Falk Richter, Autor und Regisseur, ist ein Systemkritiker. Durch seine Theaterprojekte führt er uns vor Augen, daß der Effizienzdiskurs längst alle Bereiche unseres Lebens durchwächst, den Beruf, die Familie, die Liebesbeziehungen, und auch die psychische, intime Ebene.
Die Effizienzlogik, die das neoliberale System kennzeichnet, schließt jeglichen blinden Fleck, das heißt, alles andere, Subjektive, aus.
Richter geht den brechtschen Weg des epischen Theaters und des Verfremdungseffekts weiter, indem er hinterfragt, auf welche Art und Weise in unserer neoliberalen Welt Ereignisse dargestellt werden, sei es im Fernsehen, im Internet und auch im Theater.
Mittels der Verfremdung von Darstellungen zeigt Richter die Entfremdung unserer Gesellschaft. In seinem neuen Projekt »For the Disconnected Child« versucht eine einsame vierzigjährige Frau verzweifelt per Skype Kontakt mit ihrer Mutter aufzunehmen, aber der Ton ist gestört, und das Bild verschwommen: »Die Verbindung ist so schlecht.« In ihrem Beruf als Assessmentcenter-Interviewerin überprüft sie Kandidaten auf ihr Innerstes, und genauso wird sie selbst bei ihrer Partnersuche im Internet dazu veranlaßt, ihre Intimsphäre, das heißt ihr psychisches Leben preiszugeben, damit es durchleuchtet werden kann. Alle Aspekte ihrer Persönlichkeit werden in Kategorien aufgegliedert und auseinandergenommen, und am Ende bleibt nichts übrig. Es scheint, als ob sie dadurch von ihrer eigenen Subjektivität entfremdet wird.
Die Wut, die Richter dem Zeitgeschehen gegenüber empfindet, ist oft der Auslöser, wenn er Theatertexte schreibt. Er will die passiven, gleichgültigen Bilderkonsumenten, die wir alle inzwischen mehr oder weniger geworden sind, aufrütteln.
Vor zehn Jahren schrieb und inszenierte Richter »Unter Eis«. Er thematisierte, wie die Manager-Sprache der Betriebsberater andere Lebensbereiche zu infizieren droht, so ähnlich wie die Sprache der Nazis im Dritten Reich die deutsche Kultur und das Zusammenleben infizierte, wie Klemperer es in »Lingua Tertii Imperii« beschrieb.
Richter setzt der sterilen Sprache die lyrische Sprache der Subjektivität, des Wahnsinns, also der Menschlichkeit entgegen.
Mittlerweile ist die Effizienzsprache Alltag, gewöhnlich und banal geworden. »Kompetenz« zählt auf allen Ebenen.
In seinen neueren Projekten zeigt Falk Richter die Grenzen von Sprache auf, vor allem wenn es darum geht, Gefühle auszudrücken. Er vernetzt Tanz und Musik verstärkt mit der sprachlichen Theaterebene. Dabei steht immer mehr die Sprachlosigkeit im Vordergrund, als hätte die Effizienzsprache das Subjekt von seiner eigenen Sprache entfremdet und dadurch enteignet. In der Anfangsszene von »Protect Me« gibt es eine Reihe von Erschütterungen. Es sieht nach Katastrophe, Erdbeben aus, und die Schauspieler fallen durcheinander. Dann löst sich einer der Schauspieler aus dem Chaos und stellt sich ans Mikrofon. Er setzt zum Sprechen an, aber es fehlen ihm die Worte, er wird panisch, und er rennt weg. Dunkelheit, von Wellengeräuschen begleitet. Dann wieder Licht, Chaos, und erneut steht ein sprachloser Schauspieler am Mikrofon.