Ulrich van der Heyden, anerkannter Afrikanistik-Spezialist, nimmt eine längst fällige neue Bewertung der Persönlichkeit Kwame Nkrumahs, des ersten Präsidenten Ghanas, vor. Und er tut dies aus heutiger afrika- und globalpolitischer Sicht, wobei das einstige deutsch-deutsche Spannungsfeld eine maßgebliche Rolle spielt. Die Konstellation Nkrumah – Ghana – Afrika – Deutschlandpolitik – Weltpolitik wird in ihren Zusammenhängen analysiert.
Kwame Nkrumah war Ende der 1950er Jahre der erste Präsident eines selbständigen Staates im subsaharischen Afrika und forderte die Unabhängigkeit aller früheren afrikanischen Kolonien. Zu jener Zeit wurde Ghana zu einem wichtigen Objekt in der Außenpolitik der beiden deutschen Staaten. Van der Heydens Analyse zeigt, wie das westafrikanische Land, sein Präsident und dessen panafrikanistische Politik in Bonn und Ostberlin gesehen wurden und wie die Systemkonkurrenz Einfluss auf das Handeln von Nkrumah nahm.
In Debatten zur vorliegenden Broschüre taucht die Frage auf, wieso der Autor (oder das Verlagsteam) mit dem Namen Nkrumahs die als Kontraattribute wirkenden Begriffe Diktatur und Panafrikanismus zur Auswahl stellt. Bei Nkrumah gehörte der Panafrikanismus (wenn er nicht zu sehr eingeengt wirkt) zur politischen Charakteristik, und Diktaturtrends werden vom Autor deutlich in bestimmten historischen Perioden hervorgehoben, ohne dass die welt- und kontinentpolitische Wertung der Persönlichkeit darunter gewichtig leidet. Ghana und Nkrumah bildeten vielfach eine Art historischen Gradmesser unter den nachkolonialen Regimes speziell in Afrika. Und beide Faktoren spielten bei vielen nachkolonialen »Erstführern« eine Rolle, wenn auch graduell unterschiedlich.
Der Autor der vorliegenden Broschüre legt den Schwerpunkt seiner Untersuchung auf das Thema der seinerzeitigen deutsch-deutschen Systemkonkurrenz in Afrika und das am prädestinierten Beispiel Ghanas. Er skizziert die Rolle Ghanas in der DDR-Afrikapolitik und das Wirken beider deutscher Staaten auf der afrikanischen Bühne sowie das Wirken und den Platz Ghanas beim Ringen um die politische Unabhängigkeit und danach. Dabei wertete Ulrich van der Heyden lange Zeit aus unterschiedlichen Gründen nicht genutzte Dokumente aus »speziellen« DDR-Archiven aus (zum Beispiel des Ministeriums für Staatssicherheit und des Staatssekretariats für Hoch- und Fachschulwesen sowie des Außenministeriums und des Zentralkomitees der SED). Die innenpolitischen Veränderungen in Ghana (politische Unabhängigkeit 1957, 1966 Putsch und Sturz Präsident Nkrumahs, Nach-Nkrumah-Ära) hatten sämtlich Auswirkungen unterschiedlicher Art auf die ost- und auf die westdeutschen Positionen in Ghana. Der Autor liefert exakte Skizzen dieser Prozesse und der Reaktionen der DDR- und der BRD-Seite sowie der Veränderungen der Systemkonkurrenz in Afrika.
Länder wie Ghana wurden als natürliche Verbündete im antiimperialistischen Kampf betrachtet. Anerkennung und Sympathien gegenüber der DDR wirkten zum Teil auch nach der deutschen Einheit weiter. Nkrumah lavierte – wie van der Heyden nachweist – geschickt unter den Bedingungen des deutsch-deutschen Spannungsverhältnisses, was allerdings auch das relativ lange Hinausschieben voller diplomatischer Beziehungen einschloss. Die Hallstein-Doktrin und der westdeutsche »Alleinvertretungsanspruch« brachten für Ghana erhebliche Belastungen mit sich, wie der Autor nachweist.
Der Autor zeichnet den allmählichen Aufschwung der Afrika-Wissenschaften in der DDR in Abhängigkeit beziehungsweise als Folge der sich generell entwickelnden Afrikaaktivitäten der DDR nach. Solidität und Breite traten allmählich an die Stelle von politischen und wissenschaftlichen »Lücken« und zum Teil auch einer gewissen politisch bedingten »Distanziertheit«. Auch gravierende politische Fehler Nkrumahs durch Unterdrückung bestimmter politischer Faktoren wurden Gegenstand fundierter Untersuchungen in der DDR im Allgemeinen. Sie werden in der vorliegenden Broschüre weiter vertieft. Massive Behinderungen ergaben sich aus Versuchen bestimmter ghanesischer Kräfte, von Nkrumah und seinen Unterstützern gewollte demokratische Faktoren auszuschalten und zu verhindern. Zahlreiche negative Entwicklungen erschwerten der DDR den beabsichtigten Ausbau ihrer politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kontakte. Schmerzhaft waren Rückschläge auf allen Gebieten in den Jahren nach dem Putsch. Interessante »strategische Versuche« der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS zur Verbesserung der Situation für die DDR erwiesen sich als wirkungslos und scheiterten. Aus MfS-Akten erläutert der Autor den Fall des MfS-Majors Rogalla.
Politiker und Wissenschaftler der DDR entwickelten zahlreiche Aktivitäten, die letztlich hinsichtlich der staatlichen Anerkennung der DDR nicht zum Tragen kamen. In der DDR wurden weiterhin Nkrumahs Absichten und Leistungen gefördert, was durch die »Wende« hinfällig wurde. Eine persönliche Würdigung der Politik Nkrumahs in den Jahren, als er an der Macht war, hielt in der Literatur erneut Einzug. Der Aufbau eines sozialistischen Ghanas blieb eine Illusion.
Der Verlag WeltTrends sollte prüfen, ob nicht eine kleine Serie in der Art der vorliegenden Schrift zu interessanten Resultaten führen könnte.
Ulrich van der Heyden: »Kwame Nkrumah – Diktator oder Panafrikanist?«, WeltTrends, 86 Seiten, 14,90 €
Walter Hundt war ordentlicher Prof. Dr. phil. habil. und stellvertretender Leiter der Abteilung Asien-Afrika-Lateinamerika des Instituts für Internationale Beziehungen (Diplomaten-Akademie der DDR). 1990 gründete er das Brandenburgische Entwicklungspolitische Institut und war dessen Geschäftsführender Direktor sowie langjähriger Herausgeber der Brandenburgischen Entwicklungspolitischen Hefte. Hundts Tätigkeit führte ihn in zahlreiche Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas.