Auf einer Konferenz in Bitterfeld zogen im Oktober Bundesumweltminister Norbert Röttgen, der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer und der Umweltminister des Landes Sachsen-Anhalt, Hermann Onko Aeikens, anläßlich von »20 Jahren Umweltunion« ein positives Fazit: »Die deutsche Wiedervereinigung ist eine Erfolgsgeschichte von Menschen, die den Mut zur Veränderung hatten und bereit waren, Verantwortung zu übernehmen, ob in der Politik, in einer völlig veränderten Arbeitswelt, ob im gesellschaftlichen Engagement oder im ganz persönlichen Umfeld. Die ökologische Sanierung in Ostdeutschland zeigt, daß Umweltsanierung nicht nur Geld kostet, sondern Werte schafft. Die neuen Länder sind heute Referenzregionen für moderne Umwelt- und Energietechnologien, die international Maßstäbe setzen.«
Eine Hommage, die den Engagierten wie Öl heruntergehen müßte. Doch die haben gerade andere Sorgen.
Angesichts der zweifellos sichtbaren Umwelterfolge in den neuen Bundesländern findet sich die große Bedeutung von Umweltbildung, Umweltinformation, Umweltschutz et cetera in vielen Reden, Grußworten, Parteiprogrammen ... Die Realität des Umgangs zum Beispiel mit den Strukturen des Umweltschutzes ist jedoch eine andere. Ein Beispiel: Seit Jahren gibt es offenbar nichts, was für den »Standort Leipzig« so entbehrlich wäre wie Engagement für den Umweltschutz. Das betrifft sowohl die eigene Verwaltung als auch das Leipziger Naturkundemuseum und die Umweltvereine. Mit dem Haushalt 2011 drohen weitere Kürzungen in der Vereinsförderung und die Schließung des Museums.
»Jenseits aller Einzelmaßnahmen und Erfolge, die sich aufführen lassen, müssen wir einen generellen Trend der Zurückstellung des Umweltschutzes konstatieren, der uns schon länger schwer belastet und nunmehr unerträglich zu werden droht: Anspruch und Realität klaffen in unserer Stadt immer weiter auseinander«, formulieren Bürger der Stadt nun in einem offenen Brief und beschreiben die aktuelle Situation: Umweltberatung und Umweltinformation – auf beklagenswertem Niveau; Finanz- und Personalausstattung – unzureichend; Veröffentlichungen zu Umweltthemen – marginal in der Zahl, minimal in der Auflage, von begrenzter Qualität; das Umweltinformationszentrum der Stadt – seit Wochen geschlossen, weil es ebenso wie die Umweltvereine personell von den Bewilligungen des Arbeitsamtes abhängig ist; Pflichtaufgaben der Kommune im Umweltbereich (zum Beispiel die Lärmaktionsplanung) – oft nur auf Druck und dann auf das Notwendigste gestutzt und mit jahrelangem Vollzugsdefizit.
Für den gesamten Umwelt- und Naturschutz in Leipzig gilt: Er ist aus der Aufmerksamkeit und der nötigen Finanzierung. Herausgefallen. Von der geplanten »temporären« Schließung des Naturkundemuseums erfuhr dessen Direktor aus der Zeitung. Besonders pikant für eine Stadt, die sich noch im Mai 2010 rühmte, zu den 30 deutschen Städten zu zählen, die die Deklaration »Biologische Vielfalt in Kommunen« bundesweit unterzeichnet haben. Gleichfalls existentiell bedroht sind die Leipziger Umweltvereine, die in den letzten Jahren zwar zunehmend Aufgaben und Themen, die vorher in kommunaler Verantwortung lagen, übertragen bekommen haben (und dies auch durchaus begrüßten), aber in ihren Finanzen parallel kontinuierlich beschnitten wurden. Betrug die Förderung für Vereine und Verbände aus dem Etat des Amtes für Umweltschutz im Jahr 2002 noch 159.300 Euro, ist diese bis zum Jahr 2010 auf 88.600 Euro gesenkt worden, das heißt um 45 Prozent. Für das kommende Jahr ist eine weitere Absenkung auf 75.000 Euro im Leipziger Haushaltsplan vorgesehen – bei steigenden Kosten.
Ein Beispiel besonderer Ironie für die Umweltvereine: 1997 wurde die Umweltbibliothek Leipzig von der Förderung des Kulturamtes in die des Umweltamtes verschoben. Begründung: Dem Kulturamt stünden nicht ausreichend Fördermittel zur Verfügung. Die Kulturförderung ist seither verdoppelt, die Umweltförderung halbiert worden. Die Umweltbibliothek hat ein Drittel ihrer Förderung verloren und wurde trotzdem zum größten Einzelposten im Förderetat des Umweltamtes.
Angesichts solcher Verhältnisse fordern nun die Unterzeichner des offenen Briefes: Die Realität muß dem Anspruch folgen! Umweltschutz ist Lebensqualität und muß hinreichend finanziert werden, damit er lebensfähig bleibt! Die Forderung ließe sich auf viele andere Kommunen sowie auf die Länder- und Bundesebene übertragen. Auch dort fristen die Ausgaben für den Natur- und Umweltschutz nach immer drastischeren Kürzungen nur noch ein Nischendasein.