Diese Bundeswehr, die – so plakatiert sie – nicht länger »abwarten und Teetrinken«, sondern in den Krieg ziehen will, besitzt nirgendwo ein wahrhaftigeres Denkmal als in der Mitte Hamburgs zwischen Stephansplatz und Dammtor. Dort marschieren sie und marschieren und marschieren, seit 1936, seit die damalige deutsche Wehrmacht in das entmilitarisierte Rheinland eindrang, im ehernen Tritt und Schritt immer rechts und rechts und rechts um einen quadratischen Steinklotz herum. Und sind bis heute nicht an dem Ziel angekommen, das sie sich, unter ihren Stiefeln als Relief eingemeißelt, seit nun fast acht Jahrzehnten setzen: »Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen«.
1945 wollte die britische Militärregierung dieses von den Nazis errichtete Monument der Sterbehilfe in die Luft sprengen. Es geschah nicht. Seit 1966, seit ich in Hamburg lebe, bedauerte ich das sehr. Doch nun, seit Deutschland wieder ganz ist, seit deutsche Soldaten in aller Welt kämpfen, freunde ich mich mehr und mehr mit der zweiten Hälfte dieses Spruches an. Wer unbedingt Krieg führen will, soll auch sterben dürfen.
Seit dem 24. November 2015 will ich, dass dieses Denk-mal bleibt, solange es auch nur noch einen einzigen deutschen Soldaten gibt. Denn seit diesem Tag steht endlich das Mahnmal der Deserteure dem martialischen Kriegerblock gegenüber. Schon einmal in den achtziger Jahren gab es den Versuch von Alfred Hrdlicka, dem Nazimonument vom ewig mordenden Soldaten etwas entgegenzusetzen – das blieb unvollendet. Heute aber, da – wie Thomas de Maizière als Kriegsminister 2013 verkündete – wieder »getötet und gefallen« wird –, steht endlich der von dem Bildhauer Volker Land entworfene und realisierte »Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz«. Er steht exakt gegenüber dem Steinblock der »gemeinsten Kreaturen, die jemals den Soldatenrock der Geschichte getragen haben«. Das sind Auszüge aus Helmut Heißenbüttels Gedichtzyklus »Deutschland 1944«, die als filigranes schmiedeeisernes Ornament dem brutal marschierenden Kriegerblock Widerworte geben. Heißenbüttel will »dieses Gesindel, das sich aus der einstigen Zeit herübergerettet hat, abstoßen«. Heißenbüttels Text von 1971 kann man auch hören wie auch biographische Angaben zu allen namentlich bekannten 227 Opfern der Wehrmachtsjustiz in Hamburg.
Als Denkmal des Gesindels muss das Kriegermonument gegenüber dem Mahnmal für die Deserteure stehen bleiben. Stehen! Stillgestanden! Nicht weitermarschieren, wie es diese steinernen Krieger wollen.
Gerhard Zwerenz war der einzige Deserteur, den es neben einer Unzahl von Nazis und bis zuletzt treu für ihren Führer kämpfenden Soldaten je im Bundestag gab. Er sagte 1995 als – ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende – die Rehabilitierung der nur 50.000 Deserteure unter den 18 Millionen deutschen Soldaten auf der Tagesordnung stand: »Denkt vielleicht wenigstens einer daran, was gewesen wäre, wenn diese 18 Millionen Soldaten ausgerufen hätten: ›Wir sind das Volk! Nie wieder Krieg! Mit uns nicht!‹ Wenn diese Soldaten dann nach Hause gegangen wären, wäre der Krieg aus gewesen: Ohne diese Wehrmacht hätte es keinen Holocaust, keinen Genozid, keinen zweiten Weltkrieg und nicht seine 50 Millionen Toten gegeben.«
So sprach Zwerenz vor zwanzig Jahren im Bundestag. Heute forderte, als der Gedenkort für Deserteure gegenüber dem Kriegerklotz eröffnet wurde, ein Transparent: »Asyl für Deserteure! Bundeswehr abschaffen!«