Es ist keine Sternstunde der Recherche für die erfahrenen Reporter W. und Z., die in den zurückliegenden drei Jahrzehnten von fast allen Kontinenten berichtet haben: Am Elbdeich, unweit des Dorfes Gorleben, geben die beiden Journalisten am Nachmittag des 8. November 2010 ein eher bedauernswertes Bild ab: eingekeilt von drei Mannschaftswagen der Polizei, auf zwei klapprige Damenräder gestützt, die die Reporter kurz zuvor von einer örtlichen Bäuerin geliehen hatten. Die Drahtesel sind Ausdruck ihres beharrlichen Bemühens, einen Interviewtermin im jetzt noch drei Kilometer entfernten Gorlebener Wald wahrzunehmen. Ihr Auto hatten die Reporter schon einige Zeit zuvor aufgegeben, der »Ratschlag« eines Dutzend Bereitschaftspolizisten war unmißverständlich.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die bis dahin noch motorisierten Reporter sich bereits zwei Stunden im Stop-and-Go üben müssen, auf einer von der Polizei weiträumig abgesperrten Landstraße. So weit das Auge über die wendländische Ebene reicht, sind hier keine Menschen und Autos mehr auszumachen. Alle 200 Meter auf dem Asphalt quergestellte Polizeibullies markieren Kontrollstellen, in denen immer aufs Neue das Reporterauto durchsucht werden soll. Die Begründung: Die Presseleute könnten »Material für gewaltbereite Demonstranten transportieren«, mit dem die Straße unbefahrbar gemacht werden könne. Es ist die Straße, auf der in den folgenden Tagen ein Transport mit Atommüll nach Gorleben rollen soll, zur Aufbewahrung im »Zwischenlager« für radioaktiven Abfall.
W. und Z. wollen aber gerade nicht die Straße aufreißen. Sie wollen sie befahren, um einen Termin wahrzunehmen. Bei Andreas Graf von Bernstorff, der sich seit 30 Jahren weigert, seine Ländereien rund um Gorleben für die strahlende Mülldeponie herzugeben. Doch die beiden Reporter treffen den Grafen an diesem Tag nicht mehr. Ende der Dienstfahrt, bestimmt die Polizei am Deich: Für die Strecke von sonst 20 Autominuten waren die mit ihren offiziellen Presseausweisen einwandfrei ausgestatteten Journalisten nun bereits drei Stunden unterwegs, als sie auch auf ihren Leihrädern amtlich ausgebremst werden. Der Grund: Die Reporter hatten sich nicht, wie von der Polizei »angeboten«, »ganz freiwillig« bei der Polizeidirektion Lüneburg akkreditiert. W.: »Wir haben es abgelehnt, uns diesem willkürlichen, durch nichts legitimierten Verfahren zu unterwerfen. Es kann nicht sein, daß die Polizei für einen ganzen Landkreis in Deutschland temporär entscheidet, wen sie von dort berichten läßt und wen nicht.« An ein solch staatliches Verfahren der Journalistenüberwachung könne er sich nicht einmal in den Bürgerkriegsgebieten in Kurdistan erinnern. Z. denkt an Filmarbeiten in Lateinamerika zurück: »Auch dort haben die Militärs uns Berichterstatter drangsaliert, aber ein staatliches Akkreditierungsverfahren für Journalisten gab es nicht einmal in den Aufstandsgebieten.«
Aktuell ist der Nordosten Niedersachsens für die Polizei so was wie ein »Aufstandsgebiet«, es steht wieder ein Atomtransport an. Und wieder gilt für die Arbeit von Journalisten das Lüneburger Landrecht des lokalen Polizeidirektors Friedrich Niehörster. Für den spricht Wiebke Hennig – und die eloquente Beamtin bejubelt das »freiwillige Akkreditierungsverfahren für Medienvertreter«. Sie scheint von dem Gewinn für die Pressefreiheit zutiefst überzeugt: »Die ersten Ihrer Kollegen rufen uns schon im Sommer an und fragen, ob wir wieder diese tolle Akkreditierung anbieten«, berichtet sie. Nach Hennigs Beobachtung sind »99,99 Prozent der Journalisten vollauf zufrieden« mit dem polizeilichen »Serviceangebot«. Der Journalist ist in dieser Logik so was wie ein Kunde – und er kann auch König sein, sofern er angemeldet ist. Für die Polizeisprecherin sind die Erlebnisse von W. und Z. denn auch ein Beleg dafür, daß diese beiden Herren sich besser akkreditiert hätten, »um wie die anderen Kollegen die Vorteile unseres Services zu nutzen«. Hennig preist als konkreten Mehrwert die »komplikationslose Bewegung im Einsatzraum«.
Spätestens hier verstößt die Lüneburger Polizeidirektion gegen Grundrechte, wie jenes der »Berufsausübungsfreiheit« (Art. 12) oder den »Gleichheitsgrundsatz« (Art. 3) – mahnt Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, Vorstand beim Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsverein: »Das polizeiliche Akkreditierungsverfahren zum Castor-Transport ist eine verfassungswidrige Notstandsmaßnahme.« Überdies impliziere schon das Anpreisen von »Vorteilen« für Akkreditierte – wie sie die Polizei auch in ihren offiziellen Antragspapieren offeriert –, daß andere Journalisten unweigerlich Nachteile zu erwarten hätten: »Diese Ungleichbehandlung schließt der Gleichheitsgrundsatz aus.« Was auch der Jurist der Deutschen Journalisten-Union, Wolfgang Kreider, bestätigt: »Wenn neben den offiziellen Presseausweis noch eine zusätzliche polizeiliche Lizenz treten muß, ist das mit dem Gedanken der freien Presse nicht vereinbar.« So lasse Artikel 5 des Grundgesetzes »Die Presse ist frei« keinen Interpretationsspielraum, sagt Verfassungsexpertin Heinecke: »Da steht nicht: ›Der Inhaber eines bestimmten Presseausweises ist frei.‹«
Das ficht Polizeisprecherin Hennig nicht an: »Da unser Angebot 100 Prozent freiwillig ist, braucht es keine Rechtsgrundlage.« Den vielen beim Castor-Transport eingesetzten Beamten könne nicht zugemutet werden, die verschiedenen Presseausweise zu kennen und zu prüfen, sagt Wiebke Hennig. Und »die Verhandlungen um einen einheitlichen Presseausweis sind ja leider gescheitert«, so daß man nicht wisse, ob der Inhaber eines Presseausweises auch tatsächlich ein Journalist ist. Damit bringt Hennig endgültig alle gegen sich auf, selbst der eher bedächtige Deutsche Journalisten-Verband (DJV) gerät in Rage: »Die Verhandlungen um den Presseausweis haben ausschließlich die Innenminister scheitern lassen, und dies ohne Begründung«, stellt Hendrik Zörner klar. Für den DJV-Sprecher ist das Lüneburger Akkreditierungsverfahren ein »permanentes Ärgernis«. Nun auch noch die »von den Behörden betriebene Verweigerung eines einheitlichen Ausweises« als Begründung für die fragwürdige Akkreditierung Hunderter Berichterstatter in einem ganzen Landstrich anzuführen, zeuge von »mangelnder Sachkunde der Polizei Lüneburg«.
Für die verbringt Wiebke Hennig derweil viel Zeit im Internet. Dort will sie ihre Antragsteller, die sich »freiwillig« akkreditieren möchten, näher kennenlernen: »Wir geben die Namen der Journalisten, die sich bei uns melden, bei ›google‹ ein.« Die Suchmaschine weist dann angeblich den Weg – ablehnen oder akkreditieren. Dabei sei 2010 nur ein Antragsteller auffällig geworden und habe keine Akkreditierung bekommen, so Hennig: »Der war im Internet als linksextremistischer Steinewerfer ausgewiesen.« Wo solche prägnanten Wertungen im Netz zu finden sind, mochte die Polizeisprecherin nicht verraten. Oder war es doch eher eines der Informationssysteme des Bundeskriminalamts, das den »Steinewerfer« entlarvte? »Nein, nein, wir googeln nur«, sagt Wiebke Hennig.
Die von Hennigs Kollegen am 8. November 2010 vor Ort verordneten »Serviceleistungen« lassen die Reporter W. und Z. schließlich bei Einbruch der Dunkelheit aufgeben, Graf Bernstorff aufzusuchen. Die Odyssee der verhinderten Berichterstatter ist damit aber noch nicht vorbei. Als W. und Z. mit ihrem Stunden zuvor zwangsweise am Straßenrand zurückgelassenen Pressewagen den »Einsatzraum« wieder verlassen wollen, unterbinden die Beamten auch dies: »Hams a Akkreditierung? Na, dann können’s net raus«, stellt ein offenkundig ortsfremder Uniformierter klar. Erst nach länglichen Telefonaten wird den Journalisten gestattet, die abgeriegelte Gorleben-Region zu verlassen. Dabei werden sie bis zur letzen Straßensperre von der Polizei eskortiert. Ist im »Service« mit drin.
Reporter W. ist dieses Jahr nicht dabei, wenn Ende November der Atomzug rollt, wieder begleitet von »99,99 Prozent« freudig akkreditierten Berichterstattern. W. dreht gerade eine Fernsehdokumentation in Kuba und berichtet von dort: »Wir können uns bei unserer Arbeit frei bewegen. Wir interviewen wen wir wollen.«