Deutschland schiebt ab. Nämlich Schuld auf den jeweiligen Nachbarn. Da wir eine hübsch kleingliedrige Länder-Landschaft haben, gelingt das wunderbar. In Thüringen spricht man derzeit von »der Zwickauer Nazizelle«, während man in Sachsen von der »Thüringer« oder »Jenaer« Zelle schreibt. Den lesenden Bürgern fällt solches nicht auf, denn Zwickau – das liegt doch in Thüringen, oder?
In Brandenburg wiederum wird anläßlich der Festnahme eines Nazis von einem »Sachsen« gesprochen. Der wurde auf dem Hof seines Zwillingsbruders geschnappt. Ist das nun ein sächsischer Erbhof in Brandenburg? Und ist jener Zwillingsbruder, der allerlei NPD-Funktionen in Potsdam hat, ein eingeschleuster Sachse, der die Theorie, daß alles Übel von außerhalb der Landesgrenzen kommt, bestätigt?
Wenn über Christian Worch im Ruhrgebiet berichtet wird, ist das ein Nazikader, der »im mecklenburgischen Dorf Parchim« wohnt. Parchim ist zwar eine Stadt, liegt aber wirklich in Mecklenburg. Und Worch ist gebürtiger Hamburger, wo er ab den 1970ern sich zum NPD-Kader entwickelte. Der Mecklenburger Obernazi mit Landtagsabgeordneten-Status, Udo Pastörs, wohnt in Lübtheen. Dahin zog der gebürtige Westfale nach strammem Bundeswehrdienst in den neunziger Jahren. Die Mecklenburger dürfen also sagen: Das ist doch keiner von uns! Und die Westfalen beharren: Ein Mecklenburger Nazi!
Sachsen hat erwiesenermaßen die größte Nazidichte Deutschlands. Doch wo kommen die von der Demokratie alimentierten Führungsfiguren im Landtag her? Holger Apfel – Hildesheim. Alexander Delle – Mutlangen. Jürgen Gansel – Opladen. Arne Schimmer – München. Andreas Storr – Berlin (West). Immerhin stammt die Vorzeigefrau der Nazi-Sachsen, Gitta Schüßler, aus Chemnitz.
Thüringen, im heißen Kampf um den zweiten Nazi-Platz mit Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg begriffen, hatte mit den Verfassungsschutzspitzeln Tino Brandt und Thomas Dienel echte Eigengewächse. Und Dienels Vorwende-FDJ- und NVA-Karriere bedient exakt die Vorstellung: Die Nazis – alle ausm Osten und deren Unrechtsregime-Organen. Allerdings hat auch Thüringen seinen NPD-Spitzen-Kader importiert: Frank Schwerdt (Berlin-West), statt FDJ- eine stramme CDU-Ortsverbandskarriere. Auch jener Karl-Heinz Hofmann, der die nach ihm benannte Wehrsportgruppe in den Siebzigern bis zum Verbot führte, lebte in den Neunzigern in Kahla und betrieb ein merkwürdiges Immobiliengeschäft. Kahla wiederum liegt zehn Eisenbahnminuten von Jena entfernt.
Man könnte folglich meinen, daß es Nazis aus allen Teilen der Bundesrepublik nach Thüringen und Sachsen zieht. Gewiß, aber auch die Verfassungsschützer kommen von außerhalb. Ebenjene, mit deren Geld die Terrorzellen gefüttert wurden. Der ehemals oberste Thüringer Schlapphut, Helmut Roewer, ist Ex-Offizier der Bundeswehr und hat in Konstanz am Bodensee promoviert. Sein Nachfolger, Thomas Sippel, ist Hesse und kam auf seinen Thüringer Posten direkt aus Rom. Jene Bautzner Oberverwaltungsrichter hingegen, die alle Jahre wieder Nazi-Aufmärsche in Leipzig und Dresden genehmigen – trotz Einsprüchen der geplagten Städte und deren Oberhäupter – wo mögen sie wohl herkommen? Weder aus dem Erzgebirge noch aus dem Thüringer Wald und auch nicht aus Jena oder Zwickau. Also darf der brave Ostzonenbewohner sich zurücklehnen: Ich sag’s doch, die Nazis sind alle ausm Westen. Und die ihnen alles erlauben, auch. Sind über uns hergefallen, haben uns besetzt und okkupiert.
Im Westen heißt es ohnehin seit langem: Mit den Nazis und deren Terror haben wir nix zu tun. Ostzonengewächse mit Zwangstöpfchenhintergrund. Ist doch erst so geworden, seit wir die Zone auf den Hals bekommen haben.
Deutschland lehnt sich zurück und zeigt auf den jeweils anderen Teil. Deutschland findet nämlich überall Schuldabladeplätze. Nur nicht im eigenen Häuschen.