Vom 3. Oktober bis Anfang November waren das Verschwinden und die kurz danach bekannt gewordene Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im Konsulat seines Landes in Istanbul eines der beherrschenden Themen der Medien in der Bundesrepublik. Selbst das der Sensationsberichterstattung wahrlich unverdächtige neue deutschland informierte am 5. November seine Leser auf Seite 1 mit großformatigem Foto Khashoggis und fettgedruckter Schlagzeile: »Ermordet auf höchsten Befehl«. Wie dominant das Thema in den deutschen Medien war, zeigte vor allem die Berichterstattung und Kommentierung in den sogenannten Leitmedien. Die Frankfurter Allgemeine, die zweifellos zu den meinungsbildenden Blättern gehört, veröffentlichte zur Causa Khashoggi vom 3. Oktober bis zum 5. November sage und schreibe 69 meist längere Beiträge. Die Berliner Bild-Zeitung stand dem Frankfurter Blatt nicht nach, um seinen Leserinnen und Lesern Details der grausigen Tat und die Empörung darüber zu vermitteln: »Saudi-Prinz nannte Khashoggi einen ›gefährlichen Islamisten‹«, »VERSCHWUNDENER SAUDI-JOURNALIST KHASHOGGI. Diese Männer sollen ihn lebendig zerstückelt haben«, »SAUDI-AGENT SALAH MUHAMMED TUBAIGY. Er soll Journalist Khashoggi zersägt haben«, »DER FALL KHASHOGGI. Schlimmer als jeder Horrorfilm«, »TÜRKEI BERICHTET: Khashoggis Leiche wurde in Säure aufgelöst«.
Die saudi-arabische Elite in Riad und vor allem der dortige Machthaber, Kronprinz Mohammed bin Salman, gerieten international auf die Anklagebank. Auch von den bundesdeutschen Medien wurde das abscheuliche Verbrechen entschieden verurteilt. Hinsichtlich der Schärfe der Verurteilung fand geradezu ein Überbietungswettbewerb statt. Aber, so muss man fragen, ist denn die Ermordung des Journalisten Khashoggi das einzige bestialische Verbrechen des saudischen Königshauses? Steht Saudi-Arabien nicht an der Spitze einer Koalition, der Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Ägypten, Marokko, Jordanien, Sudan und Senegal angehören, die seit nunmehr fast vier Jahren einen barbarischen Krieg im Jemen gegen die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen führt. In Wahrheit handelt es sich um einen Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran um die Vorherrschaft in dem strategisch so außerordentlich wichtigen geopolitischen Raum. Die Folgen für das ärmste Land auf der arabischen Halbinsel sind verheerend. Mehr als 28.000 Menschen sind infolge saudischer Luftangriffe getötet worden. Riad hat eine Seeblockade über das Land, das traditionell 90 Prozent seiner Lebensmittel importierte, verhängt. Viele Tausende Jeminiten, darunter vor allem Säuglinge und Kinder, sind bereits verhungert. Die Hungersnot breitet sich aus. Nach Angaben des UN-Nothilfekoordinators Mark Lowcock könnte sie bald 14 Millionen Menschen betreffen. Die unmittelbar bevorstehende Hungersnot könne »größer sein als alles, was die Experten auf diesem Gebiet in ihrem Arbeitsleben bislang erlebt haben«.
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Heldentäter
Wer sich in globaler Verantwortung sonnt,
führt Kriege, allerdings nicht an der Front.
Unter den Toten nach der Feindberührung,
war bisher keiner von der höheren Führung:
kein Minister, kein Abgeordneter, kein General.
Denn diese wissen nämlich allemal:
Im Krieg ist der Tod nicht zu vermeiden.
Sie pflegen ihm tollkühn in das Auge zu blicken,
um dann doch lieber andere an die Waffen zu schicken.
Günter Krone
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Da es an medizinischer Hilfe fehlt, breiten sich landesweit tödliche Epidemien aus. Wie UNICEF jüngst mitteilte, stirbt alle zehn Sekunden ein Kind.
Und wie berichten die bundesdeutschen Massenmedien über die »schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt« (UN-Generalsekretär António Guterres) und über den Bombenterror Saudi-Arabiens? Die Frankfurter Allgemeine veröffentlichte über den Krieg im Jemen und seine schrecklichen Folgen in dem eingangs genannten Zeitraum vom 3. Oktober bis Anfang November nicht wie im Falle Khashoggis 69 sondern lediglich neun Beiträge. Die anderen »Leitmedien« verhielten sich nicht anders. Eine gewisse Zurückhaltung ist schwerlich zu übersehen. Die relativ spärliche Berichterstattung hängt zweifellos auch damit zusammen, dass die deutsche Außenpolitik gelinde gesagt recht sanft mit den saudischen Kriegsherren umgeht. Schließlich gehören die Saudis zu den wichtigen Kunden der deutschen Exportwirtschaft und nicht zuletzt der Rüstungsindustrie.
Außenminister Heiko Maas und andere Gutmenschen in der schwarz-roten Bundesregierung hüllten sich gegenüber dem brutalen militärischen Vorgehen Saudi-Arabiens und seiner Verbündeten weitgehend in Schweigen. Erst nach dem die USA Ende Oktober die Saudis unter Druck setzten und einen Waffenstillstand forderten, bequemte sich Maas am 1. November, von einer »beispiellosen humanitären Tragödie« im Jemen zu sprechen und die Forderung der USA »nachdrücklich« zu unterstützen. Bis dahin war er redlich bemüht, die angeschlagenen Beziehungen zwischen Berlin und Riad zu reparieren. Hatte doch sein Vorgänger und Parteifreund Sigmar Gabriel den Saudis »Abenteurertum« vorgeworfen. Maas dagegen hatte am Sitz der UNO in New York Ende September gegenüber seinem saudischen Amtskollegen sein Bedauern über dieses »Missverständnis« zum Ausdruck gebracht und zugesagt, Riad in Kürze zu besuchen. Nach der US-amerikanischen Erklärung ist der Besuch inzwischen verschoben worden.
Auch Maas ist es zu verdanken, dass die jetzige Bundesregierung trotz der saudischen Kriegsverbrechen im Jemen Rüstungsexporte im Wert von 254 Millionen Euro an das Königreich genehmigt hat. Obwohl im Koalitionsvertrag zwischen den Unionsparteien und der SPD ausdrücklich ein Rüstungsexportstopp für alle Länder vereinbart worden war, die unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind, hat die Bundesregierung Ende März dem Export von acht Patrouillenbooten an die Saudis zugestimmt. Mit der Lieferung unterstützt die Bundesrepublik die verhängnisvolle See- und Hungerblockade gegen die unvorstellbar schrecklich leidenden Menschen im Jemen.
Fazit: Die Mitglieder der Bundesregierung und die Chefs bundesdeutscher Leitmedien verurteilen den grausamen Mord an einem Journalisten, aber bei tausendfachem Mord üben sie größtmögliche Zurückhaltung. Gutmenschen eben! Sie beklagen den gewaltsamen Tod eines Menschen, aber sie liefern Todeswerkzeuge an ein Regime, das mittelalterliche Grausamkeiten an Abertausenden von Menschen begeht. Wie sagte schon der Autor des Dramas »Die letzten Tage der Menschheit«, Karl Kraus? »Die wahre Grausamkeit ist von keinem Machtmittel beschränkt.«