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Dieser alte Schoß  (Monika Köhler)

Das Bild ist schrecklich – aber es verrät frühe Meisterschaft, die der 1912 geborene Maler so nie wieder erreichte: »Untitled (Woman)«, in New York entstanden zwischen 1930 und 1933: Im Zentrum eine Frau, die alles beherrscht, nackt, mit großen Brüsten, faltigem Bauch steht sie mit gespreizten Beinen, die ihre Scham ahnen lassen, triumphierend im schwarzen Raum. An einem Fuß ein Stöckelschuh. Der Kopf, leicht nach oben gereckt, zwei glitzernde Ohrringe. Sie scheint sich ihres Sieges sicher. Sieg? Vielleicht über die sie umgebenden, hinter ihr stehenden Söhne – totenkopfbleich – und den Mann, dessen Schädel hervorragt. Ein Zettel liegt am Boden. Alles in schmutzig-braun-weißen Farben. Nicht erotisch, Ausdruck einer Obsession. Gemalt von einem der Söhne, Jackson Pollock, der über seine Mutter urteilte: »Dieser alte Schoß mit eingebautem Grab.« Damals studierte Pollock noch bei Thomas Hart Benton an der Art Students League wie viele später bekannte Künstler. Das Bild hängt in Hamburg im Bucerius Kunst Forum in der Ausstellung: »Amerika! Disney, Rockwell, Pollock, Warhol« (bis 12. Januar 2020). Das Gemälde ist alles andere als typisch für den Maler des Action Painting, es entspricht nicht dem Bild des »freiheitsliebenden amerikanischen Cowboys« (Kathrin Baumstark im Katalog – Hirmer Verlag, 150 Seiten, 29 €).

 

Jackson Pollock, der Vertreter des neuen Stils, des abstrakten Expressionismus, der nach 1945 in den USA entstand und gefördert wurde als Gegengewicht zum sozialistischen Realismus im Lager der Unfreiheit. Man wollte etwas Neues, Uramerikanisches, das Freiheit ausdrückte im Kalten Krieg. Waren es Pollocks »Drip Paintings«, die er auf ungewöhnliche Weise schuf? Die Leinwand lag auf dem Boden, Pollock tropfte mit Farbe, gab andere Materialien hinzu, durchlöcherte Büchsen ersetzten den Pinsel – große Freiheit für die Farbe: beim Verlaufen. Ein Beispiel: »Reflection of the Big Dipper« (1947), ein Ölbild, viele schwarze Linien und Punkte in blauen Farbklecksen sollen den Beschauer »direkt zum Sternenzelt« führen. Ein langer Artikel im Life-Magazin im August 1949 hilft, den Bekanntheitsgrad zu steigern: »Jackson Pollock. Ist er der größte lebende Maler in den Vereinigten Staaten?« Wer half noch? Die CIA, sie sponserte Ausstellungen, die auch durch Europa tourten, und finanzierte den antikommunistischen Kongress für kulturelle Freiheit, der am 26. Juni 1950 in Berlin, im Titania-Palast gegründet wurde: gegen das Totalitäre in der Kunst. Auch in Zeitschriften machte sich die kulturelle Freiheit breit – in der BRD im Monat. Viele Schriftsteller und Künstler gehörten dem Kongress wissentlich oder unwissentlich an, so auch Mark Rothko und Barnett Newman. Pollock sei »am Tag seines Beitritts völlig betrunken« gewesen (Frances Stonor Saunders: »Wer die Zeche zahlt … Die CIA und die Kultur im Kalten Krieg«). Auch ehemalige Sympathisanten des Kommunismus und einfach linke Liberale – genau die waren gewollt für die Unterwanderung durch diese Kultur. Am 20. Mai 1967 erschien ein Artikel von Tom Braden in der Saturday Evening Post, der die Einflussnahme der CIA aufdeckte. Die Bilder des abstrakten Expressionismus sind heute noch geschätzte Spekulationsobjekte und erzielen Spitzenpreise.

 

Andy Warhol, vom Sohn armer Einwanderer zur Pop-Ikone emporgestiegen, gilt als der Vertreter der US-amerikanischen Alltagskultur und wurde so selbst zur Marke. Er kann hier nicht fehlen. Die »Campbell´s Soup«, ein Siebdruck von 1968, ja: 1968. Oder das »Dollar Sign« (1981), Siebdruck mit Diamantenstaub und synthetischer Kunstharzfarbe – wie ein leuchtender Schwertgriff. Über die Auftragsarbeit für Daimler-Benz zum 100-jährigen Bestehen des Autos waren die Firmenbosse begeistert. Das »Mercedes-Benz 300 SL Coupé« (1986): »Trotz Fließbandproduktion« werde der »Individualität des Automobils durch freie Farbwahl Raum gegeben«, schwärmt der Katalog. Die Grenzen zwischen Hochkultur und »low« – Warhol hatte sie aufgehoben. Den American Way of Life, er schilderte ihn so: »Das Großartige an diesem Land ist, dass Amerika eine Tradition begründete, in der die reichsten Konsumenten im Prinzip das gleiche kaufen wie die ärmsten. Du machst den Fernseher an, siehst Coca Cola, und du weißt, dass auch der Präsident Cola trinkt. Liz Taylor trinkt Cola, und auch du kannst Cola trinken.« Großartig – Trump hat hier gelernt.

 

Der andere Star der populären Kultur in den USA ist zweifellos Walt Disney. Heute das größte Medienimperium der Welt. Kunst für alle, die Vision wollte er mit seinen Zeichentrickfilmen erreichen. Ich erinnere mich noch gut an den »Fantasia«-Film, der in der BRD 1952 erstaufgeführt wurde. Ein Versuch, klassische Musik zu visualisieren, der zwiespältig aufgenommen wurde. Die Ausstellung zeigt, welche handwerkliche Arbeit der Mitarbeiter (auch Frauen?) in den Filmen steckt. Namen werden fast nie genannt, nur: »Künstler des Disney-Studios«. Im Katalog ist einmal kurz der »viel beachtete Studiostreik von 1941« erwähnt. Heute, im digitalen Zeitalter, ist diese Arbeit Nostalgie. Und jetzt noch Kunst für jedermann: die Disney-Parks.

 

Der vierte Künstler, Norman Rockwell, schuf über vierzig Jahre lang die Titelblätter der wichtigsten US-amerikanischen Zeitungen. In Deutschland ist er wenig bekannt, in Hamburg sind seine Blätter für die Saturday Evening Post ausgestellt (mir kommen frühe Titelseiten von Hörzu hoch). Meist nach Fotos gemalte pittoreske, neckische oder rührselige Bilder, mit Kindern und Hunden, volkstümlich. Rockwell gilt mit seiner realistisch-verklärenden Malweise als der beliebteste Künstler der USA. Warum? Er gab die Erklärung: »Die Sicht auf das Leben, wie ich sie in meinen Bildern kommuniziere, schließt das Schäbige und Hässliche aus. Ich male das Leben so, wie ich es mir wünsche.«