Wir leben in einem freien Land. Vielleicht fühlt sich nicht jeder frei, zum Beispiel die Freigesetzten. Aber die Kunst ist frei, so steht es in der Verfassung.
Man erinnere sich: Christo durfte sogar das Parlamentsgebäude verhüllen, und er bekam für diese künstlerische Aktion jede erdenkliche staatliche Unterstützung.
Nun aber will der Münchener Aktionskünstler Wolfram P. Kastner den goldglänzenden Friedensengel, der am Hochufer der Isar zur Erinnerung an den Sieg über Frankreich 1871 errichtet wurde, mit einem Tarnnetz verhüllen. 1944/45 war das Standbild schon einmal verhüllt. Kastners Aktion soll spätestens einen Tag vor Beginn der NATO-Sicherheitskonferenz beginnen, zu der 2010 wie alljährlich Hunderte Politiker und Militärs in München erwartet werden. An der Säule, die das geflügelte Wesen trägt, soll zu lesen sein: »Bin eben mal weg.«
Kastner erläutert: »Die temporäre Kunstaktion kann sowohl als schamhafte Verhüllung eines Friedenssymbols wie auch als Tarnung im Kontext militärischer Optionen verstanden werden. Jedenfalls soll das Verhüllen eines Siegeszeichens, das zum Friedenssymbol umgedeutet wurde, die Wahrnehmung und die Diskussion in der Stadtbevölkerung anregen über die aktuelle Situation von Krieg und Frieden in der Welt und über die rohstoffsichernden militärischen Planungen.«
Wie ordentlich und verantwortungsbewußt Kastner von der Freiheit der Kunst Gebrauch macht, zeigt die weitere Erläuterung: »Die Verhüllung geschieht auf der Basis einer vom Baureferat bei mir angeforderten Standsicherheitsberechnung nach DIN 1055, Teil 4 ›Windlasten‹, ausgestellt von einem eingabeberechtigten Statikerbüro.«
Alles schien geklärt. Doch dann bekam der Künstler aus dem Rathaus die Mitteilung, der Ältestenrat habe beschlossen, daß »die Stadt« das Vorhaben ablehne. Gründe wurden nicht offengelegt, da dieses Gremium unter Ausschluß der Öffentlichkeit und ohne Protokoll tage. Einen begründeten rechtsmittelfähigen Bescheid, auf den er eigentlich Anspruch hätte, erhielt Kastner also nicht, nur den Hinweis, daß »sämtliche Argumente ausgetauscht worden sind« – worauf der Künstler in einem Brief an Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) gewissenhaft antwortete: »Leider befinden Sie sich da in einem vollständigen Irrtum. Mir wurde bisher bedauerlicherweise kein einziges Argument mitgeteilt.«
Kastner machte Ude auch darauf aufmerksam, daß nach der Geschäftsordnung des Stadtrats der sogenannte Ältestenrat »weder ein Beschluß- noch ein Beratungsgremium« sei und demnach »gar keinen rechtsgültigen Beschluß fassen und eine Kunstaktion verbieten« könne. Und Kastner fragte dann noch, ob es etwa Gründe gebe, die in der Öffentlichkeit nicht diskutiert werden sollen, weil man sich vielleicht doch geniert, die Freiheit der Kunst in der in Festreden vielgerühmten »Kunststadt München« außer Kraft zu setzen und der Willkür von Verwaltungsbeamten auszuliefern. Der Brief an den Oberbürgermeister, inzwischen schon einige Wochen alt, blieb unbeantwortet.
Merke: Die Freiheit bin ich, sagt die Herrschaft.