Er ist für viele der Inbegriff für Widerstand und Standhaftigkeit – auch heute noch, 40 Jahre nach seinem Tod. Am Heiligabend 1979 starb Rudi Dutschke an den Spätfolgen des Attentats von 1968. Er war eine – wenn nicht sogar die – führende Persönlichkeit und das Sprachrohr der bundesdeutschen Studentenbewegung.
Rudolf Dutschke wird am 7. März 1940 als vierter Sohn eines Postbeamten in Schönfeld bei Luckenwalde (Brandenburg) geboren. 1958 legt er sein Abitur ab, da er jedoch den Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee verweigert, wird er vom Studium der Sportjournalistik ausgeschlossen. So beginnt er eine Lehre als Industriekaufmann im Luckenwalder VEB Beschläge. Wenige Tage vor dem Mauerbau geht er nach Westberlin, wo er sein Abitur wiederholt, um an der Freien Universität ein Soziologiestudium aufnehmen zu können. Auch in Westberlin kann Dutschke die herrschenden politischen Verhältnisse nicht akzeptieren. Er trifft sich mit politisch interessierten Studenten, man diskutiert, und schnell wird Dutschkes rhetorische Begabung sichtbar. Er wird zum Wortführer der Studentenbewegung und Mitbegründer der sogenannten Subversiven Aktion, die sich 1964 dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) anschließt. Außerdem ist er an der Bildung der Außerparlamentarischen Opposition (APO) beteiligt, die sich als Gegengewicht zur Großen Koalition von CDU/CSU und SPD unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger versteht. Damit hat Rudi Dutschke eine größere Plattform gefunden, und er prägt den Leitsatz: »Ohne Provokation werden wir überhaupt nicht wahrgenommen.«
Die Organisation von Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, gegen die Bildung der großen Regierungskoalition und gegen die geplanten Notstandsgesetze steht im Mittelpunkt seiner Aktivitäten. Rudi Dutschke will zurück zu den Wurzeln von Marx und Luxemburg, er studiert deren Schriften, doch er sieht, »dass deren Analyse für Westeuropa ins Leere geht«. Im gleichen Maße, wie seine Popularität wächst, nimmt auch die Anzahl seiner Kritiker zu, auch aus den eigenen Reihen. 1966 heiratet er die aus den USA stammende Studentin Gretchen Klotz.
Bei einer Demonstration am 2. Juni 1967 gegen den Besuch des Schah von Persien wird der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen. Das ist der Beginn der Radikalisierung der Studentenbewegung, denn die Rufe nach Aktionen, auch unter Anwendung von Gewalt, werden immer lauter. Selbst Rudi Dutschke verwendet jetzt den Begriff »Kampfmaßnahmen«, obwohl er sich von terroristischen Aktionen deutlich abgrenzt. Später bezeichnet er sie als die »Zerstörung der Vernunft«. Er hofft, mit Protestaktionen die Bevölkerung aufzurütteln und zu mobilisieren, doch diese hat sich längst im Wohlstandsmief eingerichtet. 1968 kommt es zu einem Machtkampf zwischen der Springer-Presse und den Berliner Studenten, die die Enteignung des Verlegers Axel Springer anstreben.
Am 11. April fallen drei Schüsse, die Deutschland bewegen. Der 23-jährige Josef Bachmann schießt Rudi Dutschke auf offener Straße nieder. Massivste Unruhen sind die Folge, vor allem gegen Springer und die Bild-Zeitung, die Tage zuvor noch mit der Schlagzeile »Stoppt Rudi Dutschke!« mobil gemacht hatte.
Dutschke überlebt mit schweren Gehirnverletzungen das Attentat. Sein Sprachzentrum ist beschädigt, und so ist dieser Redner fast drei Jahre zum Verstummen verurteilt. Dutschke reist nach mehreren Operationen zu einem Erholungsaufenthalt in die Schweiz. Freunde helfen der Familie, unter ihnen auch Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD). 1969 geht Dutschke nach London, wird aber mehrfach wegen angeblich subversiver Tätigkeiten ausgewiesen. In Dänemark erhält er schließlich eine Anstellung als Dozent an der Universität von Aarhus. In der Bundesrepublik wird er erst wieder ab 1976 aktiv und engagiert sich für die Grünen. Von den Verletzungen des Attentats erholt er sich nie ganz, und so findet ihn seine Frau am Heiligabend des Jahres 1979 nach einem epileptischen Anfall leblos in der Badewanne.
Rudi Dutschke kämpfte für eine sozialistische Revolution und gegen den Staatssozialismus osteuropäischer Prägung. Dabei gehörte er zu den wenigen Linken, die die deutsche Einheit forderten. Für die aufständische Jugend, die den gesellschaftlichen Aufbruch auf ihre Fahnen schrieb, war er Idol und Hoffnungsträger, für seine Gegner dagegen der Bürgerschreck und ein »vaterlandsloser Gesell«. Rudi Dutschke, der gehetzte Revolutionär und Politrebell, der Zweifler und Unbeirrbare, der Familienvater, der deutsche Ché im Land der Gartenzwerge und Geistesgrößen. Über seinem ganzen Leben stand als Motto: »Ich bin Revolutionär. Der Revolutionär muss die Revolution machen.«
Zitate aus dem Nachwort von Gretchen Dutschke-Klotz in: »Rudi Dutschke. Jeder hat sein Leben ganz zu leben. Die Tagebücher 1963–1979«, Kiepenheuer & Witsch, 432 Seiten, 24,99 €