Die Wanderausstellung »Wissenschaft, Planung, Vertreibung. Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten« tourt durch deutsche Universitätsstädte. Im Oktober war sie in Dresden, vom 24. November bis zum 5. Januar ist sie in Hannover zu sehen, danach in Münster, Erlangen, Trier und Halle. Auf 250 Quadratmetern werden Vorgeschichte, Ziel und Wirkung des Generalplans Ost gezeigt. Laut Katalog ist die Exposition ein Teil der Bemühungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), sich mit ihrer eigenen Geschichte »verantwortlich« auseinanderzusetzen.
Obgleich die DFG altes Inventar aus der Weimarer Republik ist und Wert auf die Kontinuität ihrer zentralen Rolle für die Förderung der Forschung in Deutschland legt (mit kurzer Unterbrechung von 1945 bis 1949), bequemte sich ihr Präsidium erst Ende der Neunziger Jahre zu »Initiativen«, um ihre Geschichte »umfassend aufzuarbeiten«. Denn zu leugnen ist nicht, daß die DFG »im Nationalsozialismus« ihre Ressourcen »mit derselben Begeisterung für das Regime mobilisierte, mit der sich auch die große Mehrheit der deutschen Wissenschaftler für den NS-Staat engagierte«, wie eine Tafel am Anfang der Ausstellung wissen läßt.
Ein Autorenkollektiv unter Leitung von Rüdiger zum Bruch (Berlin) und Ulrich Herbert (Freiburg) beleuchtet das am Beispiel des Generalplans Ost, eines besonders perfiden Programms zur dauerhaften Etablierung der Naziherrschaft in Osteuropa. Die Pläne zur »völkischen« Neuordnung Europas beruhten auf der Zuarbeit »wissenschaftlicher Experten«, wie der Besucher erfährt. Die Grundlagen für die Expansions- und Rassenpolitik waren schon in den zwanziger Jahren formuliert worden. Die DFG finanzierte diese Forschung sowohl vor als auch während der Nazizeit. Kontinuität!
Als Erklärung wird dem Besucher angeboten, daß eine »ungestüme Modernisierungsdynamik um 1900« Sorgen vor einer »Entartung des deutschen Wesens« geweckt habe. So habe sich »die politische Kultur Deutschlands« im Kaiserreich »einem Denken in völkischen Kategorien geöffnet«. Anthropologen, Ethnologen und Historiker hätten »Visionen« für die Expansion des »Deutschtums« sowohl nach Osten als auch nach Westen entwickelt, die sich in den Kriegszielen des Ersten Weltkriegs bereits materialisierten. Diese Analyse, die sich an politisch-ökonomischen Zusammenhängen vorbeizumogeln versucht, indem sie die ökonomischen Machtverhältnisse, das Profitstreben des Industrie- und Finanzkapitals, die Kapitalakkumulation, den daraus entstehenden Expansionsdruck und die Klasseninteressen einfach unberücksichtigt läßt, bleibt in dumpfer Volkstümelei stecken.
»Im Einklang mit der öffentlichen Meinung«, so argumentiert der Katalog weiter, habe »die deutsche Wissenschaft« nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg eine Revision des Versailler Friedensvertrages erstrebt. »Sie bemühte sich, die Unrechtmäßigkeit der Gebietsabtretungen vor allem im Osten des Reiches nachzuweisen.« Den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern habe es oblegen, die historische, geographische, rechtliche und ökonomische Zugehörigkeit der umstrittenen Territorien zu Deutschland herauszustellen.
Wenn »die deutsche Wissenschaft« das so sah, konnte die 1920 gegründete »Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft« auch nicht anders, als diese »Forschungen« zu finanzieren. Daß der nazistische Rassenwahn aus diesem imperialen Geist genährt wurde, diese Einsicht vermittelt die Ausstellung nicht.
Als Prototypen der »Forscher« im Dienste der Expansionspolitik stellt die Ausstellung den Agrawissenschaftler Konrad Meyer heraus. Nazi seit 1932, SS-Mitglied seit 1933, war Meyer der richtige Mann für Heinrich Himmler, den Hitler nach der Eroberung Polens mit der Germanisierung der annektierten Gebiete beauftragt hatte. Himmler machte Meyer zum Chef-Umsiedlungsplaner. Der Direktor des Instituts für Agrarwesen und Agrarpolitik der Berliner Universität, Vizepräsident der DFG und Chef der Hauptabteilung Planung und Boden in Himmlers Reichskommissariat für die Festigung des deutschen Volkstums legte seinem Chef im Juni 1942 die Denkschrift »Generalplan Ost« vor. Diesen und den auf ihm beruhenden Generalsiedlungsplan Ost finanzierte großenteils die DFG. Die Pläne sahen vor, in Polen und im Westen der Sowjetunion fünf Millionen Deutsche anzusiedeln und Millionen slawische und jüdische Bewohner zu vertreiben, zu versklaven oder zu »liquidieren«. Die Ausstellung zeigt anschaulich, wie Polen und Juden vertrieben und ermordet und wie »Volksdeutsche« umgesiedelt wurden. Jedes der Verbrechen ist mit Fotos belegt. Die Täter dokumentierten alles voller Stolz: die Vertreibung aus den Häusern, Flüchtlingszüge, Zwangsarbeit, die Übergabe polnischer Häuser an Deutsche und auch das begeisterte Spalier deutscher Einwohner beim Einzug »volksdeutscher« Umsiedler in »reichsdeutsche« Städte.
Die Bilanz von 1940 bis 1944: 800.000 Polen vertrieben, 1,7 Millionen als Zwangsarbeiter »ins Reich« verschleppt, drei Millionen Juden in Ghettos gesperrt und ermordet. Mit der Perfidie der »Rassenkunde« wurden Millionen polnische Menschen auf ihre »Eindeutschungsfähigkeit« überprüft, 20.000 bis 50.000 Kinder wurden verschleppt, weil man sie als Deutsche aufziehen wollte. In den annektierten Gebieten wurden 700.000 Deutsche angesiedelt. Diese wurden durch rassistische Hetze und Erschwernisse bei der Umsiedlung zu Gehilfen und Profiteuren der Judenvertreibungen gemacht. Juden mußten Zwangsarbeit bei der Umsiedlung leisten und wurden ihrer Häuser und ihrer Habe beraubt. Das war Raubmord. Die Büttel der Gewalttaten waren SS, Polizei und Wehrmacht. Die »Wissenschaftler« schufen die Leitfäden und gaben den Tätern das Bewußtsein, Vollstrecker eines großen Ziels zu sein.
Die Fokussierung der Ausstellung auf Konrad Meyer läßt hunderte gelehrte Mittäter in der Anonymität verschwinden – einer der Schwachpunkte der Ausstellung.
In einer Hörstation kann der Besucher das Verhör Meyers vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal 1947/48 verfolgen. Man hört, wie er mit Lügen und gelehrten Sprüchen jede Verantwortung abwälzen und die amerikanischen Richter von der Harmlosigkeit der Umsiedlungspläne überzeugen konnte. Zwangsläufig folgten: Freispruch, Meyer als Pflanzenzüchter, 1956 Professor und Institutsdirektor an der Technischen Hochschule Hannover, schließlich Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (was sonst?). Natürlich griff ihm die DFG auch finanziell unter die Arme, aber in »bescheidenem Ausmaß«, wie der Katalog betont. Ein guter Anschauungsunterricht für eine deutsche Karriere.
Fragwürdig aber ist schon der Titel der Ausstellung: »Wissenschaft, Planung, Vertreibung«. Eine »Wissenschaft«, die sich wesentlich auf die »Rassen«-»Lehre« stützte, kann bestenfalls als Pseudowissenschaft bezeichnet werden. Aufarbeitung ohne ein Infragestellen der eigenen Denkschemata – um nicht zu sagen Ideologie – muß in Halbheiten stecken bleiben.