Wer in der deutschen, demokratischen Schule aufgepasst oder Friedrich Schiller bei Wikipedia gefunden hat, weiß, was das Interregnum war: die kaiserlose, die schreckliche Zeit.
Ein Interregnum in meinem Leben waren die Jahre von 1993 bis 1997. Dazu muss ich ausholen.
1978 sandte ich an die Zeitschrift Die Weltbühne unverlangt einen Bericht über das 1. Kabarettfestival in der DDR. Denn jenes wurde allerorten beschönigt oder ignoriert. Ich bekam postwendend Antwort: Das könne man leider nicht drucken, aber ich möge doch mal in der Redaktion vorbeischauen. Ich schaute und schrieb seit dieser Zeit gelegentlich, später immer öfter für die Wochenschrift. Sie unterlag den üblichen Zensurpraktiken aus Hohem Hause – aber nur thematisch, nicht so, wie sonst üblich, auch stilistisch. Man durfte seinen eigenen Stiefel schreiben und gelegentlich Wahrheiten mitteilen. Wenn ich in die Redaktion kam, bot man mir Kekse an, schließlich sogar einen festen Vertrag: für 400 Mark hatte ich drei bis fünf Texte pro Monat zu liefern; es durften aber nur zwei Rezensionen dabei sein. Das war so festgeschrieben.
Es kam das Jahr 1989, es kam ein neuer Chefredakteur, der ehemalige Stellvertreter des alten. Hatte er noch 1988 mich heftig getadelt, weil ich einen Ossietzky-Sammelband dazu nutzen würde, meine eigenen kleinlichen Kritteleien an der DDR mitzuteilen, so wendete er sich rasch zur weitherzigen Weltbühnen-Offenheit. Es gab einen neuen Besitzer, der sich neben dem Aufbau-Verlag und der Literaturzeitschrift ndl das kleine, jetzt wieder ziegelrote Heft als Spielwiese zugelegt hatte. Doch seine Spielwiese verlor Abonnenten und der Frankfurter Millionär die Lust. Im Sommer 1993 verkündete er unter dem Vorwand, er wolle den Nachkommen von Siegfried Jacobsohn kein zweites Mal enteignen, die Einstellung des Blattes.
Die heutige VS-Vorsitzende Eva Leipprand hatte für dieses Heft einen Beitrag über ungehemmtes Wachstum und Konsum geschrieben: »Achtundsechzig. Ein Scheißspiel«. Den zweiten Teil der Überschrift setzte die Redaktion fett auf den Titel und kommentierte in einem Kasten: »Zu diesem bösen Spiel fällt uns nichts mehr ein!«
So begann am 6. Juli 1993 mein Interregnum. Ich hatte seit geraumer Zeit in diversen Blättern veröffentlicht, die großartige, die herrschaftslose Zeit des Jahres 1990 aber war vorbei, die »marktförmige Demokratie« (Ingo Schulze) setzte sich fast reibungslos durch. Ich hatte einen verständnisvollen Kulturredakteur unter dem Chefredakteur Sergej Lochthofen bei der Thüringer Allgemeinen, allwo ich Tagesärger schriftlich abladen konnte, es gab den Eulenspiegel, inzwischen zum Monatsmagazin geworden, es gab Literatur- und Kunstzeitschriften, ich hatte Verlage, die sogar Tantiemen zahlten, und Lesungen in der großen und der kleinen Welt – aber es gab keine Weltbühne mehr …
Vor zwanzig Jahren endete mein Interregnum. Eckart Spoo aus Hannover hatte mir und allerlei alten Weltbühnen-Mitstreitern wie Lothar Kusche und Heinz Knobloch von seinem Projekt Ossietzky Arbeitstitel Die Weltbühne geschrieben. Er hatte angerufen, geworben, nachgefragt und weitere Weltbühnen-Namen von mir hören wollen, obwohl er, wie mir schien, längst ganze Jahrgänge durchforstet und all meine Pseudonyme geknackt hatte.
Kno und Kusche waren einst meine Vorbilder, so präzis und klar und heiter wie die mochte ich auch schreiben wollen, nun waren wir, neben allerlei anderen, das verbliebene Weltbühnen-Erbe.
Eckart traf ich später öfter, als er und Lydia und damit die Redaktion nach Berlin umgezogen waren. Ich traf ihn dienstlich in der Greifswalder oder privat in der Pappelallee. Natürlich trennten wir nie dienstlich von privat. Nicht selten betonte er, dass ich nicht nur gleich zur Mitarbeit bereit gewesen wäre, sondern auch für den Grundstock gespendet hätte. Die Summe kann nicht groß gewesen sein; Eckart aber erinnerte sich dankbar. Ich erinnere mich dankbar ans Ende einer weltbühnenlosen, einer schrecklichen Zeit.