erstellt mit easyCMS
Titel2510

Hohes Risiko – hohe Rendite  (Dietrich Antelmann)

Die schwarz-gelbe Bundesregierung – die Farben schwarz und gelb signalisieren Radioaktivität – hat mit ihrer Abgeordnetenmehrheit im Bundestag und am 26. November auch im Bundesrat ein Gesetz durchgepeitscht, das die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängert. Da die Investitionskosten längst durch Einnahmen aus dem Energieverkauf beglichen sind, klettern jetzt die Gewinne in Milliardenhöhen. Die in etlichen Gutachten festgestellten Sicherheitsmängel, die sich mit jedem weiteren Betriebsjahr vergrößern, zählen ebenso wenig wie die vermehrt auftretenden Krebsfälle in der Umgebung von Atomkraftwerken und Atommülldeponien. Was zählt, ist der maximale Profit.

80 Träger des alternativen Nobelpreises »The Right Livelihood Award« beendeten ihre diesjährige Konferenz mit dem Appell, die Atomkraftwerke abzuschalten und den Weg für erneuerbare Energien freizumachen. 100.000 Menschen demonstrierten im Herbst in Berlin gegen die weitere Produktion von Atomstrom und umzingelten das Regierungsviertel. Doch trotz aller Warnungen brach Schwarz-Gelb den im Jahr 2002 mit den Energiekonzernen ausgehandelten Konsens über den Ausstieg aus der Kernenergie.

100.000 Demonstrationsteilnehmer waren ein großer Erfolg der Demokratie- und Umweltbewegung. Aber es müssen noch mehr werden. Dazu können Informationen über die verheerenden Auswirkungen der schon im nuklearen Normalbetrieb freigesetzten geringen Strahlenmengen beitragen (s. »Niedrigstrahlung« in Ossietzky 24/10). Sogenannte Grenzwerte, allesamt willkürlich festgesetzt, haben hauptsächlich den Zweck, die Bevölkerung in falsche Sicherheit zu wiegen. Über solche Verschleierungspropaganda muß aufgeklärt werden.

Strahlen sind mit unseren Sinnesorganen nicht wahrnehmbar. Sie sollen auch nicht mit unserem Verstand wahrgenommen werden. Bezeichnenderweise wurde das »Berliner Hahn-Meitner-Institut für Kernforschung« nach Tschernobyl in »Hahn-Meitner-Institut« umbenannt. Nach Bekanntwerden der Kinderkrebsstudie soll auch der Name Hahn-Meitner nicht mehr an die Kernspaltung erinnern. Heute heißt das HMI etwas umständlich »Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie«. Wichtige Stellen in öffentlichen Institutionen, die sich mit der Strahlenproblematik beschäftigen, werden mit Atomlobbyisten besetzt wie jüngst die Stelle des Leiters der Abteilung für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium mit Gerald Hennenhöfer, der früher für den Stromkonzern Viag (jetzt e-on) tätig war. Im Umweltministerium setzt er sich für eine Atommülldeponie im völlig ungeeigneten Salzstock von Gorleben ein und auch für die Verlängerung der Reaktor-Laufzeit.

Gelingt es der Atomindustrie und ihren Vertrauensleuten im Staat nicht, wichtige Stellen mit Atom-Lobbyisten zu besetzen, dann kann es gelegentlich vorkommen, daß Institutionen wie die Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg oder das Bundesgesundheitsamt in Berlin kurzerhand aufgelöst werden.

Solche öffentlichen Forschungsstätten sollten Risiken aufspüren, bewerten und eindämmen. In diesem Sinne arbeitete die Bremer Professorin Inge Schmitz-Feuerhake – bis ihr bereits bewilligte Gelder und Geräte gestrichen wurden. An die Stelle der Risikoforschung trat die Akzeptanzforschung. So entwickelte der Psychologe Peter Wiedemann in der Programmgruppe »Mensch-Umwelt-Technik« des Forschungszentrums Jülich für die »Öffentlichkeitsarbeit bei Krisen« einen »Leitfaden zur besseren Kommunikation«; zuvor hatte schon der Münchner Psychiatrieprofessor Hippius im Auftrag des Bundesamtes für Zivilschutz die Eignung von Psychopharmaka für die Angstbewältigung im Katastrophenfall untersucht.

Die Frage ist: Lassen wir zu, daß durch den Weiterbetrieb nuklearer Anlagen schleichend, durch Unfälle forciert oder mit einem Schlag durch einen Atomkrieg unsere Lebensgrundlage, die auch die Lebensgrundlage künftiger Generationen ist, zerstört wird, oder gelingt es uns, sie durch breiter werdenden Widerstand zu bewahren?