»Luftwaffe trifft Kirche«
– diese Nachricht stand in großen Buchstaben auf einem Zettel, den ich in meinem vietnamesischen Blumenladen im Mauritius-Kirch-Center in Berlin-Lichtenberg ausliegen sah. Und dieses Ereignis wurde terminlich präzisiert: am 1.12.09, 19.00 Uhr, St. Mauritiuskirche.
Nanu, dachte ich verblüfft, werden mögliche Kollateralschäden neuerdings so rechtzeitig angekündigt, daß die unmittelbaren Nachbarn des Kirchengeländes, zu denen ich seit 1992 zähle, die notwendigen Gegenmaßnahmen ergreifen, sich rechtzeitig einbunkern, ihr Hab und Gut in Sicherheit bringen und bei Freunden oder Verwandten unterschlüpfen können?
Hat die nicht kriegführende Bundeswehr, haben ihre Verbündeten aus Erfahrungen in Jugoslawien oder anderen Ländern, wo Brücken, Elektrizitätswerke, Fernsehzentralen, Krankenhäuser und Kirchen versehentlich in Ruinen und zufällig Anwesende oder Nachbarn in Leichen oder Versehrte umgewandelt wurden, was ja, wie wir wissen, bedauerlicherweise nicht völlig zu vermeiden ist, etwa gelernt?
Oder wurde eine Protestinitiative gestartet, der man sich durch Unterschrift auf der Rückseite anschließen kann und soll? Ich wandte also das Blatt um und zückte mein für derartige Gelegenheiten meist mitgeführtes Schreibgerät. Zu meiner Überraschung war die Rückseite aber nicht in eintragungsbereite Spalten unterteilt, sondern da stieß man auf folgenden erläuternden Text:
»Luftwaffe trifft Kirche – Benefizkonzert. Mit einem reichen und bunt gemischten Repertoire präsentieren sich drei Ensembles des Luftwaffenmusikkorps in der St. Mauritiuskirche bei einem vorweihnachtlichen Benefizkonzert. Dazu laden wir herzlich ein. Der Erlös kommt sozialen Projekten im Pfarrgebiet Lichtenberg/Friedrichshain zugute. Anschließend besteht die Möglichkeit der Begegnung bei Glühwein unter dem Adventsstern auf dem Pfarrgrundstück.«
Die Bundeswehr musiziert also zu Glühwein unter dem Adventsstern auf einem Pfarrgrundstück. Noch dazu in einer Kirche, in der einst der von den Nazis umgebrachte Seelsorger und mutige Kriegsgegner Bernhard Lichtenberg seine ersten Dienstjahre absolvierte.
Darauf muß man erst mal kommen! Neue Ideen braucht das Land! Gerade in der Adventszeit! Aber wenn es schon sein muß – hätte man den Erlös nicht besser für den Wiederaufbau von versehentlich plattgebombten Kirchen oder Krankenhäusern in Ländern investieren können, in denen unsere Feldgrauen – mit welchen Instrumenten auch immer – unser Vaterland verteidigen?
Wolfgang Helfritsch
Gesundung
Einmal im Jahr empfängt Axel Springer Verlag auserlesene Gäste zu einem Gespräch mit dem geopolitischen Chefdenker und ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger. Diesmal waren neben den bewährten Oberredakteuren von
Welt und
Welt am Sonntag auch dabei: Philipp Mißfelder (CDU-MdB und Vorsitzender der Jungen Union), Johannes Vogel (FDP-MdB), Jakob Augstein (Geschäftsführer der Wochenzeitung Freitag), Katharina Wagner (Direktorin der Bayreuther Festspiele) und Lord George Weidenfeld (britischer Verleger und Kolumnist der
Welt-Gruppe). Thema: die Rolle Deutschlands in der Weltpolitik. Die
Welt am Sonntag gibt die wichtigsten Inhalte des Gesprächs im Herrenclub mit Damen wieder: Kissinger ist »noch immer irritiert vom deutschen Pazifismus«; Mißfelder beklagt, daß »die Deutschen wie die Schweiz sein wollen«, also noch immer »sich lieber heraushalten«. Aber Weidenfeld weist den Weg: Deutschland muß »gesunden«, es muß »irgendwie führend« werden. Zweifellos werden die Springer-Zeitungen sich alle Mühe geben, deutsche Gesundung und Führung herbeizuschreiben. Vom
Freitag-Augstein dokumentiert der
WamS-Bericht eine Frage: »Tun wir genug für Afghanistan?«
Peter Söhren
Kein Retter Gabriel
Was tun?, fragten sich die professionellen Betreiber einer Volkspartei, der das Volk abhanden kommt; die Antwort war nicht gerade originell: Ein neuer Vorsitzender muß her, mal wieder. Den hat die SPD nun. Beim Parteitag wurde vermieden, all seine Vorgänger aus den vergangenen Jahren würdigend aufzuzählen, das hätte desillusionierend wirken können. In seiner Antrittsrede und in vielen Interviews trat Sigmar Gabriel als Psychomasseur auf, er widmete sich Fragen des »Umgangs miteinander«, die Partei müsse intern und nach außen hin gefälliger agieren. Die Delegierten zeigten sich hochzufrieden, daß der Vorstand nicht mehr »Basta« rufen will. Da fiel ihnen gar nicht auf, daß bei der Wahl des Parteivorstandes ein in der Mitgliedschaft fast unbekannter Bewerber im ersten Wahlgang nur 208, im zweiten Wahlgang aber hinreichende 458 Stimmen bekam – nachdem der Parteivorsitzende interveniert hatte, man solle diesen Genossen gefälligst wählen. Er kann »Basta« rufen, ohne das Wort zu benutzen.
Gabriel, der Retter?
Aussagen zur künftigen Politik der SPD vermied Gabriel, bis auf eine: Die Partei beanspruche weiterhin die politische »Mitte« nebst der Deutungshoheit im Diskurs, was denn eigentlich die »Mitte« sei. Alles klar?
Manche Kommentare schrieben der SPD einen »Linksschwenk« zu. Der Anlaß: Die Mehrheit der Delegierten wollte der Vorsitzenden der Jungsozialisten einen Gefallen tun und stimmte der Idee zu, eine Vermögenssteuer wiedereinzuführen. Der Parteivorsitzende ließ das lässig zu. Passieren kann nichts, denn eine gesetzgeberische Mehrheit ist dafür nicht zu haben, und Fraktionsvorsitzender Frank-Walter Steinmeier hat inzwischen diesen Parteitagsbeschluß schon für belanglos erklärt.
Sigmar Gabriel macht in volksparteilich guter Laune; ein Gespräch mit der
Welt am Sonntag schloß er mit den Sätzen: »Die SPD ist natürlich auch für die Menschen da, die es schwer haben in unserer Gesellschaft – aber nicht nur. Wir sind ebenso da für die, die sich aufgehoben fühlen und was aus ihrem Alltag machen. Wir sagen aus vollem Herzen: Ja zum Leben!«
Die verbliebenen SPD-Mitglieder dürfen freiweg weiter darüber nachgrübeln, wo sie denn liegt, die Mitte. Die Partei ist damit beschäftigt, also ist zu erwarten, daß der neue Parteivorsitzende eine längere Verweildauer in seinem Amt erreicht als diejenigen, die nach Willy Brandt vor ihm waren. Rivalen hat er erst einmal nicht zu befürchten – bis die in den Medien oft gestellte Frage, ob die SPD noch den Titel »Volkspartei« verdiene, sich mangels Masse erledigt hat.
Marja Winken
Schwarz-Grün an Rhein und Ruhr
In Nordrhein-Westfalen werden, wie die bundesrepublikanische Geschichte zeigt, öfters koalitionspolitische Weichen auch für den Bund gestellt, bisherige Regierungsbündnisse aufgelöst, neue angebahnt. »Die NRW-Grünen sind auf Partnerschau, vor der Landtagswahl im Mai zerbrechen vor Ort wichtige rot-grüne Bündnisse, dafür wird der grüne Umgang mit der CDU lockerer«, berichtet die
Wuppertaler Westdeutsche Zeitung. Die Grünen seien »längst zu einer bürgerlichen Partei geworden« und rangelten inzwischen »mit der FDP um die Meinungsführerschaft im akademischen Gutverdienerlager«. Der Bericht trifft offenkundig zu. Zwar äußert Sylvia Löhrmann, grüne Fraktionschefin im Düsseldorfer Landtag, noch ihre Sympathie für eine Koalition mit der SPD, aber für rosa-grünes Regieren wird aller Wahrscheinlichkeit nach das Wahlergebnis im Mai nicht reichen. Und die Linkspartei »spielt nicht mit, sie hat sich außerhalb des Stadions aufgestellt«, meint Löhrmann. Daniela Schneckenburger und Arnd Klocke, Landesvorsitzende der NRW-Grünen, haben die Parteibasis schon mal per Brief auf die Eventualitäten vorbereitet: Schwarz-Gelb-Grün kommt für NRW nicht in Betracht, für Rosa-Grün ist die SPD zu schwach, Rosa-Rot-Grün geht nicht (s. oben: Stadion) – aber Schwarz-Gelb soll »abgelöst« werden. Wie kann das gehen? Die grünen Parteimitglieder können es sich selbst ausrechnen: Es bleibt nur Schwarz-Grün.
Nochmal die
Westdeutsche Zeitung: »Sollten die Grünen im Mai an Rhein und Ruhr auf Platz 3 liegen, werden sie sich mit der nun schon häufig bewiesenen Flexibilität der CDU andienen. Schließlich geht es um Macht und Dienstwagen.« Macht? Sagen wir besser: um Ämter.
M. W.
Transfer
Aus Jubiläumsanlaß haben in den vergangenen Wochen viele Wirtschaftswissenschaftler die ökonomischen Folgen des Beitritts der DDR zur BRD bilanziert, und als Ergebnis legten sie über-einstimmend vor: Enorme Subventionen, aber nur bescheidene Erfolge, zu wenig Wachstum, zu wenig industrielle Entwicklung, zu wenig Vermögensbildung. »Von den hundert größten Industrieunternehmen hat keines seinen Sitz in den neuen Bundesländern, gleiches gilt für die hundert größten Dienstleister und die fünfzig größten Banken«, berichtet Ulrich Blum (Institut für Wirtschaftsforschung in Halle). Und Hans-Werner Sinn (ifo München) kommt zu dem Schluß: »Die politische Vereinigung ist gelungen, die wirtschaftliche nicht.«
Woran liegt das?
Die gängige Antwort: Die Kommunisten hatten die DDR-Wirtschaft noch viel schlimmer verkommen lassen, als es sich 1989 die westdeutschen Fachleute gedacht haben. Das Erbe war völlig marode, und da hilft kein noch so großzügiger Geldfluß von Deutschland-West nach Deutschland-Ost.
Aber ist denn etwa kein Geld von Ost nach West geflossen? Da lassen sich doch höchst positive Effekte der wirtschaftlichen Vereinigung bilanzieren: Erweiterung von Märkten, Ausbau von Kapazitäten, Steigerung des Waren-Absatzes, des Umsatzes und des Gewinns – im Westen des Landes also Wohlstandsmehrung, nicht bei
den Westdeutschen, aber bei einigen, bei Firmeninhabern, Managern und Aktionären, durch patriotisch orchestrierte Übernahme, durch deutsch-deutsche Ausschaltung von Konkurrenz.
Der Transfer verlief in zwei Richtungen: Steuerzahler-Soli gen Osten, Gewinnzufluß gen Westen, aber nicht für den gemeinen Steuerzahler, sondern hauptsächlich für die hundert größten Industrieunternehmen, für die hundert größten Dienstleister und die fünfzig größten Banken.
Arno Klönne
Hilfe
Peter Ramsauer poltert rum. Peter Ramsauer redet nicht drumherum. Der CSU-Politiker sagt, wie’s ist: Die Straßen elbwestseits sind saumäßig. Weiß man doch, weil man’s spürt. Sobald man im Auto von Sachsen-Anhalt nach Niedersachsen, vom östlichen Harz in den westlichen wechselt oder von Thüringen nach Hessen. Es rumpelt. Hier muß etwas geschehen. Etwas Durchgreifendes. Am besten die alten Bundesländer treten Neufünfland bei. Man wird nicht knickrig sein. Ein Solidarpakt wird helfen.
Bernd Heimberger
Das ostdeutsche Unbehagen
Die friedliche Revolution ist gescheitert. Die Solidarität war groß gewesen. Ausdauernd hatten Tausende von Arbeitern demonstriert: Sie wollten ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen. Aber alle Proteste waren vergeblich. Die Macht blieb bei den Mächtigen, und die Mächtigen entschieden anders.
Nein, nicht von 1989 ist die Rede, sondern von 1993. Damals kämpften die Kali-Kumpel von Bischofferode um ihre Lebensgrundlage. Im Zuge jener Verschleuderung des DDR-Volksvermögens, die unter dem Decknamen »Treuhand« ablief, war das volkseigene Kali-Werk »Thomas Müntzer« der westdeutschen Kali und Salz AG in die Hände gefallen. Die Arbeiter wehrten sich energisch gegen die Demontage des kerngesunden Unternehmens, mußten aber ohnmächtig zusehen, wie sämtliche Maschinen abtransportiert wurden, um einer sanierungsbedürftigen Westfirma nicht nur die Überlebensfähigkeit, sondern eine Monopolstellung zu garantieren. Für die langfristige Sicherung der fast 50 Kilometer langen Bergwerksschächte in Bischofferode hat nun der Bund aufzukommen.
Die Kali-Kumpel von Bischofferode waren die Erben von 1989 und machten die Erfahrung, daß dieses Erbe ihnen nicht gehörte. Der Aufstand, die Volkserhebung war als einmaliger Akt sanktioniert, der zum Eintreten in die Geschichte der Bundesrepublik berechtigte; eine Einübung in dauerhafte demokratische Praxis war er nicht.
Bischofferode war kein Einzelfall; es gab in den frühen neunziger Jahren Hunderte von Erhebungen und Protestaktionen. Im kollektiven Gedächtnis haben sie kaum Spuren hinterlassen. Ein kleines Museum dokumentiert in Bischofferode den Arbeitskampf; es bleibt unbeachtet und wird vom Erinnerungstourismus ignoriert.
In ihrem neuen Buch »Achtung Zone« erzählt Jana Hensel solche Episoden aus der rasch in Vergessenheit geratenden Nach-Wende-Geschichte. Eine junge Ostdeutsche, in Leipzig aufgewachsen und gerade 13 Jahre alt zur Zeit der »friedlichen Revolution«, versucht Klarheit zu gewinnen über das schwer zu fassende Unbehagen der Ostdeutschen, die in eine fremde Geschichtserfahrung übernommen wurden, ohne Eigenes mit hinüberretten zu dürfen; einmal nennt sie dieses Unbehagen auch »Traurigkeit«, nimmt das Wort aber sogleich wieder halb zurück. Jana Hensel will sich »von diesem ewig fremden Blick auf die ostdeutsche Gesellschaft emanzipieren«. Ihr Buch zeigt vor allem, wie schwierig das ist.
Aus der nachwachsenden Generation, sensibilisiert für hartnäckig beschwiegene Identitätsbrüche, kommt hier eine Stimme der hellwachen Ratlosigkeit. Sie ernstzunehmen, könnte heilsam sein. Im Jubelgeschrei zur Zwanzigjahrfeier der »Wende« war für solche produktive Ratlosigkeit kein Millimeter Raum.
Hans Krieger
Jana Hensel: »Achtung Zone. Warum wir Ostdeutschen anders bleiben sollten«, Piper Verlag, 188 Seiten, 14.95 €
Osteuropa in Cottbus
Das FilmFestival Cottbus, vor 18 Jahren von ostdeutschen Filmclub-Enthusiasten gegründet, die die traditionellen Kulturbeziehungen in den Osten wachhalten wollten, hat sich zu einer vielbeachteten Drehscheibe des europäischen Films entwickelt. Besonders nützlich ist das Treffen von Filmemachern und Produzenten, das unter dem Label »Connecting Cottbus« für interessante Drehbücher Co-Produktionen anbahnt. Ohne diese Verbindungen wären einerseits viele Stoffe nicht zu finanzieren und kämen andererseits schwerlich in westeuropäische Kinos. Daß solche Gemeinschaftsproduktionen dem Zuschauer nicht immer Gutes bringen müssen, erwies sich leider beim Eröffnungsfilm. »Ein russischer Sommer« ist eine deutsch-russische Produktion, von einem Amerikaner (Michael Hoffman) mit britischen Schauspielern in Brandenburg und Sachsen-Anhalt gedreht. Er erzählt von den letzten Lebensmonaten des großen Leo Tolstoi und seinem komplizierten Verhältnis zu den »Tolstojanern«, seinen Anhängern, und zu seiner Frau und ihrem Mißtrauen gegenüber den Tolstojanern. Auch wenn Helen Mirren eigentlich Jelena Mirinova heißt und Enkelin eines weißrussischen Aristokraten ist, gelang es ihr ebenso wenig wie ihrem Partner Christopher Plummer, dem Film »russische Seele« einzuhauchen. Alles wirkt künstlich, und vor allem erfährt man nichts über Tolstois Gedankenwelt.
Ein größeres Ärgernis war der russisch-japanisch-kanadische Animationsfilm »Erster Trupp«, der im Wettbewerb lief. Daß Comics historische Themen vergegenwärtigen können, wurde schon oft bewiesen. Warum nicht auch ein Trickfilm im Manga-Stil, der jungen Menschen die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs nahebringt? Doch dieses Werk der russischen Autoren Misha Shprits und Alyosha Klimov vermengt die Wirklichkeit mit übersinnlichen Kräften, läßt die Totenarmee vom Peipussee aus dem 12. Jahrhundert für die Nazis kämpfen und durch Hilfe eines Mädchens mit Sehergabe besiegen. Zu allem Übel fungieren Schauspieler als »Zeitzeugen«, die dem Ganzen einen Wahrheitsgehalt verleihen sollten. So leistet der Film der Legendenbildung über ein wesentliches Kapitel der europäischen Geschichte Vorschub.
Glücklicherweise sah man in Cottbus auch realistische Filme über zentrale Fragen der Gegenwart. Neben Streifen aus Kroatien (»Die Schwarzen«) und Georgien (»Die Konfliktzone«), die charakterliche Deformierungen nach den Kriegsereignissen zeigten, war es vor allem der unumstrittene Hauptpreisträger »Gewöhnliche Menschen« aus Serbien, der beeindruckte. Der unbedarfte, junge Dzoni sah nach der Schule die Armee als beste Chance. Unversehens wird er in eine Einheit versetzt, in der er Zivilisten zu erschießen hat. Perisic vermeidet, Ort und Zeit genau zu benennen, und tatsächlich hat die Situation Allgemeingültigkeit. Auch deutsche Jungs kommen als Soldaten in Situationen, denen sie nicht gewachsen sind.
F.-B. Habel
Jan Koplowitz
– am 1. Dezember 1909 in dem schlesischen Kurort Bad Kudowa in einer alteingesessenen jüdischen Hoteliersfamilie geboren – war der Sproß einer kurzlebigen Verbindung zwischen der Tochter der Familie und einem slowakischen Hausdiener, der bald auf Nimmerwiedersehen verschwand. Früh geriet er in Widerspruch zu den Anforderungen des Hauses. Ein von ihm angezettelter Streik der Hotelangestellten führte zum Bruch und ihn nach Breslau. Er trat in den Kommunistischen Jugendverband ein, arbeitete als Lehrer, als Buchhändler, kam zum Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller und wurde verantwortlicher Redakteur der
Schlesischen Arbeiterzeitung. 1933 ging er in den Widerstand, wurde verhaftet, flüchtete in die CSR, schließlich nach England, war zeitweilig interniert, arbeitete in einem Rüstungsbetrieb und wartete sehnsüchtig auf den Tag, an dem er nach Deutschland zurückkehren konnte.
Nach dem Untergang des Nazi-Reiches blieb seine Familie in England. Wie viele Emigranten ging er in den Osten Deutschlands, um die Arbeit aus den Zwanzigern vor allem mit jungen Menschen fortzusetzen. Besonders Orte des Aufbaues taten es ihm an, zum Beispiel Unterwellenborn, wo ein neues Stahl- und Walzwerk entstand, und Halle-Neustadt. Filme entstanden nach seinen Drehbüchern, er arbeitete auch kabarettistisch und bemühte sich, jungen Leuten seine Sicht auf die Dinge und auf ihren künftigen Beruf als Schriftsteller oder Journalisten zu vermitteln. Enge Beziehungen zu Freunden aus der Emigrationszeit führten auch für ihn zeitweilig zu ernsten Komplikationen im Kulturleben der DDR mit der Folge, daß er einige Zeit mehr in Prag als in Berlin wirkte und erst Ende der Sechziger zurückkehrte. Später holte ihn die Vergangenheit Jugend wieder ein, er schrieb mit »Bohemia, mein Schicksal« den Familienroman in Erinnerung an die nicht mehr lebenden, großenteils ermordeten, Mitglieder der Familie Polan aus Bad Kudowa. Das Buch erfuhr eine solche Resonanz, daß man sich entschloß, daraus einen Fernseh-Mehrteiler zu machen. Dieser wurde für die DDR zu einer bedeutenden Informationsquelle über jüdisches Leben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Das Leben des Jan Koplowitz gestaltete sich auch in der Folgezeit kompliziert. Besonders durch den Sohn aus der Londoner Ehe, der in Rauschgiftprobleme geriet und in der Türkei zum Tode verurteilt wurde. Der Vater sah nur durch Verletzung von Gesetzen der DDR Wege zu Hilfe für den Sohn, er umging die Devisenbestimmungen, und es gelang ihm, die Begnadigung und schließlich Freilassung zu erwirken. Was ihm der Gerettete nicht dankte. In der Öffentlichkeit und später auch in einem Film fand der Austausch von Widersprüchen statt, bis schließlich doch eine Versöhnung möglich wurde. Dabei geriet Jan Koplowitz zwangsläufig in Kontakt mit der Staatssicherheit der DDR, was ihm nach 1990 über lange Zeit ernste Probleme bereitete.
Im Jahre 1993 beschlossen Bewohner des zu Kudowa Zdroj gehörenden Ortes Czermna im Glatzer Bergland, das früher Tscherbeney hieß und zu dessen Herrschaft der spätere Badeort ur-sprünglich gehört hatte, unter dem Eindruck der Kriegshandlungen in Bosnien-Herzegowina an ihrem Ort ein Denkmal der drei Kulturen zu errichten. Der Standort nahe der Grenze nach Tschechien wurde mit Bedacht gewählt. Als Mahnung gegen Chauvinismus und für eine friedliche Einigung Europas gedacht, wurde es aus drei Betonsäulen gestaltet, um die drei Kulturen zu versinnbildlichen, welche die Landschaft und Geschichte geprägt haben. Ergänzt durch einen ebenfalls aus Beton gegossenen Regenbogen, der die für die Zukunft unlösliche Verbindung zwischen ihnen darstellen soll. Auf Tafeln steht in der jeweiligen Sprache: »Den Tscheschen / Den Polen / Den Deutschen gewidmet für ihren Beitrag zur materiellen und kulturellen Entwicklung von Tscherbeney seit den Anfängen im Jahre 1354. Die dankbaren Bewohner von Czermna im Jahre 1999.«
An diesem Ort wurde Jan Kopowitz 2001, wenige Monate vor seinem Tode, als der wohl bekannteste Sohn des international gerühmten Kurortes Kudowa Zdroj feierlich zum Ehrenbürger der Stadt ernannt.
Sein Grab befindet sich in Berlin auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Nachbarschaft zu vielen Schriftstellern, mit denen er Kontakt gehabt hatte.
Joachim Bennewitz
Jochen Reinert
Zuletzt hatten wir den Plan, eine Ausstellung des Stockholmer Malers Ebbe Palm nach Berlin zu holen. Palm ist der einzige Sohn der verstorbenen Rosalinda von Ossietzky-Palm, der 1936 nach Schweden emigrierten einzigen Tochter Carl von Ossietzkys. Jochen Reinert, der einige Jahre als Skandinavien-Korrespondent in Stockholm gelebt hatte, war 2007 Vorsitzender der von ihm mitgegründeten Deutsch-Schwedischen Gesellschaft geworden, aber die schwere Krankheit, der er jetzt erlag, durchkreuzte seine Pläne für die ersten Rentnerjahre.
Gern hatte er immer nach Spuren Kurt Tucholskys gesucht, nicht nur in dessen Exilland Schweden, auch im Spessart oder in den Pyrenäen. Auf seine Initiative kam im April eine gemeinsame Beratung der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft und der Deutsch-Schwedischen Gesellschaft zustande, an der er aber nicht mehr teilnehmen konnte. Seine neben der journalistischen Tagesarbeit fürs
Neue Deutschland entstandenen Beiträge für die
Weltbühne, später auch für
Ossietzky und das kürzlich eingestellte
Blättchen, immer sachkundig und wohldurchdacht, haben sich über politische Wenden und Kehren hinweg als beständig erwiesen. Sie seien zu gelegentlichem Wiederlesen empfohlen.
Red.
Mitläufer und Massenmörder
Die Tatsachen, über die hier berichtet wird, waren bisher zum größten Teil unbekannt.
45 NS-Täter aus Stuttgart werden ausführlich vorgestellt. Unter ihnen befinden sich Beschäftigte der Stuttgarter Stadtverwaltung oder Richter, die an Sondergerichten zum Beispiel an »Rasseschande-Urteilen« mitwirkten. Mit Ausnahme von Ferdinand Porsche wurden ihre Namen bisher in der Öffentlichkeit nicht genannt. Dabei sind Juristen, Ärzte, Unternehmer, Gemeinderäte, Gestapoleute, KZ-Aufseher und auch Denunzianten. Es gab keinen homogenen Tätertyp gibt. Der Herausgeber und die Autoren hoffen, daß dieser Band einen Beitrag zu der dringend benötigten NS-Täter-Forschung leistet.
Über Ferdinand Porsche und seinem Sohn Ferry gab es Veröffentlichungen, aber es waren immer nur Lobeshymnen auf dem genialen Konstrukteur und das Volkswagen-Projekt »Kraft durch Freude«. Über das Wirken des Porsche-Piëch-Clans während der Nazizeit in Stuttgart war wenig bekannt. Ulrich Viehöver, er zeichnet für den Porsche Beitrag verantwortlich, zeichnet die Wege von Porsches Reichsmark-Millionen nach, die sich während der Nazizeit angehäuft hatten. Der Autor enthüllt, daß der Clan noch kurz vor Kriegsende viel Geld abzweigte und nach Österreich transferierte. Die Firma in Zuffenhausen konnte danach weder ihre Lieferanten noch die Löhne zahlen. So ist endlich Schluß mit der Legende, Porsche sei während der NS-Jahre in Zuffenhausen nur ein Konstruktionsbüro mit angeschlossener Werkstatt gewesen. Es war anders, Porsche ist während der Nazizeit sprunghaft gewachsen und beschäftigte auch mehrere Hundert Zwangsarbeiter.
Karl-Heinz Walloch
Hermann G. Abmayr (Hg.): »Stuttgarter NS-Täter«, Schmetterling Verlag, 393 Seiten, 19.80 €
Press-Kohl
Die
Berliner Zeitung warb kürzlich für »die besondere Geschenk-Idee!« Die besondere Geschenk-Idee besteht darin, daß man diese Zeitung abonniert, allerdings nicht für sich selber. »Mit dem Geschenkabo Ihrer
Berliner Zeitung bereiten Sieh Ihren Verwandten oder Freunden 3 Monate lang ein interessantes und vielseitiges Lesevergnügen. Als Dankeschön erhalten Sie von uns einen exklusiv gefüllten Geschenkkorb mit kulinarischen Leckerbissen aus dem Spreewald!«
Zu den kulinarischen Leckerbissen aus dem Spreewald gehören auch die beliebten Halloren-Kugeln aus Halle an der Saale, welche Stadt der Leiter des Ressorts Topografie der
Berliner Zeitung mitsamt der Saale in den Spreewald verlegt hat.
Die Umbenennung des Spreewalds in Saalewald soll zu Silvester bei Quark mit Leinöl in Groß Wasserburg stattfinden.
Felix Mantel