Affen in Hamburg? Auf Plakaten sind sie nicht zu übersehen. Ein Affe ist es, ein junges Orang-Utan-Weibchen aus Borneo, Erdbeeren fressend. »Fressen« kann man das nicht nennen, denn die Affen-Dame benutzt eine zierliche Gabel, um die Früchte aufzuspießen und zum Maul, zum Mund zu führen. In der linken Hand hält sie einen Porzellanteller mit Erdbeeren. Ein silberner Becher steht daneben. Sie sitzt in einem Raum mit angedeuteten Säulen, doch am Boden liegt Stroh, und der Affe ist nackt. Dieses Gemälde von 1776 – das erste Ölbild eines Menschenaffen – geschaffen hat es der Hofmaler Tethart Philipp Christian Haag. Das Tier wurde Wilhelm von Oranien zum Geschenk gemacht. Später kam es in die Menagerie. Der Direktor der Naturaliensammlung in Den Haag hatte das Verhalten des Affen vorher studiert, schilderte ihn als neugierig, gelehrsam und gutmütig. Er lernte durch Imitation und wollte nachts nicht allein bleiben, klagte dann. Dieses empfindsame Wesen starb nach sieben Monaten. Artgerechte Haltung wie heute war unbekannt.
Das Plakat wirbt für die Ausstellung »Tiere. Respekt / Harmonie / Unterwerfung«, die im Museum für Kunst und Gewerbe (bis zum 4. März 2018) zu sehen ist. Zu den 1200 Quadratmetern Ausstellungsfläche kommen im gesamten Haus noch 14 Themen-Satelliten. Am Katalog (Hirmer Verlag, 288 Seiten, 29 Euro, im Buchhandel 39,90 Euro) beteiligten sich viele Mitarbeiter. Sabine Schulze, Direktorin des Museums, hat selbst kuratiert. Sie geht leider im nächsten Jahr. Sie sagt selbst: »Die finanzielle Grundausstattung für Ausstellungen« müsse höher werden. Anderen Museen in Hamburg geht es genauso.
Zurück zu den Tieren. Der Maler Gabriel von Max, Affenliebhaber und -besitzer, ließ eine Schar von zehn Affen ein Gemälde (wohl ein eigenes) beurteilen im Bild »Affen als Kunstrichter« (um 1889). Nur der goldene Rahmen ist zu sehen. Erotisch aufgeladen die Bronzeskulptur von Emmanuel Frémiet »Gorilla, eine Frau raubend« (1887). Gorillas wurden erst um 1850 durch die Kolonisierung Afrikas von Europäern wahrgenommen. Im Film »King Kong« (1933, USA) zum Mythos geworden. Aus Meißner Porzellan die »Affenkapelle«, bemalt und vergoldet: grotesk, in Kleidern, mit Tuba und Harfe. Fürs Vertiko? Putzig und wohlverkäuflich die Foto-Postkarten von Hagenbeck (um 1910). Affen in Kinderkleidung am gedeckten Tisch herumlümmelnd, junge Schimpansen. Oder als Artisten auf einem Tandem. Und der Affe in Anzug und Weste, mit Lackschuhen – ausgerüstet als Mensch. Vielleicht hat Franz Kafka diese Karte gekannt, als er 1917 seine Erzählung »Bericht für eine Akademie« veröffentlichte. Sein Ich-Erzähler, gefangengenommen durch die »Firma Hagenbeck«, die ja auch »Völkerschauen« inszenierte.
Juristisch gesehen gilt das Tier bisher als Sache. In biologischer Sicht aber ist der Mensch ein Tier. Heutige molekularbiologische Verfahren zeigen in der Erbgutanalyse eine bis zu 99-prozentige Übereinstimmung. Charles Darwins »On the Origin of Species« (1859) war der Anfang. Dann kam Ernst Haeckel und mit ihm die Auswüchse, der Sozialdarwinismus, bis zur Aufartung, Menschenzüchtung und Euthanasie der Nazis.
Die Ausstellung führt aber auch ganz weit zurück, ins alte Ägypten, wo Tiere als Götter verehrt und nach dem Tod in Tiermumien für die Ewigkeit bewahrt wurden. Viele Beispiele, darunter Skurrilitäten wie der »Sarkophag für eine Spitzmaus«. Auch Menschen mit Tierköpfen, wie die Göttin Bastet mit Katzenkopf als Statuette aus Bronze. Hier trägt sie ein Handtäschchen. Mischwesen gab es zu allen Zeiten und in allen Kulturen – und in der Kunst. Bedrohlich oder verführerisch oder beides. Vampire: harmlose Fledermäuse, mit dem Teufel im Bunde. Francisco de Goyas berühmte Radierung »Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer«, ein Sinnbild der Angst vor der unkontrollierten Psyche, vor Bewusst-losigkeit. Franz von Stucks »Der Kuss der Sphinx« (um 1895) drückt dieses Gefühl ebenso aus wie schon früher Johann Heinrich Füsslis »Der Nachtmahr«. Max Beckmanns »Vampir« (1948) hockt als geflügeltes Wesen über einer Frau, die sich nicht wehrt.
Der Katalog weist immer wieder auf Dinge hin, die beim Ausstellungsrundgang leicht übersehen werden und Überraschungen bringen. So informiert eine Seite über die Odyssee, die jenes Nashorn überstehen musste, bevor Dürer es 1515 als »Rhinocerus« in seinem Holzschnitt unsterblich machte. Dann die Holzschnittserie »Jadeblumen in geheimnisvollen Gärten« (1768) von dem Japaner Itō Jakuchū. Winzige Tiere, Insekten wie ein Nashornkäfer auf minutiös gezeichneten Pflanzen, die alle Fressspuren zeigen – ein Hinweis auf die Vergänglichkeit des Lebens. Auch aus Japan: Kakerlaken, deren Flügel bemalt wurden, um so erst die Zartheit der feinen Adern sichtbar zu machen. Tiere, so härteunempfindlich, dass sie sogar eine nukleare Explosion überstehen können. Eine über sieben Meter lange Rolle mit Ratten, rennend, spielend, sich zusammenballend, vereinzelt. Titel: »Ein Bild von tausend Ratten«. Dieses Tier wird in Japan nicht verfemt wie im Westen, gilt als klug und Reichtum verheißend.
Zurück zum Anfang der Ausstellung. Da begrüßt ein riesiges Wimmelbild die Besucher. Es ist ein prähistorisches Wandgemälde aus einer Höhle in Simbabwe, 1929 kopiert von Studenten auf einer Expedition mit dem Ethnologen Leo Frobenius – sieben Meter breit. Menschen und Tiere, eng zusammenlebend. Beherrscht wird die Szenerie von zwei weißen, wie durchscheinend wirkenden Elefanten im Hintergrund. In der Nähe ein Kasten mit versteinerten Fischen – Fossilien aus dem Eozän – aus Goethes Sammlung. Und »Der Goldfisch« (1925), das Gemälde von Paul Klee. Der Fisch leuchtet aus sich selbst, ein Urbild allen Lebens, das aus dem Wasser entstanden ist. Franz Marcs »Liegender Hund im Schnee«, eine Fantasie in Gelb und Weiß von 1911. Es war sein Hund. Ob er gefroren hat? Wie sich Tiere fühlen, sie können es nicht sagen. Beim Verlassen der Ausstellung auf zwei großen Projektionen und einem kleinen Monitor: ein Elefant, wie er herumgeht auf sehr glattem Boden, als bewege er sich auf einer Drehbühne. Es ist die Kamera, die ihn umkreist. Er legt sich hin, schwerfällig – er soll sich hinlegen, es wird ihm befohlen. Doch das hört man nicht. Es ist die Elefantenkuh Minnie, die aus Indien in die USA zu einem Zirkus kam und sich hier in einer leeren New Yorker Galerie produzieren muss. Dieses Sich-Hinlegen und Wieder-Aufstehen ist schwer für das gewaltige Tier. Das wusste der »Regisseur« Douglas Gordon, und genau das wollte er zeigen. Titel der Dreikanal-Video-Installation: »Play Dead; Real Time«. Lebensgroß steht oder liegt das Tier neben dem Besucher. Die Augen geöffnet, die Haut zum Greifen nah. Um Minnie ist alles weiß und kalt und glatt. Kann sie den Tod spielen? Sie hat noch Glück, kein Verwandter von Trump hat sie im Visier, kein Großwildjäger – nur der Künstler Gordon, der sie vorführt.