Das kommt selten vor: Die Journalisten von Presse-Agenturen und Zeitungen gerieten über einen Kriminalfilm in Schwierigkeiten, den das Erste Programm für einen Sonntagabend – es war der 29. November 2009 – angekündigt hatte. Wie sag ich meinen Lesern, was sie da 90 Minuten lang in einem in Bayern gedrehten Film erwartete? Wie, ohne mich auf die Seite der strikten Gegner des Einsatzes der Bundeswehr im fernen Afghanistan zu stellen? Die nachlesbare Antwort lautete: indem ich mehr oder weniger wortreich schon um die Handlung des Films – »Klick gemacht« war sein nichtssagenden Titel – herumschreibe. Er gehöre, war im Fernsehtip der Berliner Zeitung zu lesen, dem »jungen, aber schnell an Boden gewinnenden Genre des deutschen Afghanistankriegsfilms« an. Die Ankündigung schloß mit dem Fazit, der partiell verwirrende Streifen hinterlasse »insgesamt einen fast unangenehmen klaren Eindruck«.
Mangels konkreter Information fiel es schwer, sich zu entscheiden, ob man sich fast unangenehm beeindrucken lassen wollte. Eine andere Annoncierung sprach von einer »im Militärmilieu um die deutschen Soldaten im Auslandseinsatz angesiedelten Entführungsgeschichte«. Eine dritte schlicht von einem Film, der »ins Militärmilieu führt«. Solcherlei Aviso könnte Leute, die sich den Abend des Adventstages nicht mit Bildern von Krieg und Sterben verderben wollten, zum konkurrierenden Melodrama »Laß es Liebe sein« abgedrängt und dazu beigetragen haben, daß der außergewöhnliche Film im Quotenkampf bei jeweils sechs Millionen Zuschauern doch knapp hinter die Rosamunde-Pilcher-Verfilmung geriet.
An anderer Stelle, in der Märkischen Oder-Zeitung, war der Ankündigung zu entnehmen, daß sich die Kriminalgeschichte um die Entführung eines Offiziers der Bundeswehr ranke und diese wiederum mit einem Vorgang in Zusammenhang stehe, der sich im fernen Afghanistan ereignet habe. Auf der Suche nach den denkbaren Tätern werde deutlich, daß der Vorfall lückenhaft aufgeklärt worden sei, aber ein Interesse an seiner Vertuschung existiert habe, und zwar »auf höherer Ebene«. Wer ein wenig rechnete, konnte auf den Gedanken verfallen, daß der Buchautor eine Begabung für Vorahnungen besitzen müsse. Tatsächlich hatten die Dreharbeiten am 21. Oktober 2008 begonnen, mithin lange vor dem Massaker in Kundus und den auf ihn folgenden Falschmeldungen. Glaubt man einer Meldung der Bild-Zeitung, so sollte der Film schon am 20. September ins Programm gelangen. Ein Schelm, wer die Verspätung in Beziehung zu zwei Terminen setzte, dem 4. September, Tag des Massakers bei Kundus, und dem 27. September, an dem die Bundesbürger an die Wahlurnen gegangen waren.
Um in knappen Worten zu sagen, was da zu sehen war: ein Kriminalist, der sich gleich bei seinem ersten Auftritt so deutlich als Antimilitarist zu erkennen gibt, daß auch in den Besprechungen, die sich seinem Gegenstand mit höchster Vorsicht annähern, von ihm geschrieben wird, es agiere »ein Pazifist«, »ein nicht obrigkeitshöriger Mensch mit pazifistischer Haltung«. Eine Frau, die den Nebel der patriotischen Trauerzeremonie für die »Gefallenen« mit ihrem Aufschrei zerreißt. Eine ratlose Witwe, die ihre Kinder jeden Tag dem Briefträger entgegeneilen sieht, von dem sie einen Brief ihres Vaters erwarten, dessen Tod ihnen verschwiegen wurde oder den sie nicht zu begreifen vermochten. Ein Oberleutnant, der mit seiner karrierelüsternen Geilheit nach Heldentum seine Ehefrau so anwidert, daß sie sich von ihm trennen will. Eine Kommandeursclique, für die es kein höheres Gut gibt als die »Reinheit« des Ehrenschildes, das sie vor sich hertragen, und deren Arm selbstredend auch bis in die Kriminalpolizei reicht und mit Hilfe der dort arbeitenden Aufstiegshungrigen verhindert, daß ans Tageslicht gebracht wird, was sie zum Staatsgeheimnis erklärt haben. Und eben und immer wieder der Kriminalist, der dem Offizier, mit dem ihn seine Arbeit zusammengeführt hat, rät: »Befehl? Denken sie doch selber!« Ein Wort, das nicht nur in Kasernen, sondern in der ganzen Gesellschaft gelten sollte.
Und so las sich das Lob, das dem Film am Tage davor oder danach gespendet wurde: ein »in mehrfacher Hinsicht einzigartiger Krimi«, ein Streifen, der sich »kritisch mit dem deutschen Militäreinsatz in Afghanistan« befaßt, der »die Bundeswehr, aber auch die Medienberichterstattung« über deren Einsatz »schlecht wegkommen läßt«, »alles andere als ein Routinekrimi«, er gehöre »dennoch zu den besseren Filmen des Genres«. Eine Besprechung, veröffentlicht in der Süddeutschen Zeitung, wurde deutlicher: Der im Film dargestellte »Fall vibriert unter der Last seiner ungewöhnlich politischen Brisanz. Stellt er doch höchst unangenehme Fragen nach dem Sinn und Unsinn des Einsatzes in Afghanistan.« Das ist, was gewöhnlich eine halbe Wahrheit genannt wird und in diesem Falle auch eine halbe Lüge ist. Denn er stellt nicht nur Fragen, die nach der Meinung des Rezensenten irgendjemandem, den er nicht nennt, unangenehm sind. Vielmehr ergreift er Partei und das unmißverständlich: die der Gegner dieses Krieges. Da erst, so die Süddeutsche, erweist er sich »anders als die Medien, anders als die Politik«, eine Differenzierung, die einen Hauch von Selbstkritik verströmt. Vermutlich folgenlos.
Und dann sind da Rezensenten, die taz voran, die dem Film künstlerische Mängel testieren: In ihm verwandle sich »der Politdiskurs auf denkbar lärmige Weise in ein Antikriegsstatement«. Dies mit der herablassenden Anfügung, es erscheine ehrenwert, »daß sich der BR einen Fernsehfilm leistet, der die Forderung ›Raus aus Afghanistan!‹ wie eine ›Pace‹-Fahne vor sich herträgt« und »trotzdem« sehenswert sei. Gegen derlei Nörgelei könnten die Filmemacher einen ihnen in Sachen Krieg und Frieden Geistesverwandten zitieren, der von sich schrieb: »... ich will lieber den Vorwurf auf mir sitzen lassen, künstlerisch nicht befriedigt oder aus Empörung über das Ziel hinausgeschossen zu haben, als ein Indolenter zu sein.« So reagierte Kurt Tucholsky.
Der Film handle von »unglaublichen Mißständen in der Bundeswehr«, vermerkt die Berliner Morgenpost am Tage nach seiner Ausstrahlung und knüpft daran die Feststellung, er lasse ahnen, »welche gesellschaftskritischen und ambitionierten Stoffe aus dieser Ecke noch gekommen wären«, wenn, ja wenn der Hauptdarsteller Jörg Hube nicht nach den Dreharbeiten früh verstorben wäre. Wie anders läßt sich diese Bemerkung lesen denn als Eingeständnis geringer Hoffnung, daß wir hier einen Auftakt gesehen haben?
Aber warum nur einen Auftakt? Warum eigentlich nicht mehr?
Darum: Es hat sich niemand dazu entschlossen, diesen Film klar als das anzukündigen, was er ist: ein deutscher Antikriegsfilm. Niemand hat denen, die ihn herstellten, voran Christian Jentsch, der das Buch schrieb, und Stephan Wagner, der Regie führte, samt dem Ensemble der Schauspieler zugerufen: »Bravo!«, »Gratulation!« Nirgendwo ein erleichtertes »Endlich«, kein ermutigendes »Weiter so«. Kein Klarzeichen der Solidarität. Das erinnert mich an das Urteil Victor Klemperers über die Journalisten, deren Texte er im Nazi-Reich las und analysierte. Nicht, daß die heutige Generationen der Redakteure und Journalisten von jenem politischen Typus wären. Aber sie haben mit ihm etwas gemeinsam. Das ist der Zustand ihrer Wirbelsäule, vulgo ihres Rückgrates.
Ein Hauptmann, hier eine »Hauptfrau«, personifiziert von Stefanie Stappenbeck, quittiert am Ende ihren Dienst in der Bundeswehr, weil sie die Verlogenheit anwidert, der sie dort begegnet ist. Stattdessen möchte sie an der Seite eines Kriminalkommissars arbeiten, den sie als einen über seinen »Fall« hinaus Wahrheitsuchenden, den Gebrechen der Gesellschaft Nachspürenden kennen gelernt hat, einen Menschen, der Hoffnung gibt, daß das im Film zitierte Wort Christian Morgensterns »Die zur Wahrheit wandern, wandern allein« doch absolute Gültigkeit nicht besitzt.