Es genügt den Mediengewaltigen nicht, linke Blätter abzuwickeln, wie Thomas Rothschild in Ossietzky 24/09 anhand des Freitag feststellte. Jetzt kommen auch brave Regionalzeitungen an die Reihe, sofern sie sacht wider den Stachel löcken, und sei es durch einen charismatischen Chefredakteur. Der Fall Thüringer Allgemeine belegt das.
Dazu etwas Presse-Geschichte: Vor ziemlich genau zwanzig Jahren gab sich das einstige SED-Bezirksorgan Das Volk in Erfurt ein demokratisches Redaktionsstatut, einen neuen Namen und wählte geheim den Chefredakteur. Sergej Lochthofen, bislang Außenpolitik-Mann daselbst, bekam den Posten und behielt ihn durch die Zeiten. Die Essener WAZ-Gruppe, benannt nach der im Ruhrgebiet führenden Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, dem nach Auflage zweitgrößten Tageblatt der Republik, übernahm drei der vier Thüringer Regionalzeitungen, Lochthofen blieb – und wurde eines der wenigen Mediengesichter des Ostens. Fünfzig mal schaute er beim sonntäglichen ARD-Presseclub aus dem Fernseher. Seine Thüringer Allgemeine ragte unter den mitteldeutschen Zeitungen, zumal denen der Zeitungsgruppe Thüringen, wie die WAZ ihr Regionalkartell nennt, heraus. Kompetent vor Ort, spielte sie auch in der Bundesliga mit, wurde häufig zitiert. Mit heute noch geschätzten 190.000 Auflage sackte die TA als größte Thüringer Tageszeitung weniger ab als andere Blätter. Lochthofen, mit immer neuen Ideen und einem ungewöhnlichen Lebenslauf, mochte daran Anteil haben. 1953 in Sibirien als Sohn eines deutschen Kommunisten und Workuta-Lagerinsassen geboren, nie SED-Mitglied, spricht und schreibt exzellent hochdeutsch, weiß aber auch noch, daß dreiviertel drei eine Uhrzeit-Angabe ist.
Da kam von den WAZ-Gewaltigen um Bodo Hombach, die in Thüringen einen Statthalter namens Schrotthofer sitzen haben – für seinen Namen kann er nichts –, Ende November das plötzliche Aus für Lochthofen. Er solle künftig eine »seinen Fähigkeiten entsprechende Aufgabe« im WAZ-Konzern übernehmen, also nach Sibirien, sagen wir zur Kitzinger, versetzt werden, wo »innovative Strukturen« herrschen. Auf Nachfragen bequemten die WAZ-Kolonialbeamten sich nämlich, dann doch mitzuteilen, daß Lochthofen nicht bereit gewesen sei, »innovative Strukturen« mitzutragen, sprich: das Blatt miefig und piefig wie in Herdecke oder Ronneburg zu machen, es endgültig zum affirmativen WAZelchen zu gestalten, intelligente Köpfe zu entsorgen und die Spalten von billig-willigem Personal füllen zu lassen. Die Journalisten Marke Einfach sollten für ein »Newsdesk« schreiben, von wo aus die auf Wirtschaftsfreundlichkeit geprüften Texte im Lande verstreut werden. Daß Lochthofen den gleichzeitigen Rausschmiß seiner Frau »Sippenhaft« nannte, ließ die WAZisten endgültig die Contenance verlieren.
Lochthofens Nachfolger sollte ab 1. Januar agieren, er war schon in der Person des Paul-Josef Raue gefunden, bislang Chef des eher unauffälligen WAZ-Blattes Braunschweiger Zeitung. Als Zeichen von Ost-Kompetenz wurde angeführt, daß er die Spielergebnisse des FC Rot-Weiß Erfurt verfolge. Auch war er schon mal Chefredakteur der Magdeburger Volksstimme, des trübsten Blattes im Osten Deutschlands.
Weil sich nun aber Unruhe regte – Leser protestierten, kündigten sogar Abos – sollte Raue sein Amt unverzüglich antreten. Mittlerweile nämlich versammelten sich Redakteure zu Protesten. Womöglich hätten diese dann ihren Unmut über die WAZ-Intrigen druckreif mitgeteilt, hätten gar gestreikt, friedliche reinweiße Zeitungsseiten geliefert, wie schon einmal geschehen, als ein Regierungsgewaltiger ein Interview bis zur Unkenntlichkeit zensiert hatte. Solches aber gilt es im Keim zu ersticken, wie mit der Protestresolution der Journalisten dieser Tage bereits geschehen: Sie wurde nur verstümmelt abgedruckt, von der WAZ-Geschäftsführung höchstpersönlich zensiert. Nicht daß etwa Zeitungen von Intelligenz statt vom Geld bestimmt werden.
Die Lehrer des reinen Marktes glauben, man könne solche Strukturveränderungen allein auf Profitwünsche der Zeitungsbesitzer zurückführen. Dann müßten denen Abo-Kündigungen als höchstes Alarmzeichen gelten. Doch wichtiger ist es, die Medien langfristig als willige Apportierhündchen abzurichten und die Leser endgültig zum Allgemeinen Blattdeutschen WAZ-Volk nach Art der Hombachs und Schrotthofers zu modeln. Regionale Konkurrenzverlage, zu denen man wechseln könnte, gibt es ohnehin nicht mehr. Kein Zeitungsmarkt in Erfurt und anderswo, wo der WAZ-Konzern hingetreten ist.