Stark, selbstbewusst und verletzlich sind sie, diese Ostfrauen. Im Westen waren sie oft als »Kittelheldinnen, Rabenmütter, multitaskende Viertaktweiber, gebärfreudige Arbeitsbienen« verschrien. Aber sie setzen sich durch.
Für die Autorinnen Ellen Händler und Uta Mitsching-Viertel war das der Anlass, 37 Frauen zwischen 60 und 80 Jahren, die 20 Jahre im Osten und 20 Jahre im Westen gearbeitet haben, zu interviewen. In ihrem Buch »Unerhörte Ostfrauen – Lebensspuren in zwei Systemen« erzählen die Frauen aus unterschiedlichen Berufszweigen ohne Vorgaben ihre Lebensgeschichte. Dabei wird nichts beschönigt und nichts verdammt. Die Spontanerzählungen – wir erfahren nur die Vornamen der Frauen – sind von erstaunlicher Offenheit, emotional und ergreifend. Lesungen aus dem Buch sind sehr gefragt, vor allem im Westen, aber auch in anderen Ländern, zum Beispiel in Österreich.
Was ist an den Ostfrauen so spektakulär? Dass viele eine gute Ausbildung hatten, Beruf, Familie, Haushalt und Kinder unter einen Hut brachten? Das war oft schwer zu stemmen, aber es hat Freude gemacht zu sehen, dass man etwas geschafft hatte. Der Zusammenhalt in der Gemeinschaft gab Kraft.
Ab 1990 verloren viele Frauen den Arbeitsplatz; sie mussten sich neu orientieren, absolvierten Umschulungen und Weiterbildungen, oft ohne das Ergebnis nutzen zu können. Ihnen wurde eine »überzogene Erwerbsneigung« vorgeworfen, sie sollten sich aufs Muttersein konzentrieren. In gut ausgebildeten Ostfrauen sah man Konkurrentinnen im Gerangel um Führungspositionen.
Ute, Jahrgang 1956, gesteht: »Ich habe gut in der DDR gelebt und habe profitiert.« Ihre finanzielle Unabhängigkeit hebt sie hervor und »dass wir mehr von der DDR hätten rüberretten sollen«. Diese Meinung vertreten viele der interviewten Frauen. Gemeint sind damit Gleichheit von Frau und Mann vor dem Gesetz, gute Bildung und ein Berufsabschluss, ökonomische Unabhängigkeit, berufliche Weiterentwicklung mit Hilfe eines Frauenförderungsplans, die sozialpolitischen Maßnahmen wie Haushaltstag, Kindergeld, verkürzte Arbeitszeit beziehungsweise bezahlte Freistellung bei Erkrankung der Kinder, das Babyjahr und so weiter. Nicht zuletzt erfüllten sich die Ostfrauen meist frühzeitig ihren Kinderwunsch zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr.
Trotz des Grundsatzes »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« verdienten die Frauen in der DDR zunächst nur etwa zwei Drittel dessen, was die Männer verdienten. Gleichen Lohn für gleiche Arbeit gab es dann konsequent seit den Siebzigerjahren.
Eine gleichberechtigte Arbeitsteilung in der Familie gab es jedoch meist nicht. Das führte oft zu Scheidungen. Frauen wollten anerkannt werden. Im Jahr 1987 gab es zum Beispiel 34,4 Prozent alleinerziehende Mütter. Höhere Führungspositionen waren überproportional mit Männern besetzt; mancher von ihnen fühlte sich durch Frauen verunsichert.
Nach der Wende war besonders der Abbau von Wissenschaftlerinnen an der Humboldt-Universität beschämend; er betrug 77 Prozent, das heißt von 3356 Stellen blieben 776 erhalten. Bei Männern betrug der Stellenabbau »nur« 20 Prozent. Die arbeitslosen Wissenschaftlerinnen zählten zu den schwer vermittelbaren Berufsgruppen. Die Stellen der entlassenen Wissenschaftlerinnen wurden von Männern aus der Alt-BRD besetzt.
Im Westen pries man für Frauen das Drei-Phasen-Modell: Ausbildung – Ehe und Geburt der Kinder – Berufstätigkeit nach der Selbstständigkeit der Kinder. Frauen konnten bis 1975 keine eigenen Konten eröffnen oder Verträge abschließen ohne Zustimmung des Ehemanns.
Die Ministerpräsidentin das Landes Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig äußerte am 8. März 2017 zum Frauentag: »Männer und Frauen sind noch nicht gleichberechtigt« und forderte eine Anerkennung der Familienarbeitszeit.
Heute erhalten 87 Prozent der Alleinerziehenden mit einem Kind den Mindestlohn und sind auf ergänzende Sonderleistungen angewiesen. Das weitere Auseinanderdriften von Arm und Reich in Deutschland betrifft vorwiegend Frauen.
Die Mehrzahl der interviewten Frauen wollte die DDR verändern, aber nicht abschaffen. Irgendwann zog es viele, die nach 1990 im Westen Arbeit gefunden hatten, in die alte Heimat im Osten zurück. Einige mussten frühzeitig ungewollt in Rente gehen. Die schwierige Phase der Arbeitslosigkeit war eine psychische und physische Belastung. Einige fanden in anderen Berufszweigen eine neue Tätigkeit.
Christa war in der DDR Generaldirektorin eines Kombinats; jetzt ist sie Herstellungsleiterin in einem pharmazeutischen Betrieb: »Alles, was den zwischenmenschlichen und sozialen Bereich betrifft – soziale Sicherheit, Vorsorge, Bildungsmöglichkeiten –, das vermisse ich sehr.«
Ilse, die Oberstufenlehrerin war und jetzt an einem Gymnasium arbeitet, musste sich anhören: »Sie können sich ja drehen, wie Sie wollen. Wir haben nun einmal gesiegt, und wir sagen, wie es gemacht wird.«
Annelie, promovierte Diplomingenieurin, heute Beamtin: »Ich fand es spannend, über das Leben in beiden Systemen Bilanz zu ziehen … die Verbundenheit, die Solidarität, das Miteinander, die Freude am gemeinsamen Schaffen, das ist es, was ich heute häufiger vermisse.«
Sieglinde hat erkannt: »Gleichberechtigung gibt es heute auf gar keinen Fall.« Man muss kämpfen, sich hocharbeiten, skrupellos, gleichgültig gegenüber anderen sein. Christas Erkenntnis: »Warum wurde Vieles, was in der DDR gut war, nicht in die Bundesrepublik … aufgenommen? ... Durch die DDR-Frauen sind in die Einheit kleine Pflänzchen zur Gleichberechtigung eingebracht worden. Ich habe die Hoffnung, dass sich die neue Generation wieder für das interessieren wird, was wir aus der Zeit der DDR lernen können.« Ein gutes Schlusswort, das Mut macht.
Ellen Händler/Uta Mitsching-Viertel: »Unerhörte Ostfrauen. Lebensspuren in zwei Systemen«, ibidem Verlag, 288 Seiten, 14,90 €. Anfragen an die Autorinnen zur Vereinbarung von Lesungen: kontakt@unerhörte-ostfrauen.de
Stark, selbstbewusst und verletzlich sind sie, diese Ostfrauen. Im Westen waren sie oft als »Kittelheldinnen, Rabenmütter, multitaskende Viertaktweiber, gebärfreudige Arbeitsbienen« verschrien. Aber sie setzen sich durch.
Für die Autorinnen Ellen Händler und Uta Mitsching-Viertel war das der Anlass, 37 Frauen zwischen 60 und 80 Jahren, die 20 Jahre im Osten und 20 Jahre im Westen gearbeitet haben, zu interviewen. In ihrem Buch »Unerhörte Ostfrauen – Lebensspuren in zwei Systemen« erzählen die Frauen aus unterschiedlichen Berufszweigen ohne Vorgaben ihre Lebensgeschichte. Dabei wird nichts beschönigt und nichts verdammt. Die Spontanerzählungen – wir erfahren nur die Vornamen der Frauen – sind von erstaunlicher Offenheit, emotional und ergreifend. Lesungen aus dem Buch sind sehr gefragt, vor allem im Westen, aber auch in anderen Ländern, zum Beispiel in Österreich.
Was ist an den Ostfrauen so spektakulär? Dass viele eine gute Ausbildung hatten, Beruf, Familie, Haushalt und Kinder unter einen Hut brachten? Das war oft schwer zu stemmen, aber es hat Freude gemacht zu sehen, dass man etwas geschafft hatte. Der Zusammenhalt in der Gemeinschaft gab Kraft.
Ab 1990 verloren viele Frauen den Arbeitsplatz; sie mussten sich neu orientieren, absolvierten Umschulungen und Weiterbildungen, oft ohne das Ergebnis nutzen zu können. Ihnen wurde eine »überzogene Erwerbsneigung« vorgeworfen, sie sollten sich aufs Muttersein konzentrieren. In gut ausgebildeten Ostfrauen sah man Konkurrentinnen im Gerangel um Führungspositionen.
Ute, Jahrgang 1956, gesteht: »Ich habe gut in der DDR gelebt und habe profitiert.« Ihre finanzielle Unabhängigkeit hebt sie hervor und »dass wir mehr von der DDR hätten rüberretten sollen«. Diese Meinung vertreten viele der interviewten Frauen. Gemeint sind damit Gleichheit von Frau und Mann vor dem Gesetz, gute Bildung und ein Berufsabschluss, ökonomische Unabhängigkeit, berufliche Weiterentwicklung mit Hilfe eines Frauenförderungsplans, die sozialpolitischen Maßnahmen wie Haushaltstag, Kindergeld, verkürzte Arbeitszeit beziehungsweise bezahlte Freistellung bei Erkrankung der Kinder, das Babyjahr und so weiter. Nicht zuletzt erfüllten sich die Ostfrauen meist frühzeitig ihren Kinderwunsch zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr.
Trotz des Grundsatzes »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« verdienten die Frauen in der DDR zunächst nur etwa zwei Drittel dessen, was die Männer verdienten. Gleichen Lohn für gleiche Arbeit gab es dann konsequent seit den Siebzigerjahren.
Eine gleichberechtigte Arbeitsteilung in der Familie gab es jedoch meist nicht. Das führte oft zu Scheidungen. Frauen wollten anerkannt werden. Im Jahr 1987 gab es zum Beispiel 34,4 Prozent alleinerziehende Mütter. Höhere Führungspositionen waren überproportional mit Männern besetzt; mancher von ihnen fühlte sich durch Frauen verunsichert.
Nach der Wende war besonders der Abbau von Wissenschaftlerinnen an der Humboldt-Universität beschämend; er betrug 77 Prozent, das heißt von 3356 Stellen blieben 776 erhalten. Bei Männern betrug der Stellenabbau »nur« 20 Prozent. Die arbeitslosen Wissenschaftlerinnen zählten zu den schwer vermittelbaren Berufsgruppen. Die Stellen der entlassenen Wissenschaftlerinnen wurden von Männern aus der Alt-BRD besetzt.
Im Westen pries man für Frauen das Drei-Phasen-Modell: Ausbildung – Ehe und Geburt der Kinder – Berufstätigkeit nach der Selbstständigkeit der Kinder. Frauen konnten bis 1975 keine eigenen Konten eröffnen oder Verträge abschließen ohne Zustimmung des Ehemanns.
Die Ministerpräsidentin das Landes Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig äußerte am 8. März 2017 zum Frauentag: »Männer und Frauen sind noch nicht gleichberechtigt« und forderte eine Anerkennung der Familienarbeitszeit.
Heute erhalten 87 Prozent der Alleinerziehenden mit einem Kind den Mindestlohn und sind auf ergänzende Sonderleistungen angewiesen. Das weitere Auseinanderdriften von Arm und Reich in Deutschland betrifft vorwiegend Frauen.
Die Mehrzahl der interviewten Frauen wollte die DDR verändern, aber nicht abschaffen. Irgendwann zog es viele, die nach 1990 im Westen Arbeit gefunden hatten, in die alte Heimat im Osten zurück. Einige mussten frühzeitig ungewollt in Rente gehen. Die schwierige Phase der Arbeitslosigkeit war eine psychische und physische Belastung. Einige fanden in anderen Berufszweigen eine neue Tätigkeit.
Christa war in der DDR Generaldirektorin eines Kombinats; jetzt ist sie Herstellungsleiterin in einem pharmazeutischen Betrieb: »Alles, was den zwischenmenschlichen und sozialen Bereich betrifft – soziale Sicherheit, Vorsorge, Bildungsmöglichkeiten –, das vermisse ich sehr.«
Ilse, die Oberstufenlehrerin war und jetzt an einem Gymnasium arbeitet, musste sich anhören: »Sie können sich ja drehen, wie Sie wollen. Wir haben nun einmal gesiegt, und wir sagen, wie es gemacht wird.«
Annelie, promovierte Diplomingenieurin, heute Beamtin: »Ich fand es spannend, über das Leben in beiden Systemen Bilanz zu ziehen … die Verbundenheit, die Solidarität, das Miteinander, die Freude am gemeinsamen Schaffen, das ist es, was ich heute häufiger vermisse.«
Sieglinde hat erkannt: »Gleichberechtigung gibt es heute auf gar keinen Fall.« Man muss kämpfen, sich hocharbeiten, skrupellos, gleichgültig gegenüber anderen sein. Christas Erkenntnis: »Warum wurde Vieles, was in der DDR gut war, nicht in die Bundesrepublik … aufgenommen? ... Durch die DDR-Frauen sind in die Einheit kleine Pflänzchen zur Gleichberechtigung eingebracht worden. Ich habe die Hoffnung, dass sich die neue Generation wieder für das interessieren wird, was wir aus der Zeit der DDR lernen können.« Ein gutes Schlusswort, das Mut macht.
Ellen Händler/Uta Mitsching-Viertel: »Unerhörte Ostfrauen. Lebensspuren in zwei Systemen«, ibidem Verlag, 288 Seiten, 14,90 €. Anfragen an die Autorinnen zur Vereinbarung von Lesungen: kontakt@unerhörte-ostfrauen.de