelle billiger Rohstoffe und als Absatzmarkt benutzt. Ein Großteil bewaffneter Konflikte in aller Welt wird in rohstoffreichen Gegenden geführt. Ein Blick in UN-Charta und UN-Sozialpakt zeigt eine makabre Diskrepanz zwischen verpflichtenden Regeln, öffentlichen Bekundungen und realer Praxis. Deutschlands (ungleich verteilter) Reichtum wächst zu Lasten anderer Staaten, die Schäden und Kosten werden externalisiert.
Die neue Bundesregierung wird das nicht ändern – es sein denn, sie wird dazu gezwungen. Schon bei den Verhandlungen im UN-Menschenrechtsrat über Konzernhaftung stand die Bundesregierung unter Legitimationsdruck: Ein Bündnis aus 15 Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen setzte sich für einen Abschluss ein. Dennoch hat sie sich – wie auch die EU insgesamt – nicht an inhaltlichen Diskussionen beteiligt und damit den Prozess boykottiert. Sie ergreift damit Partei für die Konzerne, deren Lobbyisten Menschenrechte als Investitionshemmnis bekämpfen. Immerhin sollen die Verhandlungen 2018 fortgesetzt werden. Zu verdanken ist dies dem Druck Hunderter VertreterInnen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Gewerkschaften und auch betroffenen Städten, die den großen Saal im Palast der Nationen und den Platz vor dem UN-Gebäude in Genf bevölkerten. Wie schon beim UN-Beschluss zum Verbot von Atomwaffen gegen den Widerstand der NATO und der Atommächte zu verfolgen war, wächst auch beim Thema Konzernhaftung der Druck auf die Blockadestaaten, ihre imperiale Politik zu ändern und die Menschenrechte zu verwirklichen.