Ein Satz, der mir wenig logisch erscheint. Er (wer?) sprach ihn in Hamburg, auf Kampnagel: »Die Erfolge geben uns recht. Mit dem Afghanistan-Einsatz wurde der Krieg wieder real. Deshalb habe ich mich freiwillig gemeldet. Was nicht funktioniert: Dass wir hier in Europa bleiben.« Das Stück der Costa Compagnie heißt »Conversion / Nach Afghanistan«. Konversion heißt Wechsel. Welcher Wechsel? Vom Pazifismus zum Bellizismus? Bekehrung? Die Costa Compagnie wurde 2009 als »offene Kollaboration interdisziplinär arbeitender Künstler*innen« gegründet von Felix Meyer-Christian. Zum Ende des ISAF-Einsatzes in Afghanistan im Dezember 2014 reisten drei Mitglieder dieser offenen Kollaboration dorthin, um zu recherchieren, Informationen zu sammeln. Drei Wochen lang führten sie Interviews mit den Eingeborenen, mit – wie es heißt – Afghan*innen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Diplomat*innen. Aber auch mit »Bundeswehr- und US-Soldat*innen«. Sie erfuhren dort »anhand der komplexen Situation« in Kabul und Masar-i-Scharif (auch in NATO-Stützpunkten) »vom Willen, das Land wieder aufzubauen …«, das verrät das Infoblatt von Kampnagel. Wobei die Formulierung »Kollaboration« irritiert: An die Zusammenarbeit mit dem Feind ist hier wohl nicht gedacht. Und wer von ISAF-»Mission« redet, übernimmt die vorgegebene Sprachregelung. Im Stück heißt es einmal (kritisch?): »Jetzt ist es eine Bildungs-Mission.« An anderer Stelle: »Heute ist nichts mehr sicher – zur Taliban-Zeit war es nicht so.« Heute aber gebe es Schulen und Unis. Da ist sie, die Ambivalenz, die das ganze Stück durchzieht – und die (wohl mit Absicht) verwirrt. Wer sagt was? Ein unbekanntes Subjekt dirigiert das Stück, meist benannt als »sie schrieb« – aber sie kann auch ein Er sein.
Die Gruppe arbeitet mit Video-Einspielungen, die Menschen und Landschaft auf die Bühne bringen, und real mit Performance und Tanz. Und vor allem mit deutschen und englischen Textpassagen, die jeweils auf einer Tafel übersetzt werden – alles in schnellem Wechsel. Hinten groß das Gesicht eines Soldaten der Bundeswehr. Als Presseoffizier habe er sich ins Kosovo gemeldet, dann war er zwei Jahre in Kabul, freiwillig. Gleich am ersten Tag Kundus: »Im Sturzflug gehen sie runter«, aus Sicherheitsgründen. Die Faszination ist zu spüren. Ein Stipendium von den USA half. Er fing an, als Fotograf zu arbeiten: »Nicht nur Explosionen und so‘n Zeugs.« Die Gesichter auf den Video-Bildern im Hintergrund sprechen: »Unheimlich spannend – da lernt man erst mal, wie Afghanistan funktioniert.« Ein Abenteuer? Eine junge Teppichweberin im bunten Kleid wird vorgestellt, unverhüllt. Sie spricht von Frauenrechten: früher Burka, jetzt frei? Aber, die Frauen in Afghanistan sind »Sklavinnen«, sagt sie. Befreiung? »Die Männer werden das nicht für uns tun.« Die allgegenwärtige Gefahr, Anschläge. Eine Explosion da, wo die deutschen Soldaten gerade hinfahren wollten, das »Bauchgefühl« ließ sie umkehren.
Zwei Mädchen blasen weiße Luftballons auf. Dann ein Tänzer, nicht verzweifelt, virtuos. Was will er mit seinen Händen ergreifen? Dumpfe Dröhn-Musik, manchmal nur ein Ton. Es gab – in Kundus? – einen Anschlag auf »unsere Aufführung«. Zwei Tote und Verletzte im Publikum. Im Video wunderschön rot blühende Bäume. Er (wer?) spricht plötzlich von Deutschland nach 1945. Warum? Im Video malerische Ruinen mit Säulen, die Kamera fährt durch die zerstörten Säle. Text: Es gebe wohl keine pazifistische Ablehnung des Krieges mehr – schrieb sie. Fußballspielende Jungen. Eine Drohne fliegt über die Bühne, rot-grün leuchtend, in Kopfhöhe. Bedrohlich wirkt das nicht, niedlich.
Ein Anschlag vor einem Teppichladen. Das kleine, ausgezeichnet englisch sprechende Mädchen – sie hatte das von den Soldaten gelernt – kam dabei um. Ein Vierzehnjähriger hatte sich in die Luft gesprengt. Dann, der Horror in Kundus. Deutschland hat angegriffen. Der Verteidigungsminister (kein Name?) musste zurücktreten. Und der Verantwortliche für das Massaker, Oberst Klein? Kein Wort über ihn. Nur: »O. K. wir haben einen Fehler gemacht« – weiter nichts?
Umbaupause. Jetzt sind wir in Masar-i-Scharif. Ein Mädchen tanzt vorn – eine Uhr läuft rückwärts – ins Mittelalter? Und wieder die Stimme. »Sie schrieb: wie können wir über eine Zeit berichten, wenn wir sie nicht erlebt haben?« Wie die Kollaborateure in drei Wochen. Und sie schrieb weiter von der Fülle »komplexer Widersprüchlichkeit« und sich »moralisch ausschließenden Situationen«. Im Video wird Fladenbrot gebacken und geplaudert. Zwei Männer glauben: »Wir brauchen die Deutschen.« Sind sie es, die verlangen: »Die deutsche Armee muss die Taliban umbringen – aber nur die schlechten.« Auf dem Video eine Moschee, Parks mit friedlich schlendernden Menschen, viele weiße Tauben. Eine junge Afghanin mit umgelegtem Schal: Nach Masar-i-Scharif, da will sie wieder hin. Sie arbeitete als Journalistin für das Militär – welches? Ihr Leben hat sich verändert. Ein Satz steht im Raum: »Opfer eines Kollateralschadens bei Drohnenangriffen zu werden, ist sehr unwahrscheinlich.« Ein Tänzer greift sich an den Bauch, als habe er Schmerzen, krümmt sich. Musik, dumpfe Schläge. Ein Deutscher aus Hildesheim, Zugführer, berichtet, er sei das dritte Mal in Afghanistan. Eine Soldatin in Tarn-Uniform: auch schon im dritten »Einsatz«. »Wir« – wer sagt es? – »haben Ortschaften freigekämpft«. Dorthin sollen die Flüchtlinge wieder zurückgeschickt werden aus Deutschland. Im Stück gibt es keine Flüchtenden. Am nächsten Tag lese ich, nach dem Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif – das als sicheres Gebiet galt – haben sich die Diplomaten ins Camp Marmal zurückgezogen. Eine aktuelle Frage, die in über zwei Stunden nicht gestellt wird: Wohin sollen sich die abgeschobenen Flüchtlinge flüchten?