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Titel2416

Der Skandal weitet sich aus  (Wolfgang Ehmke)

Zunächst ging es »nur« um die Frage, wie es sein konnte, dass die wirtschaftsnahe Martini-Stiftung Einfluss auf die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) nehmen konnte. Dieses wichtige Forschungs- und Beratungsinstitut untersteht dem Bundeswirtschaftsministerium. Bei der »Einflussnahme« handelte es sich um die Finanzierung von Gefälligkeitsgutachten. Im Wirtschaftsministerium gab es sehr wohl Kritik an der Finanzierung derartiger Gutachten, zu einer Aufdeckung der näheren Umstände dieser ominösen Praxis aber kam es bisher nicht. Wegen des Verdachts der Vorteilsnahme und Bestechlichkeit seitens der BGR gab es Strafanzeigen. Die Staatsanwaltschaft Hannover nahm Ermittlungen auf, das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen (s. Ossietzky 17/2016 »Gutachten mit Geschmäckle?«).

 

Investigative Journalisten wie Jürgen Dröschner (WDR) gaben den Anstoß, andere nahmen den Ball auf und recherchierten weiter. Schon die Fragen, nach wem genau die Martini-Stiftung benannt wurde und warum der Vorsitzende der Stiftung auch den Vorsitz im BGR-Kuratorium innehat, ließen aufmerken. Die Stiftung ist so eng mit der BGR verflochten, dass sie sogar unter der Anschrift der BGR gemeldet ist. Derzeitiger Stiftungsvorsitzender und BGR-Kuratoriumsvorsitzender ist Martin Bachmann, Vorstandsmitglied der Wintershall Holding und Vorsitzender des Bundesverbandes Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG). Derzeitiger Stellvertretender Stiftungsvorsitzender und Mitglied des BGR-Kuratoriums ist der Vorstandsvorsitzende der Ruhrkohle AG und Präsident des Gesamtverbands Steinkohle e. V., Bernd Tönjes.

 

Inzwischen nimmt die bruchlose und nicht aufgearbeitete Verstrickung dieser Bundesbehörde und ihrer Vorgängerorganisationen in die imperialistische Expansionspolitik der Nazis immer deutlichere Konturen an: Führende Geologen der Nachkriegszeit waren NSDAP-Mitglieder oder hatten eng mit dem Nazi-Regime zusammengearbeitet wie besagter Hans-Joachim Martini und sein Amtsnachfolger Gerhard Richter-Bernburg. Auch Alfred Bentz, der nicht Parteimitglied gewesen war, spielte eine zwielichtige Rolle. Sie alle stiegen nach dem Zweiten Weltkrieg zu Präsidenten der BGR oder ihrer Vorgängerorganisationen auf.

 

Der Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel legt jetzt Original-Dokumente über Martini vor, die im Zusammenhang mit dessen Tätigkeit als Geologe im »Reichsprotektorat Böhmen und Mähren« und in der 1939 gegründeten »Slowakischen Republik« stehen. Der Linken-Politiker Zdebel: »Diese zeigen, dass Martini 1937 in die NSDAP und 1942 in die SS eingetreten ist und seine Tätigkeit bedeutsam für die Kriegsführung durch Nazi-Deutschland, vor allem auf dem Gebiet der Erlangung kriegsnotwendiger Rohstoffe, war.«

 

In einem weiteren WDR-Beitrag eruiert Jürgen Döschner ebenfalls die Verflechtung dieser Geologen mit dem Naziregime. Er erinnert an die Rede des späteren »Reichsmarschalls« Hermann Göring, in der er im Oktober 1936 seinen sogenannten Vierjahresplan präsentierte, und stellt so die wissenschaftliche Arbeit von Bentz und Martini in ihren historischen Kontext, ein Programm, »das Deutschland in kurzer Zeit autark und vor allem kriegsfähig machen soll. […] Für diesen Plan brauchte Göring Leute mit Sachverstand, treue Experten wie Alfred Bentz und Hans-Joachim Martini. Bentz hatte schon 1934 das sogenannte Reichsbohrprogramm ausgearbeitet. Göring persönlich ernannte ihn zum ›Bevollmächtigten für die Erdölgewinnung‹, ein Amt mit zentraler Bedeutung für den Krieg«, so Döschner (www.tagesschau.de, »Braune Geologen«, 6.10.2016).

 

 

Stille Wege sind tief

Um zum Sitz der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zu gelangen, fährt man nach Hannover – in den Stilleweg. Wie man inzwischen weiß, hält es die BGR auf merkwürdige Art und Weise mit der Tradition. Hans Stille gilt als ein »ganz Großer« der alten Schule.

 

Erzählen wir also auch die Geschichte von Hans Stille. Der Geologe arbeitete in Berlin an der Preußischen Geologischen Landesanstalt. Er habilitierte sich schon 1904 und folgte 1908 einem Ruf auf den Lehrstuhl für Geologie und Mineralogie der Technischen Hochschule Hannover. Weitere Stationen seiner wissenschaftlichen Laufbahn waren die Universitäten in Leipzig, Göttingen und Berlin. Dort blieb er auch während der Nazi-Zeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte er einem Ruf an die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Dort gründete er 1946 »sein« geotektonisches Institut und wurde zum Wegbereiter der horizontalen Tektonik. Nach seiner Emeritierung ging er 1950 nach Hannover zurück, stand aber dem Ostberliner Institut weiterhin als Berater zur Verfügung.

 

Mit seiner »Kontraktionshypothese« als möglichem Motor der Erdkrustenbewegung verrannte er sich zwar gründlich, der Irrtum beschädigte aber seine Reputation nicht. Sein Kontrahent, der Grönlandfahrer Alfred Wegener, der die heute anerkannte Theorie der Kontinentalverschiebung vertrat, war zu Lebzeiten heftig umstritten.

 

In Westdeutschland wurde Stille zum Namensgeber der Hans-Stille-Medaille, die die Deutsche Gesellschaft für Geowissenschaften seit 1950 einmal im Jahr für herausragende Verdienste in den Geowissenschaften verleiht. Einer, der diese Medaille bekam, war übrigens Gerhard Richter-Bernburg.

 

Stille war kein Nazi. Doch es gibt auch hier ein dunkles Kapitel. Von 1937 bis 1946 war Hans Stille Mitglied des Senats der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) mit Sitz in Berlin-Dahlem. Die KWG war bis Ende des Zweiten Weltkriegs die Trägerin der Kaiser-Wilhelm-Institute (KWI), die vor allem der Grundlagenforschung in Deutschland dienten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden ihre Institute nach und nach von der neu gegründeten Max-Planck-Gesellschaft übernommen, die sich als Nachfolgerin und Erbin der KWG versteht. Die endgültige Auflösung der KWG erfolgte erst am 21. Juni 1960.

 

Die bekannteste Entdeckung ist die Kernspaltung im Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie 1938 durch die Chemiker Otto Hahn und Fritz Straßmann. Umstritten ist auch hier die Rolle der weiteren Kernforschungsprogramme des Instituts für die Atomwaffenforschung im Nationalsozialismus.

 

Als Mitglied des Senats der KWG kann Stille nicht entgangen sein, dass Frauen, die Abteilungsleiterinnen der Kaiser-Wilhelm-Institute waren, aus ihren Ämtern vertrieben wurden wie zum Beispiel die Kernforscherin Lise Meitner und die Hirnforscherin Cécile Vogt. Meitner wurde als Jüdin gezwungen, das Institut und Deutschland zu verlassen. Über Cécile Vogt und ihren Mann, Oskar Vogt, berichtet Reinhard Rürup, dass sie bereits 1933 unter politischen Druck gerieten, es kam zu Überfällen und Ausschreitungen der SA im Institut. Rürup verfasste unter anderem ein Gedenkbuch für die 104 von den Nationalsozialisten aus der KGW vertriebenen Forscherinnen und Forscher (»Schicksale und Karrieren«, Wallstein-Verlag, 2008). Das Buch enthält beispielsweise ein Schreiben der Gestapo-Zentrale an Max Planck, der sich in seiner Eigenschaft als Präsident des KWG vor das Ehepaar Vogt gestellt hatte, darin hieß es zu den Übergriffen: »Herausfordernde Bemerkungen des Institutsdirektors und seines Anhanges über die SA und den Nationalsozialismus, seine immer wieder zutage tretenden Begünstigungshandlungen Juden gegenüber, die Unterlassung der Unterbindung bzw. die stillschweigende Duldung kommunistischer Propaganda und die Beschäftigung von Ausländern hatten einen Spannungszustand geschaffen, der in irgendeiner Form eine Auflösung finden musste.« 1937 gaben die Vogts auf und schieden aus dem KWI aus.

 

Besonders negative Berühmtheit erlangten die biologisch-medizinischen Institute durch ihre Beteiligung an der nationalsozialistischen Rassenforschung wie das KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. Oder die Giftgasforschung am KWI für medizinische Forschung und weitere Kriegsforschungen am KWI für Biologie. Zeitweise unterstand die Arbeit der KGW sogar dem Heereswaffenamt. Sollte das alles Hans Stille entgangen sein? Man weiß es bis heute nicht. Was man weiß: Stille verhielt sich still.

 

Die Max-Planck-Gesellschaft rief schließlich 1997 auf Initiative ihres damaligen Präsidenten Hubert Markl ein Programm zur selbstkritischen Erforschung ihrer Geschichte ins Leben: die Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Leiter der Kommission waren Reinhard Rürup und Wolfgang Schieder, das Forschungsprogramm wurde Ende 2005 abgeschlossen. Insgesamt 17 Bände legten die Historiker vor: zu den verschiedenen Forschungsfeldern, der Korrumpierung ihrer Repräsentanten durch die NS-Politik, zu ihrer wachsenden Orientierung auf die Rüstungsforschung und der Kooperation bei den verbrecherischen Menschenversuchen in den Vernichtungslagern.

 

Dergleichen sucht man zur BGR und ihrer Vorgeschichte vergeblich. Ganz anders als das Max-Planck-Institut verweigert die BGR bis heute – 70 Jahre nach dem Ende der Nazi-Herrschaft – eine Auseinandersetzung mit den politischen Verfehlungen ihrer Vorväter. Die Reaktion der BGR auf die Enthüllungen wirkt hilflos. Auf ihrer Website erscheint neuerdings folgender Vermerk: »Die systematische geschichtliche Untersuchung und wissenschaftliche Aufarbeitung der BGR und ihrer Vorläufereinrichtungen steht noch aus. Der Untersuchung kommt aus Sicht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) sowie der BGR eine große Bedeutung zu.«

 

Stattdessen gibt es Stille-Medaillen und eine Stiftung, die eine Bruchlosigkeit der Forschungsgeschichte suggeriert. Zdebel deutet an, dass die Liste der Verfehlungen noch weiter reicht: »Selbst der ehemalige Leiter der Auslandsabteilung der BGR, der Lagerstättenkundler Alfred Cissarz (NSDAP-Mitgliedsnummer: 5057224) war in die Aktivitäten des Reichsamtes für Bodenforschung während des Dritten Reichs verstrickt. Diese Zusammenhänge müssen endlich umgehend und rückhaltlos aufgeklärt werden.«