Es ist selten, daß sich Gewerkschafter zu internationalen Problemen äußern, die nicht unmittelbar mit der Arbeitswelt zu tun haben. Israel ist jedoch seit seiner staatsrechtlichen Einbürgerung mittels Staatsräson zu einem nationalen Gut geworden, zu dessen Schutz ein weitgehend kodifizierter Bekenntnishaushalt auf-gestellt wurde. Ihn stereotyp zu wiederholen, erleichtert jedoch das Bekenntnis seltsamerweise nicht, sondern verursacht immer wieder Beschwerden, wie es jüngst dem DGB-Vorsitzenden Michael Sommer geschah. Er nahm auf dem dritten »Deutschen Israel Kongreß« in Berlin den »Arno-Lustiger-Preis«, vormals »I like Israel-Preis«, entgegen und bedankte sich mit einer Rede.
Mit der antifaschistischen Tradition der Gewerkschaften beginnend, hatte er keine Schwierigkeiten, auch seine Verpflichtung gegenüber Israel hervorzuheben und den Beifall der Versammelten zu erhalten. Dann allerdings wurde es schwierig, was er damit andeutete, daß im DGB zu weiteren Fragen der Israel-Solidarität die Meinungen doch geteilt seien. Das gilt besonders an dem Punkt, an dem Sommer seine Solidarität ohne weiteres auch auf die Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten ausdehnte. Denn wer die Siedlungspolitik erwähnt, kann nicht wie der DGB-Vorsitzende »so oder so zu ihr stehen oder sie so oder so bewerten«, nein, sie ist eindeutig und international unstrittig völkerrechtswidrig. Das hat auch ein deutscher Gewerkschafter, der zudem der Chef der internationalen Gewerkschaftsbewegung ist, zu berücksichtigen, wenn er sich zur Siedlungspolitik äußert. Er darf und kann sie nicht dadurch legitimieren, daß er ausruft: »Solange Israel bedroht ist, stehe ich auf der Seite Israels.« Denn diese Solidaritätsbekundung bezog sich direkt auf die völkerrechtswidrige und von den Vereinten Nationen immer wieder verurteilte Siedlungspolitik.
Das Lob, welches der DGB-Vorsitzende anschließend den israelischen Unternehmern in den besetzten Gebieten zollte, stimmt nicht nur aus gewerkschaftlicher Sicht nachdenklich, sondern ist völkerrechtlich höchst bedenklich. Mag er sich auch, anders als die Gewerkschaften in Brasilien, England und Südafrika, an einem Boykott von Waren aus den israelischen Siedlungen nicht beteiligen, so hat er doch zur Kenntnis zu nehmen, daß der Export der Produkte unter israelischer Kennzeichnung völkerrechtlich unzulässig ist, was sowohl Kommission als auch Parlament der EU jetzt erkannt und erklärt haben. Sommer beschwört das falsche Tabu, wenn er den Boykott mit dem unseligen Ruf »Kauft nicht bei Juden« identifiziert. Er verkennt und verwischt vollständig die totale Andersartigkeit und Zielsetzung der aktuellen Boykottbewegung. Was 1933 der verbrecherische Auftakt einer gigantischen Vernichtungsaktion war, soll heute dem Schutz der palästinensischen Ökonomie und ihrer Befreiung von einer jahrzehntelangen illegalen Besatzung dienen. Einmal mehr sollte auch hier die Geschichte nicht zur Tabuisierung vollkommen berechtigter Anliegen und legaler Aktionen dienen. Der Boykott wird in vielen Varianten vertreten und gilt nur, solange sich Israel nicht an das Völkerrecht hält. Er richtet sich vor allem gegen den völkerrechtswidrigen Export von Gütern, die in den besetzten Gebieten hergestellt werden, deklariert als israelische Waren.
In dem unkritischen Lob israelischer Unternehmerschaft in den besetzten Gebieten liegt jedoch noch ein weiteres Problem. Sommer legitimiert damit zugleich israelische Investitionen in den besetzten Gebieten, die zu einer weiteren Verfestigung der israelischen Landnahme palästinensischen Territoriums führen. Schon diese Investitionen, selbst wenn sie einigen Palästinenserinnen und Palästinensern schlecht bezahlte Arbeit verschaffen, sind nach den Haager und Genfer Regeln völkerrechtswidrig, da sie die Besatzung zementieren. Dagegen helfen dann auch nicht Aufrufe zu ausländischen Investitionen und Wirtschaftshilfe in den verbliebenen palästinensischen Enklaven. Denn sie stellen das Grundübel palästinensischer Wirtschaft und Arbeit sowie des gesamten Lebens, die völkerrechtswidrige Besatzung, nicht in Frage, geschweige denn, daß sie sie beseitigen. Sommer hat offensichtlich überhaupt keine Vorstellung von den Arbeits- und Lebensbedingungen unter den Bedingungen der Besatzung. Seine kurze Begegnung mit einigen Arbeitern, die ihm bei seinem letzten Besuch in die besetzten Gebieten zugeführt worden waren, hat ihm zwar das Bild zufriedener Arbeitnehmer vermittelt, das er nun auf dem Kongreß zum Lob der israelischen Unternehmer weitergeben konnte. Seine Erzählungen erwecken aber den peinlichen Eindruck, dass er keine Ahnung von der katastrophalen Arbeitslosigkeit in den besetzten Gebieten hat, die faktisch jeden Familienvater zwingt, selbst bei seinem Feind, dem Siedler, der ihm sein Land raubt und die Ernte zerstört, zu arbeiten, um zu überleben. Palästinensische Produktion, sei es in der Landwirtschaft oder dem Handwerk, hat keine Chance gegen israelische Produkte im Export zu bestehen – wenn sie denn überhaupt erlaubt wird.
Auch der DGB-Vorsitzende möchte »das friedliche Nebeneinander von zwei Staaten fördern«. Hat ihm niemand an seinem Arbeitsplatz gesagt, daß er mit dieser Rede die illegale Besatzung und alle mit ihr verbundenen israelischen Siedlungsaktivitäten legitimiert? Daß er eine Politik unterstützt, die das »friedliche Nebeneinander von zwei Staaten« gerade nicht fördert, sondern gar nicht erst entstehen läßt und auf lange Zeit zerstört? Sommer müßte auf jeden Fall begreifen, daß seine Haltung mit dem Völkerrecht kaum zu vereinbaren ist.
Auf diesem Feld ist nichts ohne Alternative. Zur Besatzung lautet die Alternative Aufhebung der Besatzung und nicht Investitionen und Wirtschaftsförderung, wie es der Vorsitzende behauptet. Alle Investitionen mit dem Ziel, das Leben der Palästinenser zu erleichtern, scheitern an der Besatzung, ja bestätigen und verlängern sie nur. Es gibt derzeit leider keine Initiative, die diesen gewalttätigen Zustand beseitigen will, weder von der israelischen noch von den westlichen Regierungen. Die sogenannten Friedensgespräche zwischen der israelischen Regierung und der Palestine Authority werden trotz aller Proteste vom Ausbau der Siedlungen begleitet und stagnieren. Dankesreden wie die des Präsidenten des internationalen Gewerkschaftsbundes sind dabei alles andere als hilfreich. Sie wird auch nicht dadurch aus der Welt geschafft, daß der DGB die peinliche Rede nach nur kurzem Auftauchen wieder von seiner Website getilgt hat.