Ins Eifelstädtchen Schleiden zog es in den trüben Novembertagen die für die Innere Führung und Innenpolitische Bildung der Bundesluftwaffe zuständige Führungsspitze. Gleich 40 Generale waren angereist. »Passend zum Thema«, so die Lokalausgabe des Kölner Stadtanzeigers, wurde eine Ausstellung zum Thema »Widerstand im NS-Staat« gezeigt.
Abseits von Schleiden erinnerten diverse Veranstaltungen an den Widerstandskämpfer Georg Elser, der 70 Jahre zuvor im Münchner Bürgerbräu im Alleingang ein Attentat auf Hitler unternommen hatte.
Die Ausstellung in Schleiden war allerdings nicht dem wackeren Schreiner vom Bodensee gewidmet, der Hitler wegen dessen Kriegspolitik »in die Luft jagen wollte« – zu einer Zeit, als die Creme der deutschen Generalität, berauscht vom erfolgreichen Überfall auf Polen, bereits weitere Eroberungszüge plante. Von Elser war überhaupt nicht die Rede, wie ihn die Öffentlichkeit schon jahrzehntelang kaum wahrgenommen hatte. Hellmut G. Haasis, Autor einer eindrucksvollen Biographie des widerständlerischen Einzelkämpfers Elser, meint zu möglichen Gründen dieser Verdrängung: »In seinen Adern floß kein blaues Blut. Er entstammte nicht der ›besseren Gesellschaft‹, war kein bekannter Militär, hatte nicht einmal Abitur.« Elsers Bombe war bei einer faschistischen Kultveranstaltung mit Hitler als Hauptredner zwar exakt zum geplanten Zeitpunkt explodiert; aber Hitler kam wegen der Witterungs- und Verkehrsverhältnisse davon, weil er 13 Minuten kürzer als geplant geredet hatte. Am 9. April 1945 wurde Georg Elser auf direkten Befehl Hitlers im KZ Dachau durch Genickschuß ermordet.
Im Mittelpunkt der Ausstellung in Schleiden stand, sozusagen als Kontrapunkt zu dem Proleten vom Bodensee, Claus Graf von Stauffenberg. Dessen Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 gehört, wie den Generalen mal wieder auf den Weg gegeben wurde, »zu den Leuchtpunkten des Widerstandes«. Den inneren Führern gab Ex-Bundeswehr-Brigadegeneral Hans Speidel eine Einführung in die Ausstellung und nutzte weidlich die Gelegenheit, seinen Vater, Hans Speidel sen., ein Prachtexemplar aus der Schule des deutschen Militarismus, zu rühmen. 1914 war er in die – damals kaiserliche – Uniform geschlüpft; nach 50 Jahren und gelegentlichem Wechsel der Farben zog er sie im März 1964 als Befehlshaber der NATO-Landstreitkräfte Mitteleuropa wieder aus. Auch er war, wie sein Sohn kundtat, ein »prominenter Widerstandskämpfer«, hatte allerdings, »im Gegensatz zu den weitaus meisten anderen, die in die Pläne eingeweiht waren, das Glück zu überleben«.
Stationen auf dem Weg des Glückskindes: Bei der Reichswehr zum Generalstabsoffizier ausgebildet, Hauptmann im Frankreich-Referat der 3. Abteilung des in der Weimarer Republik verbotenen, dennoch eingerichteten, also illegalen Generalstabs, 1933 Mitglied im Stab des Militärattachés in der deutschen Botschaft in Paris, Chef der Abteilung »Fremde Heere West«, am Westfeldzug beteiligt als 1. Generalstabsoffizier des IX. Armeekorps (Heeresgruppe B). Aus der Zeit, als der angeblich »prominente Widerstandskämpfer« Chef des Generalstabes beim Militärbefehlshaber in Frankreich war, findet sich in seinen hinterlassenen Meldungen an den Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, auch dieser Lagebericht vom 28. Februar 1944 über »Stimmung und innere Sicherheit: »Folgende Sühnemaßnahmen wurden in der Berichtszeit befohlen: 100 Kommunisten und Juden wurden nach Compiègne zwecks Deportation nach dem Osten überführt. In Rouen wurden umfangreiche Razzien auf Kommunisten und Juden durchgeführt, die zu zahlreichen Festnahmen führten (...) wurde für das gesamte Gebiet die Überführung von 1000 Kommunisten und Juden in deutsche Haft angeordnet. Diese sind zur Deportation nach dem Osten bereitgestellt.«
Nach einem Einsatz in der überfallenen Sowjetunion kam er, inzwischen zum Generalleutnant befördert und mit dem Ritterkreuz dekoriert, im April 1944 zurück nach Frankreich als Stabschef des Generalsfeldmarschalls Erwin Rommel. Mit Rommel, der über die Attentatspläne »durchaus im Bilde gewesen« sei, geriet er für einen Augenblick in das Blickfeld der Gestapo, die auf die Verschwörer des 20. Juli 1944 Jagd machte. Speidel, kurzzeitig verhaftet, blieb ungeschoren und konnte sich nach dem 8. Mai 1945, ausgestattet mit dem Nimbus des Widerständlers, seiner neuen Karriere und dem Aufbau einer neuen Armee widmen. Ein Husarenstück auf dem Weg der Rehabilitierung der verbrecherischen Wehrmachtsführung gelang ihm, als er den NATO-Oberkommandierenden US-General Dwight D. Eisenhower dazu bewegen konnte, im Januar 1951 eine von ihm entworfene »Ehrenerklärung« zu unterschreiben. Er glaube nicht, daß der deutsche Soldat »als solcher seine Ehre verloren hat«, hatte sich Eisenhower diktieren lassen. Lediglich »gewisse Individuen« hätten »im Krieg unehrenhafte und verächtliche Handlungen« begangen.
Damit hatte Speidel senior seinen Platz im Olymp des staatsgenehmen Widerstandes und damit auch im Traditionsverständnis der Bundeswehr gesichert. Denn kriminell im Sinne des bürgerlichen Strafgesetzbuches war er ja wirklich nicht: Soweit man weiß, hat er nie silberne Löffel geklaut.