Tu felix austria, dachte ich, als der Fast-1000-Seiten-Buch-Brocken frisch ausgepackt vor mir lag. Vom Cover grüßen ein apart zugeschnittenes, leicht schräges Robert-Neumann-Foto und die Zeile »Mit eigener Feder« – Signal an alle Kenner und solche Leser, die es werden wollen. Angespielt wird auf den Titel »Mit fremden Federn« – nach wie vor der bekannteste Band des 1897 in Wien geborenen jüdischen Schriftstellers, der indessen weit mehr publizierte als die nach wie vor beliebten Parodien. Österreich hat sich nicht lumpen lassen, investierte Geld, Zuwendung und Zeit in das Gedenk-Opus-Magnum für einen auch international Prominenten. Die immense Herausgeber-Arbeit bewältigte Franz Stadler. Das Land ehrt Neumann und damit zugleich sich selbst. Soweit stand in der Alpenrepublik alles zum Besten, bis die Wahlergebnisse vom September 2013 vorlagen. Da war Sense mit felix austria, unsere Nachbarn befinden sich, vergleichbar mit den meisten anderen europäischen Staaten, im rasanten Rechtsruck, jeder fünfte Österreicher wählte die einschlägig bekannte FPÖ (s. Ossietzky 22/13). Unter dem Aspekt ist es tröstlich, daß RN, so unterzeichnete unser Autor seine Briefe gern knapp und praktisch, Figuren wie Heinz Christian Strache und dessen Vorgänger Jörg Haider nicht mehr erleben mußte, obwohl er sich diese Ausländerfeinde und Antisemiten sicher mit hohem Elan vorgenommen hätte. Nicht ohne Grund war in Ossietzky immer mal wieder über den gar nicht hoch genug zu schätzenden Robert Neumann zu lesen, so 2007 im Heft 13. 1961 nun erinnerte er an Carl von Ossietzky in einem Artikel, der hart mit dem berühmten FAZ-Wortkünstler, einem starken Stilisten und schwachen Charakter, Friedrich Sieburg ins Gericht ging – ihm und anderen »ist es gelungen, sich an die Welt Adenauers anzuschmeißen, wie sie sich an die Welt Hitlers angeschmissen haben.« Erzürnt war RN, weil Sieburg geklagt hatte, daß ihm in Frankreich nach dem Krieg »niemand mehr die Hand gab … ich aber«, stellt Neumann klar, »reserviere jedes mögliche Mitleid für Sieburgs und meine Kollegen Hasenclever und Ernst Weiß … die im Exil Selbstmord begingen … ich reserviere mein Mitleid für seine und meine Kollegen Ossietzky und Mühsam.« Mühsam von der SS zu Tode geprügelt, Ossietzky im KZ so gequält, daß er bald darauf starb, während, so Neumann mit Recht unversöhnlich, Sieburg, »der ›Lutteur et Nazi‹ wie Gott in Frankreich saß«. Gern war RN nicht in der Rolle des Rächers unterwegs, lieber plädierte er für Verständigung zwischen West und Ost, auf nationaler und internationaler Ebene, außen – und innenpolitisch, das gelang hin und wieder, doch dann provozierten ihn populäre Politiker, zum Beispiel Franz Josef Strauß. Neumann lieferte oft aparte szenische Rezensionen, man wird eingeladen zu kleinen Bühnenstücken, hier geht es um den Hans-Hellmut-Kirst-Roman »Fabrik der Offiziere«, RN schildert: »Das Buch lag ungelesen auf meinem Tisch – da fand ich in meiner Post eine Nummer von Herrn Straußens ›Information für die Truppe‹. Auf dem Umschlag das Motto: ›Verteidigung ist eine geistige Aufgabe‹ … auf den Seiten 4, 5, 6, 7: FABRIK DES SCHMUTZES (zu Kirsts neuem Roman). Dann hört man es … Herr Kirst verzerrt die Vergangenheit … Laut ihm gab es in der Wehrmacht … Verbrechen … und Nazis auch! Das aber decke sich mit den ›Klischees der Vergangenheit‹, kein aufrechter Bundeswehrsoldat, der so etwas liest.« Neumann sendet an Die Zeit eine differenzierte, umfangreiche Buch-Besprechung zum Autor. Kirst war als junger Mann den Nazis auf den braunen Leim gegangen, stieg in Hitlers Armee auf bis zum Oberleutnant, schrieb jedoch nach dem Krieg in sehr erfolgreichen Büchern energisch gegen alte und neue Nazis an. Am Schluß des Zeit-Artikels schlägt Neumann eine, wie ich finde, ironische Volte, fordert F. J. Strauß auf, herauszufinden, »ob jene Reaktion auf Kirsts Buch im offiziellen Organ seines Ministeriums bloß von einem Dummkopf stammt«, wodurch Strauß dann exkulpiert wäre.
Der so vehement angefeindete Roman »Fabrik der Offiziere« war 1960 im Desch-Verlag erschienen, das von rechts her skandalisierte Buch löste frühzeitig aus, was sich von 1995 bis 1999 auf die »Wehrmachtausstellung« hin an aufgehetzten und aufgeheizten Diskussionen in der BRD ergab. Äußert bei uns jemand Kritik am Militär, taucht sofort das Wort Schmutz auf, die Nazis nannten all das »gedruckten Dreck«, daran hat sich seit Tucholskys und Ossietzkys Zeiten nichts geändert, das ist ein übles politisches Perpetuum mobile.
Franz Stadler (Hg.): »Robert Neumann. Mit eigener Feder. Aufsätze, Briefe, Nachlassmaterialien«, StudienVerlag, 928 Seiten, 49,90 €