Torfmoos wächst langsam, immer nur die Spitzen. Der Rest stirbt ab. Da die Pflanze im sauerstoffarmen Moorwasser steht, kann sie nicht verwesen. Sie vertorft. Aus den abgestorbenen Teilen des Mooses wächst das Moor. Einen Millimeter pro Jahr. Die Hochmoore Nordwestdeutschlands hatten einmal eine Mächtigkeit zwischen sieben und zehn Metern. Rechnen Sie selbst aus, wie lange diese Landschaft brauchte, um zu dem zu werden, was sie einmal war. Von ehedem 250.000 Hektar niedersächsischem Hochmoor existierten 2008 nur noch zirka 25.000 Hektar in naturnahem Zustand. Auch dieser Bestand schrumpft trotz des niedersächsischen Moorschutzprogramms dramatisch. War Torf in vergangenen Zeiten in den norddeutschen Niederungsgebieten unentbehrlicher Brennstoff, so wird er heute fast ausschließlich für den Blumentopf, sprich den Substrat- und Pflanzerde-Bedarf abgebaggert. Die Zeiten, in denen mit Sticker (einem Stechspaten) und Tweekrieger (einem Spaten mit langem schmalen Blatt, der twee, also zwei Stück Torfsoden gleichzeitig hebt) Torf gestochen wurde, sind lange vorbei. Den Torfmooren wird mit schwerer Technik in einer Art flachem Tagebau der Garaus bereitet. Was übrig bleibt, ist eine geschundene Landschaft, deren Wunden zwar bald mit Wasser vollaufen, auch einen Grünbewuchs entwickeln, aber im wahrsten Sinne des Wortes jahrhundertweit von einem natürlichen Zustande entfernt sind. Das nennt man dann vollmundig »Renaturierung«. Ob sich die Moore je wieder regenerieren werden, ist offen.
Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts schien für die Torfindustrie des niedersächsischen Emslandes das Sterbeglöcklein zu läuten. Die großen Vorkommen waren erschöpft. »Wirtschaftsfeindliche Schikanen« der Bundesregierung kamen hinzu: Auf 500 Hektar potentieller Renaturierungsfläche, so drückt es jedenfalls die Torfindustrie aus (»… wir haben die Restflächen gekauft, um sie ebenfalls nach Torfabbau der Renaturierung zuzuführen«), errichtete der Bund die Marinefunksendestelle Saterland-Ramsloh. Die ist für die U-Boot-Flottille zuständig und somit selbst für die Moorbarone tabu. Am Rand des Wilden Moores bei Papenburg baute Mercedes Benz eine Prüfstrecke. Dafür mußte der Konzern Ausgleichsflächen bieten, die wiederum dem Torfabbau verloren gingen. Unter dem Einfluß der Ökologiebewegung wurde die Naturschutzgesetzgebung strenger.
Die Kommunen Ostfrieslands setzten inzwischen – der Zusammenbruch der Werften und der Niedergang der Fischerei beförderten diesen Gesinnungswandel – auf sanften Tourismus. Mit Erfolg, die Gegend wurde zum Geheimtip für Menschen, die mediterrane Bettenburgen meiden. Entsprechend schien im Bewußtsein der Kommunalpolitiker der Wert des Naturschutzes zu steigen. So plante der Landkreis Leer, ein rund 2.000 Hektar großes Gebiet zwischen Papenburg und Leer in ein Landschaftsschutzgebiet umzuwandeln. Das ist die Gegend, die mit ihren schnurgeraden, windmühlenverzierten Kanälen zwischen grünen Wiesen und den berühmten schwarzbunten Rindern die Fremde so sehr an Holland erinnert. Fast holländisch auch die kleinen Siedlungen, die so genannten Fehnkolonien. Fehn heißt hochdeutsch Moor. Nur ist von den ehemaligen Moorflächen eben aufgrund der »Fehnkultur« nicht mehr viel zu sehen.
Kanäle sorgten für die Entwässerung dieser Gebiete. Die Hochmoore sackten in sich zusammen. Die oberen Torfschichten wurden abgetragen und in den umliegenden Städten verkauft und verheizt. Auf die entblößten Flächen brachten die Fehnkolonisten Schlick aus den Marschen, Mist und später auch Kunstdünger auf. Fruchtbarstes Ackerland entstand so durch die Knochenarbeit von Generationen. Unter und neben den Ackerflächen liegen aber oftmals noch einige Meter potentieller Rhododendronerde. Um die geht es nun.
Bestandteil des von den Leeranern geplanten Landschaftsschutzgebietes sollte auch das Klostermoor in Rhauderfehn werden. In vergangenen Jahrhunderten wollten die Johanniter es erschließen, daher der Name; sie scheiterten aber aus vielen Gründen. Eine nachhaltige Besiedlung und landwirtschaftliche Nutzung kam erst nach 1951 zustande. Die Klostermoorer Bauern liefen nun Sturm dagegen, daß das Areal unter Schutz gestellt wird. Sie befürchteten »massive Einschränkungen bei der Bewirtschaftung ihrer Flächen«, so die Ostfriesen-Zeitung am 11. Oktober 2010. Nach zweieinhalb Jahre andauernden Auseinandersetzungen kippte der Kreistag Leer die Planungen für das Landschaftsschutzgebiet. Was war vorgefallen?
Niedersachsen hat ein Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung. Das ist zuständig für das Landes-Raumordnungsprogramm (LROP) und die darin enthaltenen verbindlichen Aussagen zu »raumbedeutsamen Nutzungen«. Seit dem 1. September 2010 läuft ein Beteiligungsverfahren zu einer Änderung des LROP, wodurch unter anderem das Klostermoor als »Vorranggebiet für Rohstoffgewinnung« ausgewiesen werden soll. Als »Rohstoff« gibt es in Rhauderfehn nur Torf. Und Torf hat hier einen Namen: Heinrich Strenge. Das Erd- und Kompostwerk Heinrich Strenge GmbH & Co. ist einer der wenigen größeren Betriebe in der Gegend. Strenge hat rund um Rhauderfehn keine eigenen Abbaugebiete. Ihm gehören allerdings 1.600 Hektar Torfgebiete in Lettland. Das ist ein Stück weg vom Emsland. Die Strenge GmbH bezieht jedoch Torf auch von der nur drei Kilometer entfernten Moorkultur Werner Koch GmbH & Co. Ramsloh. Das ist die, die so schwer unter Mercedes Benz und den Funkmasten zu leiden hatte. Anzumerken ist, daß sie ebenso wie ihre Vorgängerin, die Oldenburgische Moorgutgesellschaft, auch anderweitig unter staatlichem Zwang litt. So mußten wohl zeitweilig Häftlinge beschäftigt werden. Esterwegen ist in der Nähe. Einer der Häftlinge dort hieß Carl von Ossietzky. Aber das ist, wenn schon nicht vergeben, so doch fast vergessen. Man denkt ja nach vorn. Aktuell vermeldet der Betrieb »eine Lebenserwartung bis ca. 2035«. Er verfügt über Torfabbaugenehmigungen für rund 1.000 Hektar, die Klostermoorer Areale sind da (noch?) nicht dabei. Die Ramsloher Firma ist ebenso wie die Heinrich Strenge GmbH Gesellschafterin der Floragard Vertriebs GmbH in Oldenburg, eines jedem Hobbygärtner vertrauten, europaweit wie in Nordafrika und Fernost agierenden Vorgartenverschönerungsunternehmens. Im Aufsichtsrat sitzt auch der uns schon bekannte Heinrich Strenge aus Rhauderfehn.
Jetzt verlohnt ein Blick auf das oldenburgische politische Personal. Der Bundestagswahlkreis Delmenhorst-Wesermarsch-Oldenburg ist in CDU-Hand. Im September 2009 zog für ihn die als Putenzuchtunternehmerin bekannt gewordene Astrid Grotelüschen in das Hohe Haus in Berlin ein. Dort hielt es sie nicht lange. Am 27. April 2010 wurde sie niedersächsische Landwirtschaftsministerin und damit zuständig für das rohstoffsichernde
Raumordnungsprogramm. Und ganz nebenbei konnte die Oldenburger CDU noch einem ungeliebten ostfriesischen Landrat eins auswischen – zur Zufriedenheit der Agrarindustriellen. Bernhard Bramlage, lange ein Verfechter der Landschaftsschutzidee für das Kloster-Moor, hat ein SPD-Parteibuch. Allerdings stünden auch »etliche sozialdemokratische Kreistagsabgeordnete bei den Landwirten im Wort«, erklärte ein Vertreter dieser Fraktion. Auf Hilfe der Grünen konnte Bramlage gleichfalls nicht rechnen: Die äußerten »volles Verständnis für die Belange der Bauern im Streit um die Sicherstellung von Flächen im ›Klostermoor‹« und erwarteten von Landrat Bramlage (SPD), daß »der … Streit beendet wird, damit die … betroffenen Landwirte wieder eine Planungs- und Existenzsicherheit erlangen«. Die bekommen sie nun in ihrer Mehrzahl dank der Pläne der Ministerin Grotelüschen. »Es dürfte … nur eine Frage des Preises sein, daß die Flächen für die Torfindustrie nutzbar werden«, schrieb die Ostfriesen-Zeitung. Anfang November räumte der Kreistag Leer die letzte Hürde aus dem Weg. Der zuständige Ausschuß beschloß die »zustimmende Kenntnisnahme« zu Grotelüschens Moorbeseitigungsprogramm.
Die Tage des Klostermoores sind gezählt. »Ein weltweit nachgefragter, knapper und damit teurer Rohstoff wird mit Floragard Know-how veredelt und mit starker Service- und Dienstleistungsbereitschaft angeboten.« So die Eigenwerbung der Firma. Geld stinkt nicht. Und nach uns die Sintflut. Vor der hat man allerdings Angst. An der Ems werden wieder mal die Deiche erhöht.