Stundenlang haben sich die Delegierten des SPD-Parteitages die Köpfe heißgeredet, aber bis auf ein paar Sätze aus dem Munde des Vorsitzenden der Jungsozialisten, Kevin Kühnert, ist nichts zurückgeblieben außer heißer Luft. So wie die SPD einem kriegslüsternen Kaiser 1914 versprochen hat: »Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich«, so lässt sie jetzt die CDU/CSU als Verwalterin der Interessen des großen Geldes nicht im Stich. Ergebnisoffen will die SPD Sondierungsgespräche über eine Rückkehr in die Große Koalition mit der CDU/CSU aufnehmen. Dabei pfeifen es die Spatzen von allen Dächern, was dabei herauskommen wird.
Das Gerede über staatspolitische Verantwortung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die SPD dabei ist, sich um den Rest ihres Ansehens und ihrer Glaubwürdigkeit zu bringen. Irgendwann merkt das Volk, der »große Lümmel«, was gespielt wird. Wer den Einen nichts nimmt, kann den Andern nichts geben. Weil die SPD sich nicht traut, den Reichen etwas zu nehmen, kann sie den Armen immer nur schöne Versprechungen machen.
Hätte doch nur Einer oder Eine den Mut gehabt, auf dem Parteitag ein paar Zeilen aus Heines »Wintermärchen« zu zitieren: »Wir wollen auf Erden glücklich sein, / Und wollen nicht mehr darben; / Verschlemmen soll nicht der faule Bauch, / Was fleißige Hände erwarben. / Es wächst hienieden Brot genug / Für alle Menschenkinder, / Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust, / Und Zuckererbsen nicht minder.« Da wäre manchem das Herz aufgegangen, und vielleicht hätte es auch in manchem Kopf zu rumoren begonnen. Was nutzt es, wenn Martin Schulz sich in Zerknirschung übt und die Partei oder wen auch immer um Entschuldigung bittet für das miserable Wahlergebnis vom 24. September. »Unser größtes Problem ist, dass wir unser klares Profil verloren haben«, rief er den Delegierten zu, als ob er nicht wüsste, was es mit diesem vermeintlich klaren Profil auf sich hat.
Und weil er das weiß, ließ er einen bunten Ballon in den tristen Dezemberhimmel steigen. Bis 2025 will er die Vereinigten Staaten von Europa aus dem Hut zaubern, mit einer gemeinsamen Verfassung versteht sich. Länder, die dieser Verfassung nicht zustimmten, müssten automatisch die Europäische Union verlassen. Das sagte der SPD-Vorsitzende am selben Tag, an dem die EU-Kommission die Tschechische Republik, Ungarn und Polen wegen mangelnder Solidarität vor dem Europäischen Gerichtshof verklagte. Erwartet Schulz allen Ernstes, dass Länder, die sich schon der Umverteilung von Flüchtlingen verweigern, jemals ihre staatliche Souveränität in viel wichtigeren Fragen an eine europäische Zentralregierung abtreten? Hält er es für möglich, dass Deutschland über die Verwendung seiner Staatseinnahmen künftig nicht mehr selbst entscheidet, sondern ein europäischer Finanzminister?
Diesen Illusionisten haben die Delegierten des Parteitages mit knapp 82 Prozent in seinem Amt bestätigt. Wer die Debatte über eine mögliche Rückkehr der SPD in die Regierung am Fernsehen verfolgt hat, konnte nicht den Eindruck haben, dass sie das Thema sonderlich interessiert. Viele beschäftigten sich mit ihrem Smartphone, lasen Zeitung oder unterhielten sich angeregt mit ihrem Nachbarn oder ihrer Nachbarin. Andrea Nahles beklagte sich darüber, dass Delegierte ihr ins Gesicht sagten, sie hätten kein Vertrauen in die Zusage, die Gespräche über eine Regierungsbeteiligung würden ergebnisoffen geführt. Aber die Parteiführung traut sich anscheinend nicht einmal selbst über den Weg. Sie schiebt die Verantwortung über das endgültige Ja oder Nein zu einer Großen Koalition abermals auf einen Parteitag ab. Zum Schluss sollen dann die Parteimitglieder entscheiden. Mit Mehr-Demokratie-Wagen hat das nichts zu tun. Es offenbart die Ratlosigkeit und den politischen Bankrott einer Parteiführung, die nicht mehr weiß, wofür die Gründer der deutschen Sozialdemokratie dereinst angetreten sind.