Renate Künast, Spitzenkandidatin. – Die Chancen Älterer auf einen Arbeitsplatz müßten verbessert werden, dennoch sei es richtig, jetzt das Renteneintrittsalter auf 67 zu erhöhen. Diese widersprüchliche Stellungnahme schon vor dem Bundesparteitag der Grünen schmälerte nicht den Jubel der Delegierten für Sie. Der Gefolgschaft Ihrer Partei können Sie also sicher sein, und, wer weiß, vielleicht werden Sie tatsächlich demnächst Regierende Bürgermeisterin von Berlin. Dann haben Sie’s geschafft. Ein bißchen weniger Rente wird später leicht zu verkraften sein. Für Sie.
Cem Özdemir, als Parteichef wiedergewählt. – Sie haben den Delegierten in Freiburg zugerufen: »Wer uns wählt, weiß: Er bekommt auch Zumutungen.« Aber wann? Vor der Wahl, nach der Wahl? Tröstlich nur, daß Ihr grüner Parteitag, der Ihre Kollegin im Parteivorsitz, Claudia Roth, ebenfalls im Amt bestätigte, nicht auf die Idee kam, diese zur Kandidatin fürs Kanzleramt zu küren. Eine solche Zumutung bleibt uns erspart.
Volker Kauder, Kritiker der Grünen. – »Im Parlament im Nadelstreifenanzug zu sitzen, um sich kurze Zeit später im Parka unter die Demonstranten zu mischen – das paßt nicht zusammen.« Als Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag kennen Sie sich in parlamentarischen Kleiderfragen aus, aber von Politikdesign verstehen Sie nichts. Outfitwechsel ist in, und Trittin bleibt doch Trittin, wie auch immer verpackt.
Redaktion Die Welt, nur leicht echauffiert. – Einen »Anschlag« habe die grüne Partei im Sinne, kommentierten Sie deren Parteitag. Nein, nicht auf ein Kaufhaus, ein Regierungs- oder Parlamentsgebäude, ein Sportereignis oder einen Weihnachtsmarkt, sondern auf »die Mitte der Gesellschaft«, die »enteignet« werden solle. So richtig aufregen mochten Sie sich über die grüne Delegiertenmehrheit dennoch nicht, denn selbst wenn die Beitragsbemessungsgrenze für die Gesetzliche Krankenversicherung auf 5.500 Euro hinaufgesetzt würde, gerieten die Betroffenen nicht ins Elend. Außerdem gibt es ja auch bei den Grünen die »Fachleute«. Die haben schon gesagt, daß man bei derart revolutionären Absichten Vorsicht walten lassen müsse. Kommt die Zeit der regierenden Verantwortung, dann kommt auch Rat.
Peter Ramsauer. – In Ihrem Amt als Bundesverkehrsminister sind Sie erstaunlich schnell zu neuen Einsichten gekommen: »Privatisierung um jeden Preis erweist sich in der Praxis häufig als Irrweg – wer als Quasi-Monopolist nur auf das Börsenparkett schielt, läßt die Qualität links liegen.« Sie haben dabei die Deutsche Bahn im Auge, die Sie nicht an die Börse bringen möchten. Auch in Bayern wird Bahn gefahren. Und so hat das CSU-Bangen um Wählerstimmen seinen verkehrspolitischen Erkenntniswert. Die weiß-blaue Staatspartei kann sich weitere Kundenverluste nicht mehr leisten.
Erhart Körting, Innensenator, Berlin. – Die Lage sei »brisanter als vor der Bundestagswahl«, warnten Sie die Bevölkerung und riefen zur »Wachsamkeit« auf: Wer »seltsam aussehende Menschen« erspähe oder solche wahrnehme, die »nur Arabisch oder eine unverständliche Fremdsprache« reden, solle die Behörden unterrichten. Offenbar ging Ihnen nicht nur der Terrorismus, sondern auch das Thema Wahl im Kopf herum – verständlich, die Umfragewerte der SPD in Berlin machen Ihnen Sorgen. Aber Sie verwirren die Ihnen anvertrauten Bürgerinnen und Bürger, denn Sie können doch nicht erwarten, daß ein rußlanddeutscher Berliner zwischen pakistanischem und oberbayerischem Dialekt unterscheidet; auch soll es Urberliner Sozialdemokraten geben, die einem zugewanderten rheinischen Beamten aus guter Familie als verhaltensseltsam erscheinen. Da wird, wenn Ihr Anruf Gehör findet, die Berliner Polizei schon wieder Überstunden machen müssen.
Wigbert Benz und andere Leser. – Sie haben sich beim Lesen des Heftes 23/10 darüber gewundert und geärgert, daß dort das Online-Magazin Blaue Narzisse zustimmend zitiert wurde. Sie haben recht: Mit dieser Publikation, die Schüler und Studenten nationalistisch zu beeinflussen versucht, wollen wir nichts zu tun haben. Wir haben sie uns näher angesehen. Zum Beispiel verbreitet sie Argumente für die Monarchie und verweist unkritisch auf diverse monarchistische Organisationen, darunter »Pro Monarchie«, »Kaisertreue Jugend«, »Bund aufrechter Monarchisten« und »Monarchie der Zukunft«. In einem anderen Betrag läßt sie es sich angelegen sein, Hitlers Reichsjugendführer Baldur von Schirach zu verteidigen: »Er strebte eine Menschheitserziehung im Sinne von Schiller an, den er im Gegensatz zu lesefaulen Kritikern noch geliebt und gelesen hat.« Wegen Beteiligung an Judendeporationen als Reichsstatthalter in Wien sei er aber zu recht verurteilt worden. Heftig kritisiert die Blaue Narzisse dagegen den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, weil er vor 25 Jahren den 8. Mai als Tag der Befreiung bezeichnet hat.