Nach dem Einsturz des berühmten »Hauses der Gladiatoren« in Pompeji ist der »Untergang Pompejis« zur Metapher für den politischen Niedergang des Antipolitikers Berlusconi geworden. Das einzigartige Kulturerbe, das Italien vor anderen Ländern auszeichnet, verfällt. Der italienische Staatshaushalt weist bisher der Erhaltung und Pflege des immensen Reichtums an Kulturgütern nicht mehr als 0,3 Prozent des Jahresbudgets zu, die sollen jetzt noch weiter schrumpfen. Das zeigt, aus welch kulturfernem Holz das politische Management in Rom geschnitzt ist.
Der Rückbau des allgemeinen Schulsystems, die Aushöhlung der Universitäten, die Unterfinanzierung öffentlicher Forschungsinstitutionen – all das führt seit geraumer Zeit in einen »kulturellen Winter« (so der Naturwissenschaftler Carlo Bernadini). Die Fähigkeit, kritisch zu denken – eine Voraussetzung der Demokratie –, droht einzufrieren. Eine Mehrheit der Bevölkerung wird dazu verdammt, sich wie mit der Stange im Nebel durch eine Gesellschaft zu tasten, deren Mechanismen für die meisten Menschen nicht mehr zu durchschauen, geschweige denn zu beeinflussen sind. Der von Berlusconi seit langem erfolgreich propagierte Rückzug der Bürger in die Privatsphäre überließ ihm den gewünschten Handlungsspielraum, den er allerdings nicht politisch auszufüllen vermochte. Als erklärter Antipolitiker benutzte er die politische Bühne überwiegend zur Regelung seiner privaten unternehmerischen und juristischen Angelegenheiten. Doch eine komplexe Gesellschaft läßt sich nicht wie ein Unternehmen beherrschen. Gestandene Parlamentspolitiker melden sich derzeit zurück und wollen das Ruder wieder übernehmen – ein schwieriges Unterfangen, denn der Opposition fehlt es an überzeugenden Konzeptionen.
Die zerstörerischen Folgen der »Antipolitik« sind jedenfalls nicht mehr zu übersehen. Die bisher schöngeredete Wirtschaftskrise wird allgemein spürbar; doch erforderliche Strukturpolitik unterbleibt, stattdessen beschränkt sich die Regierung auf ein Notstandsmanagement, das sich aber gerade in Notstandsgebieten als unzulänglich erweist. Im Erdbebengebiet der Abruzzen hausen 80 Prozent der Betroffenen nach 20 Monaten immer noch weit verstreut in provisorischen Siedlungen, während die Altstadt von L‘Aquila brachliegt und noch auf unabsehbare Zeit unbewohnbar sein wird. Kampanien, die Region um Neapel, ist noch immer eine offene Müllhalde, nicht zuletzt für den Sondermüll des Nordens. Die Regenfälle, die Anfang November auch weite Teile der Region Venetien in eine Schlammwüste verwandelten, spülten die Folgen der seit langem von Umweltschützern beklagten wilden Ausdehnung von Kleinunternehmen und der dadurch bewirkten Betonierung ganzer Landstriche auf die abendlichen Fernsehschirme. Das lange gepflegte Bild vom »Wunder des Nordostens«, das die Lega-Nord-Partei zum zeitweiligen Erfolg führte, verblaßt.
Finanzminister Tremonti, der Lega nahestehend, der aber auch von der oppositionellen Demokratischen Partei als ein möglicher Kandidat für die Nachfolge Berlusconis gehandelt wird, hat angesichts der leeren Staatskassen einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der den Kulturabbau fortsetzen und beschleunigen soll: Theater, Orchester, Film, Museen, Ausgrabungsstätten, Bibliotheken, nichtkommerzielle Medien – ihnen allen sollen gleichermaßen die Subventionen so stark beschnitten werden, daß viele an den Rand ihrer Existenz geraten. Tremonti rechtfertigte diese Kürzungen vor der Presse allen Ernstes mit den Worten: »Mit Dantes Göttlicher Komödie kann man keine Brötchen belegen« und illustrierte damit den kulturellen Niedergang, den Italien schon erlitten hat. Eine nennenswerte Industriepolitik kennt das Land seit Jahrzehnten nicht mehr, eigene Energiequellen (Sonne!) wurden nicht erschlossen. Größter Reichtum Italiens waren und sind die Kulturschätze aus etwa zwei Jahrtausenden, mit deren Pflege und angemessener Nutzung unzählige Menschen beschäftigt werden könnten. Die Vernachlässigung dieser Aufgabe und der darin steckenden Möglichkeiten – nicht allein nach Marktkriterien bei weiter wachsenden Touristenströmen – ist eine Schande für eine herrschende Klasse, die dem Land keine Art von Zukunftsperspektive bietet.
Dagegen erhoben sich schon viele Proteste. Am 12. November organisierten die Kulturschaffenden landesweit einen beispiellosen Streik- und Aktionstag aller Museen und Galerien: »Geschlossene Türen im Scheinwerferlicht«. Am 22. streikten alle Theater- und Konzertsäle sowie die gesamte Filmindustrie mit ihren circa 250.000 Beschäftigten. Die geplante Streichung von Steuererleichterungen im privaten Filmsektor wird als politischer Maulkorb gewertet, der Berlusconis Mediaset und selbst das Staatsfernsehen RAI begünstigt. In den meistgesehenen Fernsehnachrichten von RAI 1 und Canale 5, die die Publikumsmehrheit konsequent desinformieren, fanden die Aktionen keine Erwähnung. Kultureller Winter eben.