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Titel2511

Amerikanische Hochzeit  (Walter Kaufmann)

Nein, nicht hier, nicht heute – Jack Kelly erstarrte, ihm stockte das Blut in den Adern, als der Militärjeep vor dem Tor zum Vorplatz der All-Saints-Kirche anhielt. Sie suchten ihn, wen sonst! Wenn er sich losriß und davonmachte, seitlich der Stufen hinuntersprang und quer über den Platz, könnte er es schaffen. Sie würden nicht schießen, das nicht bei all den Leuten dort unten, Kinder auch, und zwischen den Kindern Pfarrer Moran. Scharfschützen müßten sie sein, wollten sie ihn treffen, wenn er erst über dem Zaun und zwischen den Bäumen war. Ehe sie den Jeep gewendet hatten, wäre er schon durch den Park und das Flüßchen im Park – und weg! Das alles durchfuhr ihn im Bruchteil von Sekunden. Doch er rührte sich nicht. Marys Hand auf seinem Arm, ihre Nähe, hielten ihn zurück. Er sah sie an, wie sie voller Hingabe zu ihm hochblickte, den Jeep bemerkte sie gar nicht, auch nicht, daß der Fotograf ihr andeutete, den Schleier ein wenig zur Seite zu schieben und das Gebetbuch und den Rosenkranz höher zu halten. Er hörte, wie sie ihm zuraunte, für die Fotos ein bißchen zu lächeln, und er nickte und rang sich ein Lächeln ab. Er spürte die Sonne im Gesicht und zugleich eine Kälte unter der Haut wie in dem Augenblick, als er über sich das Knarren der Dielen hörte und es Sekunden später im Dunkel aufblitzte und Schüsse Putz aus der Mauer schlugen. Das war in Kabul gewesen, bei dieser Razzia auf das Haus. »Deckung, Jack!« glaubte er zu hören, als der Fotograf ihm etwas zurief. Er zuckte zusammen, beherrschte sich und stand dann aufrecht, tief atmend, daß sein Hemd sich über der Brust spannte, und fügte sich dem Fotografen. Auf der Straße vor dem Tor versperrte der Militärpolizist den Weg zum wartenden Taxi.

»Jack Kelly, Private First Class, Second Marine Division Fort Knox – hab ich das richtig?« Jack Kelly preßte die Lippen zusammen, die trocken waren, die Backenknochen zeichneten sich unter der Haut ab. Wieder bäumte sich alles in ihm auf – ein Hieb nur mit der gestreckten Hand zur Schlagader und der Mann würde in der Gosse liege, ehe noch die anderen beiden aus dem Jeep gesprungen waren. Jack Kelly ließ den Arm sinken. »Ihr Glück, daß Sie’s bleiben ließen – käme nur schlimmer für Sie«, sagte der Militärpolizist. – »Ist ein dreckiger Krieg und nicht mehr mein Krieg«, entgegnete Jack Kelly. – »Muß ich mir nicht anhören. Ich bin hier, um Sie zurückzuholen.« – »Nicht an meinem Hochzeitstag«, sagte Jack Kelly, »an meinem Hochzeitstag nicht.«

Er fühlte den Schweiß im Nacken und den Wind kühl auf der Haut. »Ist hart«, sagte der Militärpolizist. »Aber zu machen gibt’s da gar nichts.«

Die zwei anderen waren jetzt aus dem Jeep gestiegen und überquerten den Bürgersteig. Jack sah den einen die Handschellen vom Gürtel haken, stählerne, in der Sonne glitzernde Ringe. Er hörte Mary aufschreien, doch es klang sehr fern.

»Okay«, sagte der mit den Handschellen, »machen wir’s kurz.« Er schnappte den einen Ring über Jack Kellys Handgelenk zu, dann den anderen über seinem eigenen und führte ihn ab. Ohne sich umzudrehen stieg Jack Kelly vor den drei Polizisten in den Jeep. Er saß noch nicht richtig, als der Fahrer anfuhr, verlor das Gleichgewicht und sackte zurück. Erst als das Fahrzeug gewendet hatte, gelang ihm ein Blick zum Kirchentor, wo Mary weiß und reglos in ihrem Brautkleid stand.