Ein NATO-Stratege fragte am 3. November in der FAZ an, was geschähe, wenn es »gegen Moskau zum Äußersten« käme. »Krieg gegen Rußland?« war der Artikel von Nikolaus Busse überschrieben, der als publizistische Mobilmachung gelesen und auch so verstanden werden mußte. Im vorigen Ossietzky-Heft berichteten wir darüber. Am 22. November nimmt hingegen der FAZ-Oberstratege Lothar Rühl den Mund etwas weniger voll. Plötzlich ist von »Verständigung mit Rußland« die Rede, denn: »Ohne Verständigung mit Rußland wird weder eine Politik gegenüber Iran noch eine Strategie in Südwestasien Erfolg haben.« Dieser NATO-Spezialist ist also partiell zu Verstand gekommen. Ein Krieg zugleich gegen Rußland und Asien ergibt zwei Kriege. Die US-Army, die drei Kriege gleichzeitig führen wollte, scheitert soeben wie Hitler im pluralen Weltkrieg. Es geht wohl nur mit »einer Schlacht nach der anderen«, wie Feldmarschall Suworov, der Napoleon-Bezwinger, in Tolstois »Krieg und Frieden« lehrt. Polens Außenminister Sikorski bläst allerdings in der FAZ vom selben Tag die Kriegstrompete. Am Georgien-Konflikt sei Rußland schuld, was von der NATO eine »proportionale Antwort« fordere. »Sollte das georgische Szenario in der Ukraine angewendet werden, hätten wir eine europäische Krise großen Maßstabs.«
Wir verstehen: Es geht ums »Äußerste«. Obwohl die Ukraine noch gar kein NATO-Mitglied ist, aber den Russen 2,4 Milliarden US-Dollar für Energielieferungen schuldet. Von Pleitegeiern umschwirrt, mit Boxkämpfen im Parlament befaßt. Was nützen da die vier Phantom-Flugzeuge der Bundeswehr, die den baltischen Luftraum gegen die bösen Russen bewachen? Sollen die auch die Ukraine beschützen? Dort bleichen noch die Skelette von Wehrmachtskameraden.
Na gut, Deutschland findet zur eigenen Sicherheit zurück. Schon redet Bundespräsident Köhler seinen in Frankfurt versammelten »Bankiers« – statt Bankern – ins Gewissen. Die Sensation produzierte tatsächlich am selben Tag noch Schlagzeilen: »Köhler: Banken waren blind für Risiken.« Können Banken sehen und erblinden? Und wie sollen blinde Banken oder Bankiers ihr verlorenes Gewissen wiederfinden? Ein Köhler-Vorgänger namens Herr Gott, dem der Tanz ums Goldene Kalb auch schon zu schaffen gemacht hatte, ließ zur Strafe laut Lutherbibel »dreitausend Mann« umbringen. Das war bei den damaligen kleinen Volksstämmen eine nicht ganz unbeträchtliche Zahl. So erscheint unser Herr Köhler geradezu als Humanist, der altmodisch auf Gewissensbisse setzt. Was aber, wenn unsere Oberen in der Kriegsfrage so irre agieren wie jetzt in der Finanzfrage? Wo ist der Herr Präsident oder Herrgott, der den Kriegern ins verlorene Gewissen redet?