Wer bin ich? Ein Versager? Ein Tiefbauarbeiter, der zu akademischen Würden gekommen ist, dann jedoch beruflich scheiterte? Oder ein verstiegener, noch dazu sozialistisch orientierter Juraprofessor, der seine Vergangenheit reflektiert? Dies und anderes – teils Widersprüchliches – wird in zwei Büchern unterstellt, auf die ich kürzlich aufmerksam gemacht wurde. Die beiden Autoren gehen in umfänglichen Kapiteln unter anderem auf meine Romane »Der Aufsteiger oder Ein Versuch zu leben« und »Niemandsland« ein.
Das erste Buch mit dem kryptischen Titel »Autobiographische Körper-Geschichten« stammt von einem Sozialwissenschaftler namens Frank Schömer und fußt auf dessen Dissertation aus dem Jahre 2006. Der erklärende Untertitel lautet: »Sozialer Aufstieg zwischen 1800–2000«. Bereits im Klappentext wird die durchaus berechtigte Frage gestellt, warum der soziale Aufstieg von »ganz unten« so selten gelingt. Damit ist auch das Thema des zweiten Buches mit dem entlehnten Titel »Der Aufsteiger« hinlänglich umrissen. Der Untertitel lautet: »Autobiographische Zeugnisse zu einem Prototypen der Moderne von 1800 bis heute«. Die Autoren sind Frank Schömer und sein Doktorvater, der Pädagoge Peter Alheit. Die Abhandlung stimmt weitgehend mit Schömers Dissertation überein.
Grundlage beider Untersuchungen sind »die Lebensgeschichten und Bildungserfahrungen von sozialen AufsteigerInnen aus bildungsfernen Herkunftsverhältnissen«. Einer der Schwerpunkte liege, so lese ich da, auf den »leiblich-sinnlichen Bildungskomponenten« (was immer damit gemeint sein mag). Wir erfahren also die Lebensgeschichten (oder das, was die Verfasser dafür halten) einiger Autorinnen und Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts, die aus ärmlichen oder sogenannten kleinen Verhältnissen aufgestiegen sind, wohin auch immer. Aus diesem »Material« gewinnen die Verfasser ihre Erkenntnisse und kommen in ihrer weitschweifigen Studie zu dem nicht gerade originellen Ergebnis: »Der Weg ›nach oben‹ mag leichter geworden sein, doch ist er immer noch schwierig und für manche nach wie vor unmöglich.«
Die Verfasser rühren in ihrer Untersuchung Biographien, biographische Aufzeichnungen und Selbstbeschreibungen in einen Topf mit Romanen, Erzählungen und Gedichten, um mit diesem Konglomerat dann ihr offenbar bereits vorweggenommenes Ergebnis zu untermauern. Gegenstand ihrer Studie sind unter anderen Nonfiction-Autorinnen und -Autoren wie Caroline Rudolphi (1754–1811), Christian Gottlob Heyne (1729–1812), Dietrich Schäfer (1845–1929) und mit Inge Viett sowie Bommi Baumann auch zwei, die zeitweilig der terroristischen Szene angehörten. Andererseits beziehen sich die Untersuchungen beispielsweise auf den Roman »Anton Reiser« von Karl Philipp Moritz, beiläufig werden auch Romane von Uwe Timm, Franz Innerhauser oder Ulla Hahn erwähnt. Dabei findet neben der Aufsteiger-Problematik der »Triebhaushalt« der Protagonisten wie auch der Autorinnen und Autoren starke Beachtung.
Nachdem die Verfasser einen geringen Teil meines Werks zur Kenntnis genommen haben, kommen sie zu dem Schluß: »Ein resignativer Grundton durchzieht das gesamte Œuvre«, und sie versteigen sich schließlich zu der Behauptung, ich sei mit dem Protagonisten Erich Wegner aus dem Aufsteiger-Roman identisch. In der Folge ist von der »Flüchtlingsfamilie Wegner-Bittner« die Rede, von der »Lebensgeschichte Wegner-Bittners« und schließlich mehrfach von »Bittner-Wegners beruflichem Scheitern«. Die hin und wieder diffamierenden und durch nichts belegbaren Unterstellungen gipfeln in folgenden Passagen:
»Angesichts des herausgearbeiteten Mangels an Selbstbewußtsein für einen autonomen Einstieg in eine bürgerliche Berufslaufbahn wirken die angegebenen Gründe für die Absage an die Juristerei (›Berufsverbote, Gesinnungsschnüffelei‹ etc.) allerdings vorgeschoben. Trotz Vorzeigeexamen und Doktortitel – was ja ohne eine gewisse Öffnung der Bildungsinstitutionen für ›Nachzügler‹ wie Bittner-Wegner nicht denkbar gewesen wäre – ist es nicht zu einer Einmündung in eine gehobene gesellschaftliche Position gekommen.«
Hier ist zu vermuten, daß Akademiker wie Schömer und Alheit die »gehobenen gesellschaftlichen Positionen« im oberen Management, in der Politik oder wenigstens an der Universität orten und daß sie sich offenbar nicht vorstellen können, daß jemand andere Möglichkeiten hat und andere Lebensbedingungen vorzieht. In diesem Zusammenhang verwundert es nicht, daß meine Auslands-aufenthalte abschätzig als »Weglaufen vor der Realität« interpretiert werden.
Weiter heißt es, »das von Bittner präsentierte eigene Scheitern«, stelle sich »vornehmlich als ein berufliches Scheitern dar … Bittner-Wegner stellt diesbezüglich einen durchaus typischen Fall dar.« Die Verfasser scheuen sich auch nicht, das Aufbegehren des lyrischen Ichs in einem Gedicht als »das Nicht-Ankommen des Schreibenden selbst in einem mit Bildung und Status gleichermaßen konnotierten Feld« zu begreifen, als »das eigene Versagen Bittners«.
An anderer Stelle wird die fiktive Kleinstadt Saalstädt aus dem Aufsteiger-Roman mit der ostfriesischen Kleinstadt Wittmund gleichgesetzt, »wo die Familie im Januar 1946 eintraf«. Die Identifikation des Autors mit dem Protagonisten mündet dann in der konstruierten Biographie des Protagonisten. Daß Romane im Kopf des Schriftstellers entstehen (der selbstverständlich aus seinem Fundus schöpft) und daß sie viel mit Phantasie zu tun haben, scheint den Verfassern fremd zu sein.
Immerhin wird dem Autor, also mir, ein zeitweise »beachtlicher Erfolg beim Publikum« attestiert, und es gibt in Schömer-Alheits »Studie« hin und wieder auch positive Sätze wie: »… sieht man in ihm seit den späten 1970er Jahren eine Art literarischen Außenseiter, auf jeden Fall einen außergewöhnlichen Autor, dem es gelingt, seine spezifischen individuellen Erfahrungen darstellerisch auf interessante Weise in den gesellschaftlich-politischen Zeithintergrund einzuordnen. 1975 erzielte Bittner als Lyriker bereits eine breitere Wirkung. In seinen ›Rechts-Sprüchen‹ (polemischen Texten in Gedichtform) machte er insbesondere das Justizsystem und die sozialen Verhältnisse in der Bundesrepublik zum Thema.«
Das stimmt zwar nicht versöhnlich und hebt die Untersuchung schon gar nicht auf ein akzeptables wissenschaftliches Niveau. Aber es zeugt immerhin von der Ambivalenz und Unsicherheit der Verfasser, was die literarisch-ästhetische Qualität meines Werks angeht, mit dem sie sich auf jeweils etwa achtzig Seiten so vergeblich beschäftigt haben.
Frank Schömer: »Autobiographische Körper-Geschichten«, Universitätsverlag Göttingen, 452 Seiten, 26 €; Peter Alheit/Frank Schömer: »Der Aufsteiger«, Campus Verlag, 458 Seiten, 45 €