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Titel2515

Hermanis erklärt den Krieg  (Otto Köhler)

Als schon seit vielen Monaten in Deutschland die Flüchtlingsheime brannten, da endlich erklärte der lettische Regisseur Alvis Hermanis dem Hamburger Thalia Theater aus – wie er am 4. Dezember in der Neuen Zürcher Zeitung erläuterte – »sehr privaten Gründen« den Boykott zunächst, und dann den Krieg. Er sagte eine für April 2016 verabredete Inszenierung am Thalia Theater ab und verlangte, aus seiner vertraglichen Verpflichtung entlassen zu werden. Er wollte mit dem Engagement vieler deutscher Theater für Flüchtlinge, so auch des Thalia Theaters, nicht in Verbindung gebracht werden. Die deutsche Begeisterung, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, sei extrem gefährlich für ganz Europa, weil unter ihnen Terroristen seien. Und niemand könne die Guten von den Schlechten trennen. Eine gleichzeitige Unterstützung von Terroristen und den Pariser Opfern schließe sich aus. Zwar seien nicht alle Flüchtlinge Terroristen, aber alle Terroristen seien Flüchtlinge oder deren Kinder. Die Anschläge von Paris zeigten, dass wir mitten im Krieg seien. In jedem »Krieg« müsse man sich für eine Seite entscheiden, er und das Thalia Theater stünden auf entgegengesetzten.


Diese Kriegserklärung war eindeutig und gut begründet. Hermanis kommt aus Lettland, wo alljährlich am 16. März unter dem Schutz der Polizei – gleichzeitige Gegendemonstrationen sind verboten – die mit deutschen Renten finanzierten lettischen SS-Veteranen aufmarschieren, die ihren Treueid auf Adolf Hitler – auch persönlich – ablegten und bis zum beinahe letzten Atemzug gegen den jüdischen Bolschewismus kämpften. Der 16. März der SS wurde nach der auch Lettland umfassenden Wende zum Nationalfeiertag erklärt und nur aus opportunistischen Gründen – man wollte in die EU – offiziell wieder abgeschafft. Dafür werden im April 2016 – wie dpa im Oktober meldete – endlich wieder deutsche Streitkräfte, diesmal der Bundeswehr, in Lettland gegen die Russen in Stellung gebracht – unsere Ehre heißt Treue.


Hermanis fühlt sich mit seiner vom Thalia-Intendanten Joachim Lux veröffentlichten Kriegserklärung »aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissen«. Aus welchem Ursprung ließ er offen. Grund für seine Absage an Thalia, sei – nach dem Massaker von Paris, wo er zur Zeit arbeitet –, dass er »als Vater von sieben Kindern« nicht bereit ist, »in einer weiteren potentiell gefährlichen Stadt zu arbeiten«. Denn: »Bekanntlich stammten die Täter von 9/11 aus Hamburg.« Und – dieses entscheidende Argument unterschlägt er – die Hamburger haben auch gegen Olympia gestimmt.


Er stellt vielmehr folgenden Zusammenhang her: »Wir wissen, dass die Pariser Tragödie sogar die Flüchtlingspolitik der deutschen Regierung beeinflusst hat. Also war der Preis, der bezahlt werden musste, bis man schließlich einen Zusammenhang von Migrationspolitik und Terrorismus einräumte, der Tod von 132 jungen Menschen in Paris. Ist dieser Zusammenhang in Deutschland immer noch ein Tabu? Nach Gesprächen mit Thalia-Leuten habe ich verstanden, dass sie nicht offen sind für abweichende Meinungen. Sie sehen sich als Refugees-Welcome-Zentrum. Jawohl, ich will da nicht mitmachen. Kann ich mir diese individuelle Entscheidung, kann ich mir eigene Meinungen leisten? Wie steht‘s mit der Demokratie?«


Hermanis kann sich seine »Meinung« leisten, sonst hätte er sie nicht ans Licht gebracht. Die individuellen Entscheidungen lodern an vielen Flüchtlingsheimen in diesem Land.